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(Aus: Udo Leuscher, "Entfremdung - Neurose - Ideologie", Bund-Verlag, Köln 1990, S. 251 - 260)


 

Der Fall Sombart


 

Die Wandlung eines "freischwebenden Geistes" der Wissenschaft vom Sympathisanten der Sozialdemokratie zum Mitläufer des Faschismus

Werner Sombart (1863 - 1941)

In seinem 1895 verfaßten Nachtrag zum dritten Band des "Kapitals" lobt Friedrich Engels "eine in ihrer Gesamtheit vortreffliche Darstellung der Umrisse des Marxschen Systems". Zum erstenmal sei es einem deutschen Universitätsprofessor gelungen, "im ganzen und großen in Marx' Schriften das zu sehn, was Marx wirklich gesagt hat" (273).

Der Gelobte war der 29jährige Werner Sombart, außerordentlicher Professor für Staatswissenschaften an der Universität Breslau. Sombart hatte dem Nationalökonomen Julius Wolf nachgewiesen, daß dieser die Marxsche Theorie, die er zu widerlegen versuchte, gar nicht begriffen hatte.

Auch Kautsky setzte anfänglich große Erwartungen in Sombart. Er sah in ihm "einen der kommenden Männer unserer Bewegung" und hoffte, "er werde eines Tages den Professorentitel von sich werfen als eine lästige Zwangsjacke", um ein "würdiger Nachfolger unserer großen Männer" zu werden (274).

Sombart hat diese Erwartungen zum größten Teil enttäuscht. Erfüllt hat er sie nur insoweit, als ihm die Weiterentwicklung der Marxschen Theorie zur selbstgestellten Lebensaufgabe geriet. Er hat den Begriff des "Kapitalismus" vom Ruch eines sozialdemokratischen Schimpfworts befreit und in den akademischen Sprachgebrauch eingeführt. Zugleich hat er die Aufmerksamkeit der akademischen Welt - darunter seines Freundes Max Weber - auf die Bedeutung des Werkes von Karl Marx gelenkt. Die angestrebte Weiterentwicklung der Marxschen Theorie ist ihm jedoch weitgehend mißlungen. Wie Max Weber ersetzte er das materialistische Verständnis der Psyche durch einen Dualismus objektiver und subjektiver Faktoren. Die Dialektik, die damit unvereinbar ist, ließ er als angeblich alten Zopf fallen. So gelangte er zu einem neukantianisch aufgefrischten Sozialdarwinismus, der gesellschaftlichen Fortschritt als Sieg des Neuen und Starken über das Alte und Schwache begriff. Unter diesem Blickwinkel gewann für Sombart der gesellschaftliche Aufstieg des Proletariats dieselbe Qualität wie das Machtstreben des deutschen Imperialismus nach außen und - später - die mächtige Bewegung des Faschismus im Inneren. Schon im Anhänger des sozialdemokratischen Revisionismus war insoweit der spätere Mitläufer des Nationalsozialismus angelegt.

Sombart durchlief im wesentlichen die folgenden Stadien:

Sombart öffnete sich den jeweils dominierenden ideologischen Strömungen seiner Zeit. Er reproduzierte sie aber nicht einfach, sondern bearbeitete sie und formte sie um. Er modifizierte so die herrschende Ideologie: Hinter dem Gefühls-Sozialisten und Marx-Entdecker erkennt man das ausklingende liberale Zeitalter mit seinem ungebrochenen Fortschrittsglauben; hinter dem Revisionisten eine neukantianisch-positivistische Auffassung vom "Geistigen"; hinter dem Imperialisten die Lebensphilosophie von Nietzsche bis Bergson; hinter dem Kulturkonservativen den Kulturpessimismus à la Spengler; und hinter dem Mitläufer des Faschismus die zum Mythos tendierende Existenzphilosophie Heideggers.

Dabei scheint die einzige philosophische Richtung, mit der sich Sombart bewußt auseinandergesetzt hat, der Marxismus gewesen zu sein. Er selbst begriff sein Werk ausdrücklich als eine Weiterentwicklung der Marxschen Theorie. "Alles, was etwa Gutes in meinem Werk ist, verdankt es dem Geist von Marx", schrieb er noch 1927 (275).

Sombart ersetzt die Dialektik durch einen Dualismus subjektiver und objektiver Faktoren

In Wirklichkeit war es sehr wenig, was Sombart tatsächlich von Marx übernommen hat. Neben Teilen der Entfremdungs-Konzeption handelte es sich vor allem um die Einsicht in die innere Gesetzmäßigkeit und Unaufhaltsamkeit geschichtlicher Prozesse. - Eine Überzeugung, die allerdings nicht auf Marx zurückgeht, sondern bereits Hegels Geschichtsphilosophie bestimmt. Die originäre Einsicht von Marx, daß der materiell-ökonomische Unterbau der Gesellschaft ihre geistigen Prozesse intendiert, hat Sombart hingegen nie geteilt. Er hat sie implizit durch Ablehnung der Dialektik verworfen und explizit durch einen Dualismus objektiver und subjektiver Faktoren ersetzt.

Der sozialdemokratische Theoretiker Rudolf Hilferding hat diese dualistische Konzeption einer treffsicheren Kritik unterzogen. In seiner Rezension des 1902 erschienenen Werkes "Der Moderne Kapitalismus" hielt er Sombart vor, daß dieser weit hinter Marx zurückfalle, "wenn er an die Stelle des Monismus in der Weise des Dualismus objektive und subjektive Bedingungen scheidet, die dann im konkreten Verlauf der Geschichte ihre Vereinigung feiern, man weiß nicht wie und wann und warum". Sombart begnüge sich zudem nicht mit dieser Scheidung. Er zergliedere den subjektiven Faktor auch noch in eine Vielzahl unterschiedlicher, sich unvermittelt gegenüberstehender Motive je nach geschichtlichem Zeitalter. "Die Einheit der menschlichen Psyche ist so verlorengegangen und wir bekommen für jede geschichtliche Epoche eine andere Psyche."

In der Einleitung zum "Modernen Kapitalismus" hatte Sombart die menschlichen Motive als letzte Stufe bezeichnet, zu der die Wissenschaft vorstoßen könne. Bei Überschreitung dieser Stufe stoße man "auf die noch nicht überbrückte Kluft der psychologischen Verursachung, die eine andere als die mechanische Kausalität ist". Sombart paraphrasierte hier das bereits erwähnte "ignoramus et ignorabimus" Du Bois-Reymonds, das den Umschlag vom Vulgärmaterialismus zum Neu-Idealismus markierte und zum Glaubensbekenntnis aller dualistischen Richtungen gehört.

Hilferding ließ Sombarts Berufung auf die ungelöste Grundfrage der Psychologie jedoch nicht gelten: Er verwechsele die ontologische Frage nach dem Verhältnis von Geist und Materie mit der Frage nach der Determination menschlichen Wollens durch die Gestaltung der Außenwelt. Die erste Frage sei metaphysischer, unlösbarer Art. Die richtige Beantwortung der zweiten Frage bilde jedoch die Grundbedingung aller Sozialwissenschaft. "Durch die Konfundierung beider Probleme schließt sich Sombart nicht nur nicht an Karl Marx an, er bringt sich vielmehr methodisch in schärfsten Gegensatz zu dem Begründer der materialistischen Geschichtsauffassung." (276)

Neukantianische Einflüsse prägten auch Sombarts Wissenschaftsverständnis überhaupt. Wie der Geist verselbständigte sich für ihn die Erkenntnis von den materiellen Voraussetzungen. Sie wurde vermeintlich freischwebend. Im "Werturteilsstreit" hat Sombart zwischen 1909 und 1914 vehement die Partei Max Webers ergriffen. Immer wieder hat er in seinen Werken betont, daß er sich jeglicher Wertung enthalte und auf die sachliche Darlegung beschränke. Dabei zeigt gerade sein eigenes Werk in der eindringlichsten Weise, wie schutzlos dieser vermeintlich freischwebende Geist allen ideologischen Einflüssen ausgesetzt ist...

Schon 1896, in seinen Züricher Vorträgen über "Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert", erteilte Sombart einem unveräußerlichen Element der marxistischen Philosophie eine klare Absage: Die Dialektik, so meinte er, mute heute "altfränkisch" an und könne als überholt gelten. Verlangt sei eine "psychologische Begründung sozialen Geschehens". Sombart unterschied ferner die "Notwendigkeit des Ideals" von der "Notwendigkeit seiner Verwirklichung" (277). Er nahm damit die These Bernsteins vorweg, daß es nicht auf das sozialistische Ziel, sondern auf die Bewegung allein ankomme.

In seinem Hauptwerk "Der moderne Kapitalismus" entfernte sich Sombart noch weiter von einer materialistischen Sichtweise. Als eigenständige Kräfte der Geschichte traten der "kapitalistische Geist" oder der "seigneurale Geist" des feudalen Zeitalters auf. Sombart gelangte so zu einer ähnlichen Psychologisierung der Wirtschaftsstufen wie Karl Lamprecht.

Sombart wandelt sich zum Propagandisten des deutschen Imperialismus

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs leistete Sombart seinen Beitrag zur imperialistischen Kriegspropaganda. In "Händler und Helden" (1915) glorifizierte er die Deutschen als Heldenvolk und letzten Damm gegen englischen Krämergeist. Die Neubearbeitung seiner Züricher Vorträge, die er 1924 unter dem Titel "Der proletarische Sozialismus" vorlegte, geriet ihm nunmehr zur Schmähschrift gegen die Arbeiterbewegung. In seiner Schrift über "Die Zukunft des Kapitalismus" (1932) rief er nach einer starken Führerpersönlichkeit oder einem autoritären Leitungsgremium zur Meisterung der wirtschaftlichen Krise. In einem Atemzug nannte er Lenin, Kemal Pascha und Mussolini. Er wünschte sich, "daß auch unserem Vaterland die Gnade eines solchen Willens beschieden sein möge".

Im "Deutschen Sozialismus", der 1934 erschien, begab sich Sombart vollends in die Nähe der faschistischen Ideologie. Er beklagte darin den Verlust religiöser Gebundenheit, die Vermassung, das Bevölkerungswachstum, die Verschlechterung der Rasse, die Vergreisung der Völker, die Vereinzelung und Vereinsamung, die Künstlichkeit des Lebens, das Fehlen urwüchsigen Daseins. Der Rückgang der ländlichen Bevölkerung erschien ihm als "schwerer Schaden des deutschen Volkskörpers", das Wachstum der Beschäftigten in Handel und Verkehr als "Geschwulst" und die Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit als "ein dunkler Punkt". Ganz allgemein forderte er die Abkehr vom "ökonomischen Zeitalter" im Sinne kulturkonservativer Vorstellungen, die er sowohl in päpstlichen Enzykliken als auch im Nationalsozialismus zu entdecken vermeinte (278).

Die hier skizzierte Wandlung Sombarts war kein Einzelfall. Dies zeigen die ähnlich gelagerten, wenn auch nicht so krassen Fälle von Max Weber, Karl Lamprecht oder Willy Hellpach. Allen gemeinsam ist, daß sie ursprünglich von Marx beeinflußt waren, aber dessen Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung durch eine psychologisierende Betrachtungsweise, einen Dualismus objektiver und subjektiver Faktoren, ersetzten.

Bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts erwies sich diese Sichtweise als recht fruchtbar, wie Lamprechts Kulturgeschichte, Webers "Protestantische Ethik", Hellpachs frühe sozialpsychologische Schriften oder Sombarts "Der Bourgeois" zeigen. In der orthodox-marxistischen Literatur dieser Zeit wird man vergeblich nach vergleichbar subtilen Studien über den Zusammenhang ökonomischer und geistiger Prozesse suchen.

Mit dem Ersten Weltkrieg stürzte aber diese ganze Feinsinnigkeit in sich zusammen. Aus freischwebenden Geistern wurden Propagandisten des Imperialismus und aus den Trümmern der bürgerlichen Gesellschaft der Vorkriegszeit gingen ehemalige Nonkonformisten plötzlich als Konservative hervor. Gegenüber dem heraufziehenden Faschismus zeigten sie eine eigentümliche Blindheit. Nicht selten leisteten sie ihm sogar ideologische Vorspanndienste. Bei Sombart kam dies in den mehrfachen Überarbeitungen zum Ausdruck, die er dem "Modernen Kapitalismus" und anderen Teilen seines Werks angedeihen ließ.

Sogar die unverändert gebliebenen Teile des Vorkriegs-Werkes entfalteten nunmehr eine andere Wirkung. Sie wurden zwar nicht vom Autor umgeschrieben, aber vom Publikum anders rezipiert. Dies gilt zum Beispiel für "Die Juden und das Wirtschaftsleben" aus dem Jahre 1911. Dieses Buch, das den Beitrag der Juden zur Entwicklung des Kapitalismus in durchaus anerkennender Weise beleuchtet, avancierte in der Nachkriegszeit zum antisemitischen Geheimtip. Was Hitler in "Mein Kampf" über die Dominanz der Juden im Wirtschaftsleben ausführt, ist eine paranoide Umfärbung Sombartscher Thesen.

Bornierte SED-Kritik an Sombart verkennt das entscheidende Moment

Man würde es sich gewiß zu einfach machen, diese erstaunliche Wandlung von Persönlichkeit und Werk mit Opportunismus, manipulativen Absichten oder altersbedingtem Konservatismus erklären zu wollen. Zum Beispiel behauptete eine 1962 in der DDR erschienene Abhandlung über "Werner Sombarts Weg vom Kathedersozialismus zum Faschismus", daß Sombart "ein treuer Diener seiner Klasse" gewesen sei, der "jede Wendung der Klassensituation geschickt mitgemacht" und "den Betrug der Arbeiterklasse zum Beruf" hatte (279).

Eine solche Unterstellung verfehlt gerade das entscheidende Moment der Ideologiebildung. Sie verkennt, daß es eben nicht der Konsens mit der herrschenden Klasse war, der die Theorien eines Sombart, Weber, Lamprecht oder Hellpach hervorgebracht hat, sondern der Dissens. Daß dieser Dissens innerhalb der herrschenden politisch-ideologischen Ordnung verharrte, daß er systemimmanent blieb, ist noch kein Grund, ihm die subjektive Ehrlichkeit abzusprechen. - Es sei denn, man wolle in stalinistischer Manier objektive Faktoren subjektiv zurechenbar machen.

Als Sohn eines reichen Nationalliberalen war Sombart von Haus aus aller materiellen Sorgen enthoben. Sein Lebensziel konnte deshalb kaum darin bestehen, noch mehr Reichtümer anzuhäufen, als sie ihm sein Vater eines Tages hinterlassen würde. Für die kapitalistische Plusmacherei, die ganze "Rechenhaftigkeit" des Zeitalters, hegte er eine ähnliche Verachtung wie Walter Rathenau. Die Überzeugung, daß der Kapitalist ein seelischer Krüppel sei, hat ihn Zeit seines Lebens begleitet: "Wenn er immer wieder nichts tut, als Geschäfte machen, so muß seine Seele schließlich verdorren. Um ihn herum verödet alles, stirbt alles Leben ab, gehen alle Werte unter . . ." (280)

Sombart suchte seine Anerkennung und Selbstbestätigung statt dessen auf geistigem Gebiet. Gerade seine zweifelsfreie Zugehörigkeit zur Bourgeoisie, die ihm materielle Unabhängigkeit sicherte, führte ihn dabei ein Stück weit über seine Klasse hinaus. Durch die Romane von Emile Zola kam er mit sozialistischen Ideen in Berührung. In Italien, wo er sich seiner kränklichen Natur wegen aufhielt, lernte er die Ausbeutung der ländlichen Bevölkerung durch eine parasitäre Grundbesitzerkaste kennen. So erhielt er die Anregung für seine Dissertation über "Die römische Campagna", mit der er 1888 bei dem Nationalökonomen Schmoller promovierte. Anschließend wurde er Syndikus der Bremer Handelskammer. Schmoller hatte ihn inzwischen dem preußischen Kulturdezernenten Althoff als "Talent ersten Ranges" empfohlen. So kam es, daß Sombart mit 27 Jahren auf die neugeschaffene Stelle eines außerordentlichen Professors an die Universität Breslau berufen wurde.

Wäre Sombart der behauptete "treue Diener seiner Klasse" gewesen, so hätte er nunmehr auf die übliche Weise Karriere gemacht. Zum Beispiel hätte er die Theorien von Marx nach Art des Nationalökonomen Julius Wolf als Unsinn "widerlegt". Genau das tat er jedoch nicht. Er verletzte die ungeschriebene akademische Konvention. Er entdeckte das Werk von Karl Marx als epochale Herausforderung. Er nahm Kontakt zu dem Sozialdemokraten Heinrich Braun auf. In Brauns "Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik" veröffentlichte er die Kritik an dem Nationalökonomen Julius Wolf und andere Beiträge. Er äußerte dabei die Überzeugung, daß eine Kritik der marxistischen Theorie nicht in deren Widerlegung, sondern nur in einer Weiterentwicklung bestehen könne. Mit der Widerlegung möge sich "der politische Streber befassen".

Für solche Ketzereien wäre Sombart noch einige Jahre früher aus dem Amt gejagt worden. Unter dem liberalen und weitsichtigen Kulturdezernenten Althoff begnügte man sich damit, ihm die weitere Karriere zu verbauen. Ganze 16 Jahre lang blieb er auf seinem bescheidenen Posten als Extraordinarius sitzen. Wie zum Hohn wurde ihm 1897 Julius Wolf als Breslauer Ordinarius vor die Nase gesetzt. Allein zwischen 1896 und 1907 scheiterten sechs Berufungen nach Freiburg, Heidelberg und Karlsruhe. Wie man heute weiß, hat sich der badische Großherzog persönlich gegen die Berufung Sombarts ausgesprochen.

Als Sombart 1906 einen Ruf an die Handelshochschule in Berlin annahm, tat er dies in der Erwartung, dadurch auch an der Universität lesen zu dürfen. Der Schleichweg zum Lehrstuhl wurde ihm jedoch sofort verbaut. In einer eigens angenommenen "Lex Sombart" schränkte die Fakultät die Zulassung von Dozenten anderer Hochschulen ein.

Noch 1917 - Sombart hatte sich inzwischen durch seine "Händler und Helden" als strammer Gefolgsmann des deutschen Imperialismus profiliert - protestierten zahlreiche Fakultätsangehörige gegen Sombarts Berufung auf den Lehrstuhl für "wirtschaftliche Staatswissenschaften" an der Universität Berlin.

Das preußische Kultusministerium ließ sich aus diesem Anlaß ein ausführliches Gutachten zur politisch-ideologischen Haltung Sombarts erstatten, in dem beschwichtigend festgestellt wurde:

"Sombarts Haltung zum Sozialismus ist eine rein theoretische, wie er überhaupt ein reiner Intellektualist ist. Darum ist er auch ein durch und durch unpolitischer Kopf." (281)

Daß Sombart doch berufen wurde, dürfte er auch der Veränderung der politischen Lage zu verdanken gehabt haben: Die Sozialdemokratie, als deren Sympathisant er galt, durchlief einen schnellen Wandel von der Umsturzpartei zur letzten Hoffnung des Systems. Schon im folgenden Jahr wurde ihr von den herrschenden Kreisen die Teilhabe an der politischen Macht angeboten.

Mit aristokratischer Attitüde in den "Spätkapitalismus"

Mit dem Zusammenbruch des wilhelminischen Systems stürzte auch die soziale Konstellation zusammen, die Sombart zum Dissidenten werden ließ. Wie tief er selbst diese Zäsur empfand, zeigt seine spätere Unterscheidung zwischen "Hoch-" und "Spätkapitalismus", für die er das Jahr 1914 als Wendemarke ansetzte.

Sombarts ausgeprägter Ästhetizismus nahm schon vorher elitär-zynische Züge an. Das platonische Bekenntnis zur Arbeiterbewegung wich zunehmend einer aristokratischen Lebenshaltung. Sombart war auch darin nur ein Interpret des Zeitgeistes. Das Aufkommen einer "aristokratischen Stimmung" wird von Lamprecht geradezu als Grundzug der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnet.

Lily Braun schildert in ihren "Memoiren einer Sozialistin", wie sie in diesen Jahren mit "Prof. Romberg" - ihrem Pseudonym für Sombart - eine Jugendstil-Ausstellung besuchte. Nachdem sie aus dem Reich der Kunst wieder auf die Straße getreten waren, hörte sie Sombart sagen: "Fühlen Sie nicht selbst, wie weltenfern Sie denen stehen, deren ganzes Bedürfnis in etwas mehr Zeit, etwas mehr Brot gipfelt? Sie müssen Ihre Sinne, Ihre Nerven, an deren subtiler Verfeinerung Generationen arbeiteten, gewaltsam abstumpfen, um ihr Sprachrohr werden zu können." (282)

Diesem geistigen Aristokratismus entsprach in den Niederungen der Politik ein recht simpler Sozialdarwinismus. Sombart sympathisierte mit der Arbeiterbewegung nicht aus ethischen Gründen. Er sympathisierte vielmehr mit dem vermeintlich historisch Stärkeren:

"Wir stehen im Klassenkampf, wir müssen in diesem Kampf Partei ergreifen, und zwar nicht für die Schwachen nach christlicher Auffassung, sondern für das höchst entwickelte Wirtschaftssystem, für die den wirtschaftlichen Fortschritt repräsentierende Klasse, das heißt auf Kosten der anderen."

Auf Vorhaltungen seiner revisionistischen Freunde, daß er die imperialistische Außenpolitik der Regierung unterstütze, läßt Lily Braun ihren "Prof. Romberg" antworten:

"Es entspricht der Konsequenz meiner Entwicklung, daß ich für den Kolonialbesitz Deutschlands eintrete und demzufolge für die Flottenvorlage agitiert habe. Traurig genug, daß ihr Sozialisten euch, scheint es, erst belehren lassen werdet, wenn ihr die Macht im Staate habt! Das ist - verzeihen Sie, liebe Freundin! - der unglückselige, feministisch-sentimentale Einschlag in der Sozialdemokratie, der sie für die notwendigen, großen - wenn Sie wollen - grausamen Forderungen der Kultur blind und taub macht. Der Kampf um die Macht ist die Bedingung unserer Entwicklung. Die Frage, die uns die Weltgeschichte stellt, ist einfach die: soll uns die Erde gehören oder den Negern und den Chinesen? Die Antwort erscheint mir nicht zweifelhaft." (283)

Diese Antworten erhellen schlaglichtartig, was Sombart an der Arbeiterbewegung bis zum Ersten Weltkrieg so faszinierte: Es war die Überzeugung, daß das Proletariat im Kampf mit der kapitalistischen Bourgeoisie am historisch längeren Hebel sitzen werde. Er sah im Klassenkampf die innere Seite einer sozialdarwinistischen Veranstaltung, deren äußere Seite die nationalen Gegensätze waren. Mit der Behauptung, die Menschheitsgeschichte sei "entweder ein Kampf um den Futteranteil oder ein Kampf um den Futterplatz auf unserer Erde", leitete Sombart bereits seine Züricher Vorträge aus dem Jahre 1896 ein. Er sah das ganz ähnlich wie Friedrich Naumann, für den die Neuzeit "imperialistisch-proletarisch" daherkam.

In Lily Brauns Memoiren wird über eine Diskussion berichtet, die sich im Anschluß an einen Vortrag Bernsteins entspann. Auf den Einwand eines Nationalsozialen, daß Bernsteins Kritik grundlegende Ideen des Marxismus vernichtet habe, antwortet "Prof. Romberg" alias Sombart:

"Der Bau des marxistischen Systems ist so genial, daß sich Mauern herausbrechen lassen, ohne ihn zu gefährden. Die Tatsache des Klassenkampfes schaffen Sie nicht aus der Welt, sie allein genügt, um die Naturnotwendigkeit des Sozialismus zu beweisen."

Sombart trinkt daraufhin sein Glas leer, erhebt sich mit einem hochmütigen Blick auf die verdutzten Gesichter der Tischgenossen und sagt im Gehen:

"Unser Schicksal ist unentrinnbar, - damit muß man sich abfinden, aber wünschbar - weiß Gott! - ist's für unsereinen nicht. Ich bin bloß froh, daß die berühmte 'lutte finale' sich erst auf meinem Grabe abspielen wird." (284)

Sombart ist somit der Überzeugung, daß er das berühmte letzte Gefecht nicht mehr erleben wird. Er denkt auch nicht daran, sich in dieser Richtung zu engagieren. Den empfindsamen Ästheten schaudert es eher vor den Opfern, die der naturnotwendige, aber grausame Kampf des Proletariats noch kosten wird. Weitaus leichter fällt ihm das Engagement für den anderen Teil der sozialdarwinistischen Veranstaltung, nämlich die imperialistische Kolonial- und Flottenpolitik.

Vermutlich ist keiner der Sätze, die Lily Braun dem "Prof. Romberg" in den Mund legt, wörtlich so gefallen. Sie sind vielmehr eine sinngemäße Zusammenfassung der Standpunkte, die Sombart gegenüber Lily Braun vertreten hat - und das tat er sicher ungeschminkter als in den für die Öffentlichkeit bestimmten Werken. Die Intimität zwischen Sombart und Lily Braun war immerhin so groß, daß sie dem Gatten Anlaß zu Eifersuchtsszenen bot. Heinrich Braun, der viele Schriften Sombarts veröffentlichte, hat den Hausfreund wenig galant als einen Mann charakterisiert, "der den Freien spielt und im Grunde nichts ist als ein Philister". (285)