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Vereinfachtes Schema einer ORC-Anlage |
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In Deutschland kommen normale Dampfprozesse mit Wasserdampf als
Arbeitsmedium
bis auf weiteres nicht in Betracht, da die dafür erforderlichen
Temperaturen
allenfalls mit dem "Hot-Dry-Rock"-Verfahren erreicht werden
könnten,
das sich noch in der Erprobung befindet. Die bisher bekannten
Thermalwasser-Vorkommen
erreichen aber höchstens 150 Grad. Die geothermische
Stromerzeugung
erfolgt deshalb bei uns ausschließlich mit sogenannten
"binären
Systemen", bei denen das heiße Wasser seine Energie über
einen
Wärmetauscher an einen zweiten Kreislauf abgibt, der die Turbine
mit
dem Generator antreibt. In diesem zweiten Kreislauf zirkuliert kein
Wasser bzw. Wasserdampf, sondern ein spezielles Arbeitsmedium, das
bereits bei Temperaturen unter 100 Grad siedet und damit den
entsprechenden Stoff vom flüsssigen in den gasförmigen
Aggregatzustand übergehen läßt. Auf diese Weise
können sogar Thermalwässer mit 100 Grad und weniger für
die Stromerzeugung verwendet werden. Der Wirkungsgrad ist allerdings
recht gering. Die Vorzüge dieses Verfahrens liegen vor allem im
Bereich oberhalb des Siedepunktes bis zur Schwelle von etwa 180 Grad,
ab der die Dampfprozesse
dominieren. Da als niedrigsiedende Arbeitsmedien organische Stoffe
verwendet
werden, spricht man auf Englisch bzw. Neudeutsch vom "Organic Rankine
Cycle"
(ORC) in Anlehnung an den "Clausius-Rankine-Cycle" für den
normalen
Kreislauf in einem Dampfkraftwerk.
Eine Variante des ORC-Prozesses ist das Kalina-Verfahren,
das anstelle organischer Arbeitsmittel ein Wasser-Ammoniak-Gemisch
verwendet. Es deckt auch Bereiche ab, die der ORC-Prozeß nicht
erfaßt, und ist besonders für niedrige
Thermalwasser-Temperaturen geeignet.
Es gibt wesentlich mehr geothermische Kraftwerke nach dem ORC- oder Kalina-Prinzip als Dampfkraftwerke. Letztere bestreiten aber über neunzig Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus Erdwärme. Dieses Mißverhältnis vermittelt eine Vorstellung davon, wie gering die Wirkungsgrade und Einzelleistungen der ORC-Anlagen gegenüber ergiebigeren Formen der Erdwärme sind.
Dieser Vergleich hinkt allerdings ein bißchen, denn bei Geothermie entfallen die Brennstoffkosten. Insofern kann man bei der geothermischen Stromerzeugung auch mit Wirkungsgraden um zehn Prozent zufrieden sein. Hinzu kommt, daß die Stromgewinnung in aller Regel nicht der alleinige Zweck ist, sondern eher als Nebenprodukt bei der Wärmeversorgung anfällt. Sie eignet sich beispielsweise hervorragend, um in der warmen Jahreszeit, wenn die Heizzentrale stillsteht, das überschüssige Angebot an Erdwärme zu verwerten.
Am 12. November 2003 wurde in Deutschland die erste ORC-Anlage zur Erzeugung von Strom aus Erwärme in Betrieb genommen. Sie befindet sich in Neustadt-Glewe, wo die Erdwärme bereits seit 1995 den größten Teil des Fernwärmebedarfs der ostdeutschen Kleinstadt deckt. Sie nutzt das 98 Grad heiße Wasser aus einer Tiefe von 2250 Metern, soweit dieses nich für für den eigentlichen Zweck der Fernwärmeversorgung benötigt wird. Der Generator kann deshalb nur im Sommer seine maximale elektrische Leistung von 155 Kilowatt erbringen. Bei winterlichen Temperaturen (unter minus fünf Grad) muß das kleine Geothermie-Kraftwerk sogar ganz abgestellt werden, da dann das Thermalwasser ohne Temperatureinbußen für die Fernwärmeversorgung benötigt wird.
Als Arbeitsmedium verwendet die Anlage in Neustadt-Glewe den Stoff Perfluorpetan, der unter Normaldruck bereits bei 31 Grad verdampft und ein 22fach höheres Molekulargewicht als Wasser hat. In der ORC-Anlage verdampft er unter einem Druck von etwa 4 bar bei etwa 75 Grad Celsius und treibt eine Turbine, deren einstufiger Schaufelkranz mit 3000 Umdrehungen pro Minute rotiert und getriebelos mit dem Generator gekoppelt ist. Auf diese Weise kann das Thermalwasser, das mit einer Temperatur von 98 Grad für den Betrieb einer Wasserdampfturbine bei weitem nicht ausreichen würde, dennoch energetisch genutzt werden. Beim Austritt aus dem Wärmetauscher hat das für die Stromerzeugung abgezweigte Thermalwasser noch eine Temperatur von 71 Grad. Es wird dann wieder mit dem Hauptstrom vereinigt, der von der Förderpumpe direkt zum Wärmetauscher im Heizhaus fließt. Dort überträgt das Thermalwasser seine Wärme an den Heizkreislauf, bevor es wieder in den Boden zurückgepumpt wird (eine direkte Verwendung des Thermalwassers für die Fernwärmeversorgung kommt wegen seiner Salzhaltigkeit nicht in Frage).
Der Wirkungsgrad solcher ORC-Anlagen beträgt bei einer
Thermalwassertemperatur von 100 Grad Celsius etwa 6,5 Prozent, bei 120
Grad 9 Prozent und steigt bis 200 Grad auf etwa 13 Prozent an. Noch
nicht berücksichtigt ist dabei allerdings der Eigenverbrauch des
ORC-Kraftwerks. Viel Strom benötigen vor allem die Pumpen, die das
heiße Wasser fördern und wieder in den Untergrund
zurückpressen. Bei Berücksichtigung dieses Pumpaufwands sinkt
der Gesamtwirkungsgrad des ORC-Kraftwerks erheblich. Beispielsweise
verbraucht in Neustadt-Glewe allein die Pumpe zur Förderung des
Thermalwassers 140 Kilowatt. Hinzu kommen bis zu 15 Kilowatt für
die Pumpe, die das Kühlwasser für den Kondensator
umwälzt. Dieser Strombedarf muß eigentlich - soweit er sich
eindeutig der Stromproduktion zurechnen läßt - von der schon
recht geringen Leistung des ORC-Kraftwerks abgezogen werden. Man
gerät dann bei geringen Temperaturen und Thermalwassermengen sogar
schnell in einen Bereich, wo der Eigenverbrauch die Generatorleistung
übersteigt. So beträgt in Neustadt-Glewe der Eigenverbrauch
sechzig bis siebzig Prozent der Generatorleistung. Die Leistungsbilanz
wäre sogar negativ, wenn man nicht anstelle von
Luftkühltürmen die
effektiveren Wasserkühltürme verwendet hätte.
Nun wird allerdings Strom aus Geothermie aufgrund des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes vergleichsweise hoch subventioniert.
Für den Betreiber eines solchen Kleinkraftwerks ist es deshalb
vorteilhafter, den Eigenverbrauch der Anlage aus dem Netz der
allgemeinen Stromversorgung zu decken, anstatt ihn von der eigenen
Erzeugung abzuzweigen. Wenn er beispielsweise als Industriekunde die
Kilowattstunde für neun Cent erhält, liegt die Vergütung
für
für den geothermisch erzeugten Strom um sechs Cent höher.
Unter
diesen Umständen könnten geothermische Kraftwerke selbst dann
noch
rentabel sein, wenn sie dem Netz mehr Strom entziehen als zuführen
-
sicher ein Widersinn, der bei der nächsten Novellierung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes bedacht werden sollte.
Das erste geothermische Kraftwerk in Deutschland ist somit nicht gerade ein Muster für leistungsstarke Stromerzeugung. Seine Besonderheit liegt woanders: Es demonstriert die untere Grenze, an der die Verstromung von Erdwärme noch sinnvoll sein kann.