Juli 2004

040709

ENERGIE-CHRONIK


MVV kämpft weiter mit "Altlasten" bis zu 100 Millionen Euro

Die Mannheimer MVV Energie AG hat ihre "Altlasten" noch nicht bewältigt. Am 5. Juli kündigte ein Unternehmenssprecher die Fortsetzung des Sparkurses an, den der neue Vorstandsvorsitzende Rudolf Schulten seit Oktober 2003 verfolgt (031012 u. 040307). Im Kern sei die MVV Energie aber ein gesundes Unternehmen, wurde gleichzeitig betont. Bis September sollen Wirtschaftsprüfer feststellen, wie hoch der reale Wert der Beteiligungen ist, die von der MVV an anderen Stadtwerken erworben wurden. Vermutlich ergibt sich dann ein Abschreibungsbedarf in zweistelliger Millionenhöhe. Zusammen mit den Verlusten in den Geschäftsfeldern Powerline, Windenergie, Abwasser, Kläranlagen und Auslandsbeteiligungen, die bisher mit 52 Millionen Euro veranschlagt wurden (040307), dürften sich die Kosten für die "Aufräumungsarbeiten" nach dem Weggang des langjährigen Vorstandsvorsitzenden Roland Hartung auf 80 bis 100 Millionen Euro belaufen.

Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit des Vorstands

Obwohl die Probleme nicht neu und seit längerem bekannt sind, sank der Kurs der MVV-Aktie nach entsprechenden Medienberichten von rund 16 auf 12 Euro. In einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am 13. Juli gab es deshalb offenbar Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit des Vorstandes. Etwa fünf der zwanzig Aufsichtsräte gelten als Gegner des neuen MVV-Chefs. Auf einer anschließenden Pressekonferenz versicherte der Mannheimer Oberbürgermeister Gerhard Widder als Vorsitzender des Gremiums, die "überwiegende Mehrheit" der Aufsichtsräte stehe hinter MVV-Chef Schulten und "dem, was sich in den letzten Tagen ereignet hat". (Rhein-Neckar-Zeitung, 14.7.; FTD, 21.7.;)

Hohe Verschuldung durch fremdfinanzierte Beteiligungskäufe

Presseberichten zufolge ist die MVV Energie derzeit mit 1,2 Milliarden Euro verschuldet, was vor allem auf die fremdfinanzierten Beteiligungskäufe zurückzuführen sei. Allein im letzten Geschäftsjahr habe sie über 60 Millionen Euro an Zinsen gezahlt. An einen weiteren Börsengang, von dem noch im Frühjahr die Rede war, sei derzeit nicht zu denken. Neueinstellungen würden nur noch in Ausnahmefällen vorgenommen und müßten vom Vorstand genehmigt werden. Darüber hinaus würden Einsparungen beim Personal geprüft, das in Mannheim rund 1800 und weltweit 5700 Beschäftigte umfaßt. Betriebsbedingte Kündigungen seien allerdings durch eine Betriebsvereinbarung bis 2007 ausgeschlossen. Dividende werde nur deshalb noch gezahlt, weil die Stadt Mannheim dringend auf diese Einnahmequelle angewiesen sei und als Mehrheitsaktionär darauf bestehe. Schon in der Vergangenheit seien Dividende und Gewinn zum Teil aus stillen Reserven bestritten worden. Vor allem habe die MVV ihre Beteiligungen an der Gasversorgung Süddeutschland (GVS) und der Energie Baden-Württemberg (EnBW) verkauft, die früher stets für gute Beteiligungserträge sorgten. Nun sei das "Tafelsilber" weg und es gebe keine stillen Reserven mehr. (FAZ, 6.7.; Welt, 6.7.; Rhein-Neckar-Zeitung, 6.7.)

EnBW besitzt Option auf das MVV-Aktienpaket der Ruhrgas

In diesem Zusammenhang wurde bekannt, daß die Energie Baden-Württemberg bis Ende 2004 eine Option auf den 15-Prozent-Anteil der Ruhrgas an der MVV  Energie (001109) ausüben kann. Es soll sich dabei um eines der Zugeständnisse handeln, mit denen E.ON das Stillhalten der EnBW bei der Übernahme der Ruhrgas erkauft hat (030607). Inzwischen wird das Aktienpaket der Ruhrgas von der E.ON-Tochter Thüga gehalten. Da die Versorgungsgebiete von EnBW und MVV direkt aneinander grenzen, wäre bei Ausübung der Option mit einer Überprüfung des Geschäfts durch das Bundeskartellamt zu rechnen (FAZ, 6.7.; FTD, 16.7.)

Größter Anteilseigner der MVV Energie ist mit 72,8 Prozent die Stadt Mannheim. Vom privatisierten Aktienkapital hält den größten Teil die Thüga. Der Rest von 12,2 Prozent befindet sich in Streubesitz.

"Energiemanager des Jahres 2001" wird heute kritischer gesehen

Das Verhältnis wischen dem früheren und dem neuen Vorstandsvorsitzenden der MVV Energie scheint gespannt zu sein, weil Hartung durch die kritische Bestandaufnahme, die Schulten sofort nach Amtsantritt vornehmen ließ, seinen Nimbus als erfolgreicher Energiemanager beschädigt sieht. Vor kurzem war noch darüber spekuliert worden, ob Hartung mit Hilfe der CDU im Mannheimer Gemeinderat als Aufsichtsrat zur MVV Energie zurückkehren werde. Inzwischen steht fest, daß er nicht zu den von der CDU nominierten Aufsichtsräten gehören wird. Das Lokalblatt "Mannheimer Morgen" (6.7.) bemerkte in diesem Zusammenhang: "Kämpfchen zwischen altem und neuem Spitzenmanagement über den bisherigen Kurs der MVV sollten gefälligst unterbleiben. Die helfen nicht weiter weiter, sie lähmen nur."

Vor seinem Wechsel zur MVV war Hartung Fraktionsvorsitzender der CDU im Mannheimer Gemeinderat. 1972, 1980 und 1983 bewarb er sich dreimal vergebens um den Posten des Oberbürgermeisters, wobei er zuletzt gegen den heutigen Amtsinhaber und VKU-Präsidenten Gerhard Widder (SPD) kandidierte. 1988 wurde er im Einvernehmen mit der SPD-Mehrheit im Gemeinderat kaufmännischer Geschäftsführer des kommunalen Versorgers. Seit 1994 war er Sprecher der Geschäftsführung der MVV GmbH und seit 1998 zudem Sprecher des Vorstandes der neugegründeten MVV Energie AG.

Im Dezember 2001 war Hartung zum "Energiemanager des Jahres 2001" gewählt worden. Die Jury würdigte damit "das erfolgreiche Wettbewerbsmodell, mit dem Hartung das ehemalige Stadtwerk in knapp drei Jahren zu einer international agierenden Multi Utility AG umgebaut hat". Schon damals konnte allerdings den Unternehmenszahlen entnommen werden, daß Hartungs expansive Geschäftspolitik mit großen finanziellen Belastungen einherging und die neuen Geschäftsfelder nicht unbedingt rentabel waren. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Börsengang (980712 u. 990211) kam die MVV-Aktie auch nicht vom Fleck, sondern pendelte um den Ausgabekurs von 16 Euro.

Der Wettbewerb war erstmalig von der Unternehmensberatung Accenture und der Zeitschrift "Energie & Management" ausgeschrieben worden. Zur Jury gehörten neben Accenture-Geschäftsführer Rolf Schulz und "Energie & Management"-Chefredakteur Helmut Sendner auch Peter Hennicke (Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie), Ingrid Hielle (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Stephan Kohler (Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur Berlin), Dieter Schmitt (Leiter des Fachbereichs Energiewirtschaft der Universität Essen) und Jürgen Schürmann (Handelsblatt). Die Schirmherrschaft hatte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, übernommen.

Inzwischen werden Hartungs Tätigkeit und die Folgen für die MVV Energie wesentlich kritischer gesehen und viele der sogenannten Zukunftsprojekte, für die er das Geld aus dem Börsengang der MVV und Beteiligungsverkäufen ausgab, als Altlasten gewertet. Beispielsweise schrieb die "Frankfurter Allgemeine" am 6. Juli:

"Hartung, ehemals CDU-Kommunalpolitiker, sonnte sich in der Rolle des weitgereisten Managers. Im Geschäftsbericht grüßte er lächelnd an der Seite des Weltbank-Präsidenten. Die Mehrheit an der MVV hält die Stadt Mannheim mit einem SPD-Oberbürgermeister. Kommunale Kabale spielte stets eine wichtige Rolle bei der MVV, vor allem bei den Politikern im Aufsichtsrat. Derzeit macht Hartung hinter den Kulissen Stimmung gegen seinen Nachfolger Rudolf Schulten, der bereits einen Teil der Altlasten öffentlich gemacht hat. Es scheint, daß verletzte Eitelkeiten dabei wichtiger sind als tatsächliche ökonomische Gegebenheiten. Die MVV-Bilanz ist solide, das Kerngeschäft robust. Bereinigungen von Altlasten auf Beteiligungen gibt es auch anderswo. Zumindest ihre wirtschaftlichen Probleme kann die MVV aus eigener Kraft lösen."