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Gothic Revival


 

J. A. D. Ingres, Ossians Traum (zum Vergrößern anklicken)

Ein Barde namens Ossian

Wie eine nostalgische Fälschung die gebildete Welt begeisterte

Im Gegensatz zu dem unglückseligen Thomas Chatterton brachte es ein anderer Fälscher zu Ruhm und Reichtum. Der Schotte James Macpherson (1736 - 1796) schwamm ebenfalls auf der Woge des gothic revival. Er griff mit seinem Ossian jedoch noch über das Mittelalter der Burgen, Ritter und Mönche hinaus, indem er Gestalten aus grauer, keltischer Vorzeit erfand. Auch er verband mit seinen Fälschungen dichterischen Ehrgeiz. Auch ihm wurde der Betrug von einer nostalgiesüchtigen Mitwelt sehr leicht gemacht, ja nahegelegt. Im Unterschied zu dem armen Knaben aus Bristol war er aber älter, geschickter, vorsichtiger und skrupelloser. Er gesellte sich nicht zu den Whigs, sondern zu den Tories. Er wurde auch nicht in einem Armengrab verscharrt, sondern erhielt ein Staatsbegräbnis in der Westminster-Abbey, nahe dem "Dichterwinkel". Vor allem aber düpierte er mit seinen Erfindungen nicht bloß die Bildungsphilister einer Stadt wie Bristol, sondern die gesamte gebildete Welt der damaligen Zeit. 1

Macpershons Ossian war ein literarisches Jahrhundertereignis. So hat Goethe ganze Passagen in seine Leiden des jungen Werther übernommen und für den ersten Nachdruck in Deutschland eigenhändig das Titelblatt radiert. Herder ließ sich noch auf dem Totenbett aus dem Ossian vorlesen. Die Begeisterung reichte von Klopstock über Lessing und Schiller bis zu Tieck. In Frankreich pries Madame de Stael den Ossian als Homer des Nordens, für Napoleon war er sozusagen der Barde seiner Herrschaft und auch US-Präsident Jefferson kannte ihn gründlich. Kritische Stimmen gab es noch am ehesten in England, wo der politisch-soziale Hintergrund dieser Fälschung immer präsenter war als anderswo.

Eine Betrügerei braucht nur groß genug sein, um respektabel zu werden. Die Ergriffenheit und Begeisterung, mit der die Gebildeten aller Stände und Länder der Stimme des vermeintlichen Barden Ossian lauschten, verwandelte sich deshalb keineswegs in Nachdenklichkeit und Beschämung, nachdem der Betrug offenbar geworden war. Besonders in Deutschland wurde zäh an der Legende festgehalten, daß Macpherson die Ossian-Gedichte im schottischen Hochland gesammelt, aus dem Gälischen ins Englische übersetzt und allenfalls dichterisch etwas bearbeitet habe. Zumindest wollte man nun dasselbe poetische Genie, das man zunächst dem angeblichen keltischen Barden zuschrieb, dessen Urheber Macpherson zuerkannt wissen.

Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der Eindruck erweckt, die Ossian-Gedichte seien tatsächlich alter keltischer Überlieferung entsprungen. Der Vorwurf, es handele sich um Fälschungen, wird als bloße Behauptung relativiert. Nach der hier gebotenen Darstellung sprach Macpherson seine Verachtung solcher Afterkritik aus, trat aber nicht öffentlich dagegen auf, weil es ihm schmeichelte, daß die Welt ihm ein solches Dichtergenie zutraute.

Aus heutiger Sicht ist die Begeisterung, die der Ossian erregte, nur noch schwer verständlich. Die Verse sind in schwülstig-romantischer Manier geschrieben. Sie beschwören am laufenden Band irgendwelches Schlachtengetümmel vor nebelverhangener Landschaft. Die Geschehnisse, von denen der Barde berichtet, sind in der Regel ziemlich konfus und von einer ermüdenden Monotonie. Den Personen fehlt jegliche Individualität. Die meisten gehören ohnehin zur namenlosen Masse der Krieger. Aber auch die Protagonisten wie Fingal, Oskar oder Cathmor sind eher Charaktermasken als Menschen. Sie haben ihr Menschsein zugunsten eines permanenten Heldendaseins aufgegeben. Ihr Leben besteht nur aus erhabenen Gefühlen, Leidenschaft, Tugend, Ehre, Schlachten, großen Taten. Sie agieren so, wie sich das "gothic revival" das Mittelalter vorstellte. Die Kelten ersetzen dabei die Ritter und melancholische Landschaften die zinnnenbewehrten Burgen. 2

Die Faszination, die von dieser merkwürdigen Mischung lange Zeit ausging, läßt sich noch am ehesten verstehen, wenn man sie mit einer Wagner-Oper vergleicht: Hier wie dort wird die Psychologie und damit die Individualität der Menschen negiert. An ihre Stelle treten geheimnisvolle Mächte, die schicksalhaft alles Geschehen bestimmen. In der Tat müssen die melancholischen Gesänge des Ossian wie psychedelische Musik gewirkt haben. Gerade ihre Monotonie, das "Wigalaweia" des Schlachtenlärms, das Schemenhafte der Figuren und die nebelhafte Entrücktheit der Landschaft scheinen ihren besonderen Reiz ausgemacht zu haben.

Friedrich Schlegel hat den eigenartigen Reiz des Ossian, den er ins Deutsche übersetzte, so empfunden:

Seine Gestalten sind Nebelgestalten und sollen es sein. Aus dem leisen Hauch der Empfindung sind sie geschaffen, und schlüpfen wie Lüfte vorüber. So erscheinen nicht nur jene in Wolken wohnenden Geister, durch welche die Sterne durchschimmern; auch die Gestalten seiner Geliebten deutet Ossian mehr an, als daß er sie darstellte und malte. Man hört ihren Tritt oder ihre Stimme; man sieht den Schimmer ihrer Arme, ihres Antlitzes, wie einen vorübergleitenden Strahl. Ihr Haar fliegt sanft im Winde, so schlüpfen sie her, so vorüber. Gleichergestalt malt er seine Helden, nicht wie sie sind, sondern wie sie sich nahen, wie sie erscheinen und verschwinden. Es ist eine Geisterwelt im Ossian, statt daß in Homer eine leibhafte Körperwelt sich bewegt. 3

Die wichtigste Bedingung, damit diese Mixtur solchen Anklang finden konnte, war aber zweifellos der Glaube, es handele sich tatsächlich um eine Überlieferung aus keltischer Zeit. Ohne diese psychologische Prämisse hätten Macphersons angebliche Bardengesänge vermutlich schon damals so lächerlich gewirkt wie die Homer-Übersetzung, an der er sich später versucht hat, und die in der allgemeinen Heiterkeit über den Homer im Schottenrock unterging.

Sobald man aber der Versicherung Macphersons glaubte, er sei lediglich der Übersetzer von uralten gälischen Texten und habe diese wortwörtlich ins Englische übertragen, mußte sich der Ossian wie eine Offenbarung lesen: Hier fand der Zeitgenosse genau jene Melancholie, jene Nostalgie und jenen Weltschmerz, die sich soeben des ausgehenden 18. Jahrhunderts bemächtigten; und das bei einem keltischen Barden, der nachweislich schon vor eineinhalb Jahrtausenden gelebt hatte. Man entdeckte so eine Naturpoesie, welche die schmeichelhafteste Bestätigung des eigenen Seelenzustands bot.

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