Udo Leuschner / Geschichte der FDP (37)

14. Bundestag 1998 - 2002


Die FDP mutiert zur "Spaßpartei"

Ein neoliberaler Einpeitscher entwirft für Möllemann und Westerwelle die neue Wahlkampfstrategie

In enger Verbindung mit dem "Projekt 18" ist die Entwicklung der FDP zu einer sogenannten Spaßpartei zu sehen, die spätestens im Wahljahr 2002 das Bild der Partei prägte. Diese Verbindung kam etwa darin zum Ausdruck, daß Westerwelle sich nun doch zum "Kanzlerkandidaten" der FDP ausrufen ließ, seine Schuhsohlen mit einer aufgemalten "18" in die Fernsehkameras streckte, mit einem blau-gelb gestrichenen "Guidomobil" durch die Lande tourte oder in der TV-Show "Big Brother" auftrat, die an primitive voyeuristische Instinkte appellierte.

So richtig seriös wirkte die FDP schon seit 1968 nicht mehr, als sie auf Anraten einer Werbefirma ihren Partei-Kürzel mit drei Pünktchen verunziert hatte. Die affektierte Schreibweise sollte die Partei unterscheidbarer machen von den Kürzeln anderer Parteien, die ebenfalls aus drei Versalien bestanden. So die offizielle Begründung. Sie spielte aber auch mit Elementen der Popkultur, indem die altväterlichen Pünktchen eine Gediegenheit beschworen, die sie im selben Moment negierten. Viele alte FDP-Mitglieder empfanden die Pünktchen immer als Fremdkörper, die der Partei von irgendwelchen Werbe-Fuzzis aufgenötigt worden waren.

So trauerte auch kaum jemand den Pünktchen nach, als der Düsseldorfer Parteitag sie im Mai 2001 nach fast 33 Jahren beseitigte und ein neues Parteilogo beschloß. FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz begründete die Änderung mit der Notwendigkeit, daß ein Logo in Sekundenbruchteilen erkennbar sein müsse. Da seien Punkte ebenso fehl am Platz wie zusätzliche Wörter. Außerdem lasse sich die FDP mit Pünktchen nicht im Internet darstellen.

Die albernen Pünktchen waren freilich eine Lappalie im Vergleich zu dem, was die Parteiführung nun den Mitgliedern zumutete: Eine Mischung aus Pop und Populismus, die der FDP neue Wählerkreise erschließen und sie in die ersehnten Höhen von 18 Prozent katapultieren sollte.

Das "Projekt 18" kam aus der Küche Möllemanns, der sich mit ähnlichem Klamauk seit Jahren erfolgreich in die Medien brachte. Der eigentliche Koch war aber der Möllemann-Berater Fritz Goergen.

Fritz Goergen hieß früher Fritz Fliszar. Unter diesem Namen war er von 1979 bis 1983 Bundesgeschäftsführer der FDP. Anschließend fungierte er bei der parteieigenen Friedrich-Naumann-Stiftung von 1982 bis 1992 als Geschäftsführer sowie bis 1996 als geschäftsführendes Vorstandsmitglied. Wie Möllemann war er ein Zögling Genschers, der ihn in den siebziger Jahren zunächst als stellvertretenden Bundesgeschäftsführer eingestellt hatte. Bei dem von Genscher betriebenen Bruch der sozialliberalen Koalition und der erneuten Hinwendung der FDP nach rechts agierte Fliszar hinter den Kulissen als wichtiger Helfer. "Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom", pflegte er damals zu sagen. Als Chef der Friedrich-Naumann-Stiftung machte er dann mit neoliberalen Rezepturen von sich reden, die in ihrer Schamlosigkeit sogar der eigenen Partei zu weit gingen. Anstoß erregte auch, wie er Gelder der Stiftung beispielsweise für einen sündhaft teuren Dienstwagen verschleuderte. Es kam zu Ermittlungen wegen Verdachts der Untreue.

Als neoliberaler Einpeitscher hinter den Kulissen dürfte Fliszar nicht ganz unschuldig an dem fatalen Wort von der "Partei der Besserverdienenden" gewesen sein, das dann dem unglücklichen Generalsekretär Werner Hoyer über die Lippen kam und die liberale Schwindsucht der FDP auf die trefflichste Weise offenbarte. Zuletzt hatte er noch in der Programmkommission der "Wiesbadener Grundsätze" mitgewirkt, die der neoliberalen Parteiideologie eine gefälligere Verpackung verleihen sollten. Nach einem Zerwürfnis mit Otto Graf Lambsdorff zog er sich aber 1996 aus der Politik zurück und gründete eine Agentur für Trendanalysen und Prognosen. Zugleich nahm er den Nachnamen seiner Frau an und nannte sich fortan Fritz Goergen.

Systematische Regelverletzungen als Erfolgsrezept

Drei Jahre später kehrte Goergen alias Fliszar wieder in die Politik zurück, indem er auf Wunsch Möllemanns dessen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen leitete. Da Goergen auf Honorarbasis arbeitete, konnten er und Möllemann die Art der Wahlkampfführung weitgehend autonom bestimmen. Es war Goergens Idee, die am Boden liegende Landespartei, die zuletzt nur noch vier Prozent erreicht hatte, durch die damals kühn erscheinende Zielmarkierung von acht Prozent am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Zugleich entwickelte der gebürtige Österreicher ein auf die mediale Vermittlung von Emotionen und diffuser Ressentiments gestütztes Wahlkampfkonzept, das die FDP zu einer Protestpartei ähnlich der FPÖ machte und Möllemann zu einem Volkstribun nach Art von Haider stilisierte. Ein wichtiger Bestandteil dieses Konzepts waren systematische "Regelbrüche". Zum Beispiel entstand in Goergens "Werkstatt 8" - die 8 stand für das Wahlziel von acht Prozent - der Entwurf für ein Plakat, das ein Bild Adolf Hitlers mit dem Spruch zeigte: "Wenn wir nicht schnell für mehr Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche."

Das Wahlergebnis zeigte, daß diese dümmlich-provozierende und im Grunde apolitische Art der Ansprache tatsächlich ankam. Anstelle der angepeilten acht Prozent erreichte die FDP sogar fast zehn Prozent. Sie hatte sich, wie ein Journalist schrieb, erfolgreich zur "kleinen Volkspartei des Protests, zum Auffangbecken für Suchende, Bindungslose und (Ver-)Zweifelnde" gemausert.

Der "Werkstatt 8" folgt das "Team 18"

Möllemann war anscheinend überzeugt davon, daß die nordrhein-westfälische SPD die aus der Versenkung wiederauferstandene FDP anstelle der Grünen zum neuen Koalitionspartner erwählen und er selber ein Ministeramt erlangen würde. Umso größer war seine Enttäuschung, als es in Düsseldorf erneut zu einer rot-grünen Koalition kam. Aus "fröhlichem Zorn" (Goergen) über die Zurückweisung durch die SPD entstand daraufhin das "Projekt 18" als bundesweite Zielmarke für das Abschneiden der FDP beim bevorstehenden Bundestagswahlkampf. Sie ergab sich - wie schon zuvor die Zielmarke von acht Prozent - aus der einfachen Verdoppelung des tatsächlich in Nordrhein-Westfalen erzielten Wahlergebnisses, wobei sie dieses Mal als Vorgabe für ganz Deutschland gelten sollte.

Es verstand sich von selbst, daß dieses mehr als ehrgeizige und schon größenwahnsinnig anmutende Ziel nur mit denselben Methoden wie in Nordrhein-Westfalen erreicht werden konnte. Folgerichtig wurde aus dem Möllemann-Berater Goergen nun einer der Berater Guido Westerwelles. Ab Januar 2002 gehörte Goergen zu Westerwelles "Team 18". Er blieb aber weiterhin seinem alten Auftraggeber Möllemann verbunden, der Westerwelle zuvor vergebens angeboten hatte, die Führung des Bundestagswahlkampfes zu übernehmen.

FDP koaliert in Hamburg mit der "Schill-Partei"

Bestärkt fühlen durften sich die Verfechter des "Projekts 18" durch die Verluste, welche die FDP kurz nach den Höhenflügen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erlitt: In beiden Ländern war der Landtagswahlkampf in konventioneller Weise geführt worden.

Noch mehr Auftrieb bekamen Möllemann und andere Kritiker des bisherigen Auftretens der FDP durch die Hamburger Wahlen am 23. September 2001: Hier errang die rechtspopulistische "Schill-Partei" auf Anhieb 19,4 Prozent. Die seriös agierende FDP kam dagegen nur auf 5,1 Prozent und hätte damit fast wieder den Einzug in die Bürgerschaft verfehlt.

Innerhalb der Hamburger Partei war zunächst stark umstritten, ob man sich an einer Koalition mit der CDU und den großmäuligen Rechtspopulisten um den ehemaligen Richter Ronald Schill beteiligen dürfe. Am Ende billigten die Parteigremien dann aber doch das von der Parteiführung ausgehandelte Regierungsbündnis unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU), in dem die FDP mit Rudolf Lange (Schule) einen von elf Senatoren stellen durfte.

Triumphaler Erfolg in Sachsen-Anhalt erschließt völlig neue Wählerkreise

Eine andere Quelle, die den Wandel zur populistischen "Spaßpartei" speiste, war der Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt, wo die FDP am 21. April 2002 von 4,2 auf 13,3 Prozent zulegte und damit die in Nordrhein-Westfalen gesetzte Marke noch übertraf. Auch hier war es durch eine populistische Art der Ansprache gelungen, diffuse Unzufriedenheit in Wählerstimmen umzumünzen. Die Spitzenkandidatin Cornelia Pieper hatte auf ihren Briefbögen als "Ministerpräsidentin für Sachsen-Anhalt" firmiert, was noch mehr Hochstapelei war als die von Möllemann geforderte Proklamierung eines Kanzlerkandidaten. Aufgrund des stolzen Wahlergebnisses hätte sie zwar nicht Ministerpräsidentin, aber immerhin stellvertretende Ministerpräsidentin und eine von drei FDP-Ministern in der neuen Koalitionsregierung mit der CDU werden können. Dies aber lehnte Pieper zur Verärgerung ihrer Parteifreunde ab, weil sie lieber Generalsekretärin der FDP sowie Fraktionsvorsitzende im Landtag bleiben wollte. Anscheinend dachte sie bereits an die Verteilung der Ministerposten in einer künftigen Bundesregierung...

Die Analyse des Wahlergebnisses in Sachsen-Anhalt ergab, daß die FDP insgesamt 42000 Wähler von der SPD abziehen konnte und sogar von vorherigen PDS-Wählern 11000 Stimmen erhielt, während die Alimentierung durch die CDU nur 13000 Stimmen ausmachte. Außerdem bekam sie 8000 Stimmen von vorherigen Wählern der rechtsextremistischen DVU (die bei dieser Wahl nicht antrat). An die neue "Schill-Partei", mit der sie als Protestpartei konkurrierte und die mit 4,5 Prozent nicht in den Landtag gelangte, verlor sie lediglich 1000 Stimmen. Offenkundig war hier der Vorstoß in völlig neue Wählerschichten gelungen. Eine Partei, die traditionell auf Wähler mit Besitz und Bildung setzte, fand plötzlich Zuspruch von Arbeitern und einfach strukturierten Geistern.

Eine Nonsens-"Spaßpartei" erringt auf Anhieb 0,7 Prozent

Aber durfte kurzfristiger Wählerfang für eine liberale Partei Selbstzweck sein? - Welchen Treibsand gerade die Wählerschaft im Osten darstellte, hatte die FDP erst vor kurzem erfahren müssen, als sie aus der Höhe zweistelliger Ergebnisse in die Verbannung aus sämtlichen Landtagen abstürzte.

Daß Quantität nicht Qualität bedeutete, zeigte eine obskure "Spaßpartei", die tatsächlich so hieß und bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt aus dem Stand auf 0,7 Prozent kam. Die zwölf Wochen alte Nonsens-Partei überrundete mühelos alte Polit-Gruppierungen wie DKP/KPD (0,1) oder ödp (0,1). Von diesem "sensationellen Ergebnis" gegenüber anderen Kleinparteien ermutigt, kündigte die Spaßpartei die Gründung weiterer Landesverbände sowie die Überrundung der Grünen bei den Bundestagswahlen an.

Anbiederung an die "Love-Parade"

Zum "Spaßwahlkampf" der FDP paßte die Anbiederung an die Berliner "Love-Parade", bei der Massen junger Menschen zu den Klängen maschinell erzeugter "Techno-Musik" in ekstatische Zuckungen verfallen. Die Berliner Jungen Liberalen entblödeten sich nicht, für die Genehmigung dieses stumpfsinnigen Spektakels als "politische Demonstration" einzutreten. Es handele sich dabei um "ein bedeutendes kulturelles Ereignis und eine eindrucksvolle Jugenddemonstration für Frieden und Freiheit", die außerdem "ganz ohne Fördermittel der Kulturbürokratie von privater Seite veranstaltet" werde. Notfalls seien die Jungen Liberalen bereit, auf Wunsch der Veranstalter als Mitveranstalter aufzutreten, "um den politischen Charakter der Demonstration zu unterstreichen".

Presseberichten zufolge bot die FDP sogar an, einen der 45 Klamauk-Wagen der "Love-Parade" zu sponsern. Die Veranstalter hätten ihr aber eine Absage erteilt, weil sie bewußt darauf achten wollten, sich im Bundestagswahlkampf nicht für eine bestimmte Partei einzusetzen. Die FDP ließ diese Meldung umgehend dementieren und behauptete, weder die Partei noch die Jungen Liberalen hätten jemals um die Teilnahme an der "Love-Parade" gebeten.

Das war aber auch gar nicht nötig, da der Wahlkampf der FDP in vieler Hinsicht selber an den Stumpfsinn der "Love-Parade" gemahnte. Er war insoweit noch schlimmer, als er die inhaltliche Leere der Popkultur mit demagogischen Tönen à la Haider verband, an Ressentiments statt an den Verstand appellierte und von neoliberalen Zynikern nach dem Motto "Die Welt will nun mal betrogen sein" inszeniert wurde.

Irgendwie konnte man allerdings auch Mitleid mit Guido Westerwelle haben, wenn er seine Etappen mit dem albernen "Guidomobil" absolvierte oder seinen Kopf sogar in Fernseh-Kloaken wie "Big Brother" steckte. - Immer verbindlich lächelnd, burschikos grinsend oder zur Abwechslung mal auch staatsmännisch-ernst; immer die Selbstkontrolle in Person, ein auf TV-Kameras geeichter Polit-Zombie, der sogar einem Gerhard Schröder den Rang ablief. Privat, so hörte man, würde der notorische Junggeselle die Bilder des ostdeutschen Malers Norbert Bisky sammeln, dessen Spezialität blonde Jünglinge waren. Eine Journalistin wollte darin gar "Nazi-Buben" erkennen. - Vielleicht war die geschmackliche Zumutung für Westerwelle gar nicht so groß, wie es schien...

Der Spaßwahlkampf der FDP war insgesamt von Spaß so weit entfernt wie vom Liberalismus. Er erinnerte an eine Prunksitzung des Kölner Karnevals, bei der sich gesetzte Herrschaften mit todernstem "Alaaf!" die Narrenkappe aufsetzen und gar nicht merken, wie närrisch ihre Veranstaltung tatsächlich ist.

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