Udo Leuschner / Geschichte der FDP (44) |
15. Bundestag 2002 - 2005 |
"Solange der mich nit anfasst, isset mir ejal", soll Konrad Adenauer gesagt haben, als er mit dem Verdacht konfrontiert wurde, sein Außenminister Heinrich von Brentano sei homosexuell. Für die damalige Zeit war das eine erstaunlich liberale Einstellung, denn Homosexualität war noch strafbar und ein diesbezügliches Strafverfahren hätte das Ende jeder Politiker-Karriere bedeutet - so wie es 1961 dem ersten Wehrbeauftragten Helmut von Grolman erging, nachdem er verdächtigt worden war, mit einem Kellner unerlaubte Kontakte gehabt zu haben.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle riskierte dagegen weder strafrechtliche Verfolgung noch öffentliche Ächtung, als er sich im Juli 2004 bei einer Feier zum 50. Geburtstag der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel erstmals mit einem männlichen Lebenspartner in der Öffentlichkeit präsentierte. Seine Homosexualität war längst kein Geheimnis mehr, obwohl seine PR-Berater eine Zeitlang versucht hatten, ihn zum heterosexuellen Junggesellen und Traum aller Schwiegermütter zu stilisieren, der nur aus Mangel an Gelegenheit noch nicht die passende Frau gefunden habe.
Allenthalben wurde über Westerwelles Veranlagung gestichelt. Vor allem die Homo-Szene mokierte sich über das Versteckspiel des schwulen Parteivorsitzenden. Selbst im Bundestag kam es zu einer diskreten Anspielung, als der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering die politischen und sexuellen Präferenzen des FDP-Chefs zur Witzfigur einer neoliberalen Tunte zusammenfügte: "Wenn ich Herrn Westerwelle höre, dann sehe ich Frau Thatcher schon ihr Handtäschchen schwingen."
Das Bundestagsprotokoll vom 14. März 2003 vermerkte an dieser Stelle "Heiterkeit und Beifall" bei den Regierungsparteien. Westerwelle reagierte blitzschnell, indem er sich der Handtasche einer Kollegin bemächtigte und diese unter "Heiterkeit im ganzen Hause" hochhielt.
Müntefering stichelte weiter: "Herr Westerwelle, das habe ich doch vermutet." Und Westerwelle antwortete: "Nein! Das haben Sie gewußt, mein Lieber!"
Ziemlich grobschlächtig war dagegen das Pamphlet "Klartext", in dem Jürgen Möllemann behauptete, Westerwelle werde aufgrund dunkler Punkte in seiner Vita vom israelischen Geheimdienst erpreßt. Die eigentliche Infamie bestand dabei nicht in der Anspielung auf Westerwelles Homosexualität, sondern in der Andeutung, daß damit strafbare Erpressungsgründe verbunden sein könnten.
Die bloße Homosexualität von Politikern konnte inzwischen kaum noch als Karrierehindernis gelten. Der SPD-Politiker Klaus Wowereit brachte es 2001 mit dem Spruch "Ich bin schwul und das ist auch gut so!" sogar zum Regierenden Bürgermeister von Berlin. Mit dem dadurch ausgelösten Medien-Getöse verdeckte er erfolgreich, daß er kaum über andere Qualitäten verfügte. Das Erstaunen war deshalb groß, als Wowereit Ende 2004 bei einem Fernsehauftritt einen einfachen PISA-Test nicht lösen konnte: Weder wußte er, wie lange der Zweite Weltkrieg gedauert hatte, noch konnte er "Rhythmus" richtig buchstabieren. Bei der Lösung der Rechenaufgabe 3 + 8 x 2 kam er sogar aus völlig unerfindlichen Gründen auf die Zahl 20....
"Jetzt haben Sie die Chance verschenkt, der erste politische Bekenner zu sein", sagte Möllemann zu Westerwelle, als Wowereit sein Schwulsein erfolgreich an die große Glocke gehängt hatte. So kolportierte es jedenfalls der Möllemann-Intimus Goergen in seinem Buch "Skandal FDP".
Im August 2003 wehrte sich der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erfolgreich gegen den Versuch seines Koalitionspartners Ronald Schill, ihn wegen seiner - bis dahin als Privatsache behandelten - sexuellen Veranlagung unter Druck zu setzen. Schill glaubte herausgefunden zu haben, daß Justizsenator Roger Kusch der Intimpartner des Bürgermeisters sei und nur deshalb von Beust in den Senat geholt worden sei. In Wirklichkeit pflegten beide Politiker zwar enge freundschaftliche und geschäftliche Beziehungen, waren aber nicht auf dieser Ebene verbandelt. Als Schill dem Bürgermeister unter vier Augen mit der öffentlichen Enthüllung der vermeintlichen Beziehung drohte, tat Beust das einzig Richtige, indem er ihn aus dem Zimmer warf und auf der Stelle als Innensenator entließ. Auch die Schill-Partei trennte sich von ihrem Gründer und Namensgeber. Prompt stieg Ole von Beusts Sympathiekurve: Bei den folgenden Hamburger Wahlen im Februar 2004 konnte die CDU ihren Stimmenanteil in spektakulärer Weise von 26,2 auf 47,2 Prozent erhöhen. Die Schill-Partei behielt kein einziges ihrer 26 Mandate.
Die Illustrierte "stern" schrieb damals mit Blick auf Westerwelle: "Mit Ole von Beust hat ein schwuler Christdemokrat, der sich zu seiner Orientierung bekennt, eine absolute 'bürgerliche' Mehrheit erobert. Es gibt Liberale, denen der Mut dazu fehlt."
Westerwelle ging also wirklich kein großes Risiko ein, als er sich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit mit dem 36jährigen Michael Mronz zeigte und via "Bild-Zeitung" öffentlich kundtat, was ohnehin schon fast jeder wußte. Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki gratulierte über die Medien mit wohlgesetzten Worten: "Ich freue mich für Guido, daß er einen Lebenspartner gefunden hat. Denn nichts ist wichtiger im Leben als eine stabile Zweierbeziehung."
Problematischer wurde es, als Westerwelle kurz darauf im "Spiegel" die volle Gleichbehandlung von homo- und heterosexuellen Partnerschaften forderte. So wollte er das Adoptionsrecht, das nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz nur für leibliche Kinder eines schwulen Partners gilt, auf alle "festen gleichgeschlechtlichen Paare" ausweiten. Ferner sollten solche Paare künftig in den Genuß des Ehegatten-Splittings kommen.
Unionspolitiker machten sofort deutlich, daß hier die Verbeugung vor der "political correctness" aufhörte und eine derartige Gleichstellung für sie keinesfalls in Frage kam. "Wir brauchen nicht mehr Schwule, sondern Familien, die Kinder kriegen und großziehen", meinte der Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm. "Dafür gibt es keine Mehrheit", erklärte kategorisch der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl. Ähnlich äußerte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel. Allerdings signalisierte die Union ihre Bereitschaft, bei einer Koalition mit der FDP auf die ursprünglich angekündigte Rückgängigmachung des Lebenspartnerschaftsgesetzes der rot-grünen Regierung zu verzichten.
In der FDP wurde Westerwelles neue Rolle als Schwulen-Vorkämpfer mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Dem hessischen FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn gingen Westerwelles Vorstöße "eindeutig zu weit." Solche Positionen könnten die FDP Wählerstimmen kosten, gab er zu bedenken.
Verluste an Wählerstimmen waren auch deshalb zu befürchten, weil einem bekennenden Schwulen an der Spitze der Partei kaum ein hinreichendes Verständnis für die Probleme von Normalfamilien zuzutrauen war. Die FDP hatte dieses Gebiet seit jeher vernachlässigt. Sie war die typische Partei für gutverdienende Alleinstehende und Ehepaare mit möglichst wenig Kindern.
"Westerwelle und Gerhardt nehmen das Wort Familie nicht in den Mund; das ist offenbar ein Unwort für beide", beklagte sich die familienpolitische Sprecherin der Partei, die FDP-Bundestagsabgeordnete Ina Lenke, im Januar 2005. Die FDP dürfe nicht nur gutverdienende Kinderlose ansprechen, sondern müsse sich auch der Probleme junger Familien annehmen. Man sei in der Parteizentrale wohl der Meinung, daß Familienpolitik das klassische Wirtschaftsbürgertum abschrecke.
Aus der Sicht von Wahlstrategen war natürlich das Stimmenpotential der Homosexuellen auch nicht zu verachten. In konzentrierter Form hätte es sicher ausgereicht, die FDP weit über die Fünf-Prozent-Hürde zu heben. Aber mit Westerwelle waren hier kaum Punkte zu machen. Als politische Interessenvertretung der homosexuellen Klientel hatten sich längst die Grünen mit ihrem Abgeordneten Volker Beck positioniert. Für SPD und Union war Homosexualität ebenfalls kein Stigma mehr, wie Klaus Wowereit und Ole von Beust zeigten, die immerhin zwei Bundesländer regierten.
Mit seinem Vorstoß für das uneingeschränkte Adoptionsrecht und das Ehegatten-Splitting für homosexuelle Paare versuchte Westerwelle wohl, diese reichlich vorhandene und bereits gut etablierte Konkurrenz zu übertrumpfen. Er stieß damit nicht nur solche FDP-Wähler vor den Kopf, die immer noch einen - und sei es nur steuerlichen - Unterschied zwischen Ehe und "Homo-Ehe" gemacht sehen wollten. Er rief auch gereizte Reaktionen bei Homosexuellen hervor, die ihm vorwarfen, der bloßen Effekthascherei wegen den Bogen des politisch Möglichen zu überspannen und damit das bereits Erreichte in Form des mehrfach verbesserten Lebenspartnerschaftsgesetzes zu gefährden.
Unterdessen widmete sich der Bundestagsabgeordnete und neue Generalsekretär Dirk Niebel der heterosexuellen Wählerschaft der FDP, indem er seit April 2004 regelmäßig Kolumnen für das Soft-Porno-Blättchen "praline" verfaßte. Da die klassische Wählerschaft der FDP nicht in diesem schmuddeligen Umfeld zu suchen war, handelte es sich wohl um den kühnen Versuch, völlig neue Wählerschichten zu erschließen und den Begriff Volkspartei im Sinne von "Pöbel" neu zu besetzen.
Zwar erteilte Niebel keine Ratschläge, wie Mann und Frau am besten zum Höhepunkt der Lust gelangen und wer dabei wie auf wem zu liegen habe. Der ehemalige Arbeitsamtsangestellte hielt sich vielmehr brav an sein Fachgebiet, das ihn in der FDP zum Experten für Arbeitsmarktpolitik prädestiniert hatte. Zwischen "Komm auf meine Lustmatratze" und den "schönsten Sex-Positionen auf Teppich & Parkett" gab er Ratschläge zur Neuregelung der Arbeitslosenunterstützung nach "Hartz IV" oder verurteilte die Zunahme der Schwarzarbeit.
Kein Zweifel: Die FDP hatte endlich ihr Herz für die Minderbemittelten entdeckt. Und endlich hatte sie auch erkannt, wie der Arbeitslosigkeit wirksam zu begegnen war: Unter der Parole "Mit Niebel und der Praline gegen Arbeitslosigkeit" starteten der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP und der Heinrich-Bauer-Verlag gemeinsam eine "Job-Offensive", die zumindest die Arbeitsplätze bei dem Schmuddelblättchen etwas gefestigt haben könnte.
Stolz verschickte Niebel von seiner ersten Kolumne in der "praline" fünfzig Exemplare an Parteifreunde. Allerdings nur die Seite mit den Arbeitsmarkt-Tips. Vorsorglich hatte er sich ausbedungen, daß auf dieser Seite keine koitierenden Paare zu sehen sein durften.
Auf pikierte Nachfrage seiner Heimatzeitung lief der wackere Bekämpfer der Arbeitslosigkeit zu liberaler Hochform auf: "Wer sein ganz persönliches Stilempfinden wichtiger nimmt als den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, sollte sich fragen, ob seine Maßstäbe den Problemen unserer Zeit entsprechen."
Ab September 2004 schrieb auch die frisch gewählte Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin für "praline", indem sie echte oder angebliche Leserfragen zur Europäischen Union beantwortete. Beispielsweise rechnete sie vor, daß die 900 Millionen Euro für die Übersetzungsdienste der EU jeden Bürger jährlich nur den Preis von einer Tasse Cappuccino kosten würden.
Auf den Umgang mit Medien verstand sich Koch-Mehrin bereits: Die Zeitschrift "Freundin" hatte sie deshalb zur "Frau des Jahres 2000" gekürt. Ein ausgesprochenes Männer-Sexblatt fehlte aber noch in ihrem medialen Portefeuille.
Anfang März 2005 schloß Koch-Mehrin eine weitere Lücke, indem sie ihren nackten Bauch, mit dem sie im achten Monat schwanger war, in Großaufnahme in der Illustrierten "stern" präsentierte. Natürlich ging es auch hier um höhere Ziele als um die Schaulust des Publikums und den Ehrgeiz einer Selbstdarstellerin: Die Bilder seien ein "dramatisches Zeichen der Emanzipation", versicherte die 34jährige FDP-Politikerin, die in Brüssel mit einem irischen Juristen zusammenlebte, von dem sie bereits ein Kind hatte.
Bei soviel liberaler Vorurteilslosigkeit und selbstlosem Körpereinsatz war es vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis Dirk Niebel und Silvana Koch-Mehrin auch als Akteure im Bildteil der "praline" auftauchen würden...