März 2001

010304

ENERGIE-CHRONIK


18.000 Polizisten schützten Nukleartransport nach Gorleben

Nach starken Behinderungen durch Kernkraftgegner erreichte am 29. März ein Transport mit radioaktiven Abfällen aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague das Zwischenlager Gorleben. Es handelte sich um die ersten sechs von insgesamt 168 Containern mit deutschem Atommüll, die in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague für den Rücktransport bereitstehen (010206). Während des Transports nahm die Polizei fast 700 Kernkraftgegner in Gewahrsam. Annähernd 120 Demonstranten wurden festgenommen. Rund 30 Polizisten und mindestens 60 Demonstranten wurden verletzt. Insgesamt waren zum Schluß über 18.000 Polizisten im Wendland eingesetzt, um den Transport zu schützen. Der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling (SPD) schätzte die Kosten für den Einsatz auf 110 Millionen Mark (FR, 30.3).

Schon im Vorfeld des Transports kam es zu Übergriffen auf mehrere Bahnlinien. In Berlin schlugen militante Kernkraftgegner am Büro der Bahn-Tochter DB Cargo die Scheiben ein. In Gorleben drangen Greenpeace-Aktivisten ins Gelände des Zwischenlagers ein und entrollten ein Transparent "Stop Castor" (Hann. Allgemeine, 19.3.; DPA, 21.3.; SZ, 17.3).

Nachdem der Zug mit den Transportbehältern am 26. März in La Hague gestartet war, gab es auf französischer wie auf deutscher Seite zunächst nur kleinere Proteste und Behinderungen. Die Blockadeversuche häuften sich jedoch auf der eingleisigen Strecke von Lüneburg zum Verladebahnhof Dannenberg. An einer Kundgebung am 27. März in Dannenberg beteiligten sich rund 15.000 Menschen. Anschließend marschierten sie trotz Verbots zur Verladestation Dannenberg, wobei es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Eine stundenlange Verzögerung des Schienentransports bewirkten am 27. März vier Demonstranten, die sich im Gleisbett "einbetoniert" hatten. Der Transport erreichte deshalb erst am Abend des 28. März den Verladebahnhof Dannenberg. Die restlichen zwanzig Kilometer auf der Straße bewältigte er am Morgen des folgenden Tages in eineinhalb Stunden. Er war damit deutlich schneller als der letzte Transport vor vier Jahren, der für dieselbe Strecke fünf Stunden benötigte (970301). Die Masse der Demonstranten war offenbar vom frühen Start überrascht worden.

"Der Atomkonsens ist Gift für den Protest"

Die Rücktransporte aus La Hague sind Bestandteil des von der rot-grünen Bundesregierung vereinbarten Kernenergiekompromisses (000601). Im Unterschied zu früheren Castor-Transporten (950401, 960502, 970301) wurden deshalb die Blockadeaktionen dieses Mal nur vom "fundamentalistischen" Flügel der Kernkraftgegner unterstützt (siehe 990104 u. 010120).

"Es kocht noch mal im Abklingbecken der Bewegung", überschrieb die "Frankfurter Rundschau" (28.3.) einen Bericht über die Blockadeaktionen. "Im Wendland herrscht wieder der ganz normale Ausnahmezustand - doch der Atomkonsens ist Gift für den Protest."

Debatte im Bundestag

Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) betonte am 29. März bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag, daß "jede Form von Gewalt strikt abzulehnen" sei. Der Umweltorganisation Robin Wood warf er vor, gegen ihre "Fürsorgepflicht" verstoßen zu haben, weil unter den vier Demonstranten, die sich im Gleisbett einbetonieren ließen, ein 16jähriges Mädchen war. Zugleich bekundete Trittin seinen "Respekt" vor den "überwiegend friedlichen" Demonstranten. Forderungen von Umweltverbänden nach einer Korrektur des Kernenergie-Kompromisses wies er zurück: Es sei jetzt "nicht die Zeit für Rückverhandlungen", sondern es gehe darum, "diesen Konsens umzusetzen".

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) kündigte Schadenersatz-Forderungen gegen die Blockierer und ihre Helfer an. Für die CDU warf Hans-Otto Wilhelm den Grünen vor, sie hätten in der Vergangenheit die Angst vor der Kernenergie geschürt und bekämen jetzt "den Geist nicht mehr in die Flasche". Nur die PDS verteidigte die Proteste im Wendland. Als einige PDS-Abgeordnete sich gelbe T-Shirts mit der Aufschrift "Stopp Castor" überzogen und damit von ihren Plätzen erhoben, wurden sie von der amtierenden Bundestags-Vizepräsidentin Petra Bläss (PDS) des Saals verwiesen (FR, 30.3.; Berliner Zeitung, 30.3.).