Noch nie wurden aus den Spalten einer Zeitung solche Töne vernommen: Eine Ausgabe des "Wächters am Rhein" vom 6. Mai 1832 (zum Vergrößernanklicken).


Der Wächter am Rhein

(1. April - 26. Juli 1832)

Die Julirevolution von 1830 fand in Baden begeisterten Widerhall. Es setzte jener liberale Frühling ein, den Blittersdorf in seinem zitierten Brief "der damaligen fast rätselhaften Verzauberung der Regierungen und der ebenso unbegreiflichen Verblendung vieler Staatsmänner" zuschrieb. Tatsache war, daß sich das feudale Regime unter dem Druck des Volkes zu Konzessionen bereit erklären mußte. Hierzu zählte das badische Pressegesetz von 1832. Erstmals seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 wurden der Presse wieder größere Freiheiten zugestanden. Besonders wichtig war, daß die Vorzensur und der Privilegierungszwang entfielen. Unmittelbar nach Inkrafttreten des neuen Pressegesetzes, ab 1. April 1832, erschien in Mannheim die erste Zeitung mit bürgerlichem Hintergrund. Sie nannte sich "Der Wächter am Rhein", im Untertitel "Ein deutsches Volksblatt".

Der Wächter kam täglich in der Druckerei von Kaufmanns Witwe heraus und kostete vierteljährlich zwei Gulden. Herausgeber war der 27jährige Kameralpraktikant Franz Stromeyer, Sohn des Amtsphysikus von Tauberbischofsheim. Da Stromeyer noch nicht das pressegesetzlich vorgeschriebene Alter von dreißig Jahren erreicht hatte, zeichnete an seiner Stelle ein gewisser Franz Schlund verantwortlich. Dessen Stand wurde im Einwohner-Adreßbuch mit "Bürger und Ackersmann" angegeben, und höchstwahrscheinlich hatte Stromeyers Sitzredakteur in seinem Leben mehr Ackerfurchen gezogen als Zeilen mit Tinte und Papier verfertigt...

Obwohl die neue Zeitung nur wenige Wochen erschien, begann mit ihr ein neues Kapitel in der Mannheimer Pressegeschichte. Noch nie wurden in den Spalten einer Zeitung solche Töne vernommen. Noch nie hatte sich eine Zeitung erdreistet, das gütige Regiment des Landesvaters als "Zwingherrschaft" zu bezeichnen. Erst jetzt wurde der Modergeruch, der die anderen Blätter umgab, so richtig erkennbar.

In Kreisen der deutschen Regierungen rätselte man zunächst über die Hintermänner des "Wächters am Rhein". Man glaubte, den eigentlichen Herausgeber in Siebenpfeiffer suchen zu müssen, den früheren Herausgeber des "Westboten", der am 2. März 1832 zusammen mit Wirths "Deutscher Tribüne" vom Bundestag verboten worden war. Es lag nahe, daß sich Siebenpfeiffer das liberale badische Pressegesetz zunutze machen würde, um seine Tätigkeit fortzusetzen. Vor allem hätte dies für die Fürsten den Vorzug gehabt, den Wächter als Fortsetzung eines verbotenen Blattes einfach unterdrücken zu können, zumal Siebenpfeiffer selbst mit einem fünfjährigen Redaktions-Verbot belegt worden war.

Tatsächlich zählte Siebenpfeiffer zu den namentlichen Mitarbeitern des Wächters und kümmerte sich nicht um das Schreibverbot, wie auch seine Pläne zur Herausgabe des "Hausfreunds" zeigten. In der Ausgabe vom 13. April denunzierte Siebenpfeiffer etwa die Lumpenjournaille des Feudalismus, die "erkauften Hofzeitungsschreiber" genauso wie die "Halbherzigen", die sich mit Floskeln wie "der Allverehrte" oder "der Hochgeliebte" vor dem Vorwurf des Preßmißbrauchs zu schützen hofften.

Die großherzogliche Regierung leitete eine Untersuchung ein, um festzustellen, ob Siebenpfeiffer oder vielleicht auch Itzstein der eigentliche Herausgeber des Wächters sei. Vermutlich ging diese Untersuchung nicht ganz so geräuschlos vor sich, denn ab 13. Mai bekannte sich Stromeyer plötzlich als Herausgeber, während Schlund weiterhin die redaktionelle Verantwortlichkeit übernahm. Einige Tage zuvor hatte Siebenpfeiffer schon das Probeblatt des "Hausfreunds" herausgebracht, so daß die jeweiligen Verantwortlichkeiten als geklärt erscheinen mußten.

Auch die fürstentreue Presse ließ es nicht an Anfeindungen fehlen. Das Frankfurter Journal mokierte sich über den Strohmann Schlund: "Als Redakteur ist ein Fr. Schlund unterzeichnet. Spottvögel behaupten, dieser Name sei unterstellt und bedeute den Schlund, in welchen der Wächter am Rhein fallen könne und werde, wenn er sich beigehen lasse, zu grell in sein Horn zu blasen." Der junge Stromeyer schlug diese Warnung in den Wind. In seiner Replik auf den Angriff des Frankfurter Journals schrieb er: "Die schlechteste von allen Empfehlungen ist jene des sogenannten Mittelwegs. Er ist ein bezaubernder Pfad, auf dem man fortschreitet, ohne vom Fleck zu kommen, der Lieblingsgang aller Schwachköpfe, Faulenzer und Sclaven!"

Anstatt "dem deutschen Volk zu erzählen, wann irgend eine hohe Wöchnerin das Milchfieber hat", brachte der Wächter eine Extra-Beilage zur Revolution in Polen oder ketzerte gegen den Mechanismus der herrschenden Gewalt. In der Ausgabe vom I8. Mai findet sich etwa folgende, zeitlos anmutende Erkenntnis:

Die Einen gewinnt der Zwingherr, indem er sie theilnehmen läßt an seinem Raube. Er macht sie zu Bevorrechteten, zu Aristokraten, gibt ihnen Steuerfreiheit, Zehnten usw. und kettet sie so an sein Interesse. Die Anderen macht der Zwingherr dumm. Er läßt ihnen durch Aberglauben das Licht des Verstandes umnebeln; läßt ihnen durch bevorrechtigte Priester lehren, daß Er von Gottes-Gnaden geboren sey um zu herrschen, und sie, um unbedingt zu gehorchen, bei Strafe des höllischen Feuers.

Solche Töne mußten der badischen Regierung sauer aufstoßen. Schon bald nach Erscheinen der ersten Nummern erhielt der Direktor des Mannheimer Lyceums von der Regierung des Unterrheinkreises den Auftrag, den verantwortlichen Redakteur Franz Schlund einer Prüfung über seine Geistesfähigkeiten zu unterziehen. Da hiergegen heftig protestiert wurde, nahm man von der Prüfung Abstand. Dagegen verlangte man vom Stadtrat die alsbaldige Vorlage eines Zeugnisses, ob Schlund "nach der allgemeinen Notorietät die Kenntnisse und Fähigkeiten, welche ein Redakteur innehaben solle, wirklich besitze". Der Stadtrat berichtete: Über die Geistesfähigkeit des Bürgers Schlund habe sich die Notorietät seines Wissens noch nicht ausgesprochen; auch habe er auf anderem Wege keine Gelegenheit, sich von dem Umfange seiner Geistesgaben zu überzeugen; man könne daher weder zu seinen Gunsten noch zu seinem Nachteile ein Zeugnis ausstellen.

Es versteht sich von selbst, daß der Wächter eifrig das Hambacher Fest vom 27. Mai propagieren half, auf dem Siebenpfeiffer und Wirth als Hauptredner auftraten. Unterdessen häuften sich bei der Staatsanwaltschaft die Prozeßakten, bald kam es auch zu Beschlagnahmungen einzelner Nummern durch die Polizei. Nach dem Hambacher Fest verschärfte die Reaktion ihr Vorgehen. Schlund wurde wegen eines Artikels des "attentiven Hochverraths" beschuldigt und zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Auch Stromeyer sollte wegen Preßvergehens zwei Monate Gefängnis absitzen. Der Vollzug der Strafe wurde aber ausgesetzt, nachdem er Berufung an das Oberhofgericht einlegte.

Vielleicht dachte Stromeyer nun an Flucht, was ihm kaum jemand verübelt hätte, vielleicht wollte er auch tatsächlich nur seine erkrankte Schwester in Duderstadt besuchen. Jedenfalls beantragte er die Ausstellung eines Reisepasses. Die Kreisregierung und das Hofgericht lehnten ab - wegen Fluchtverdachts. Stattdessen erhielt er Hausarrest und einen Gendarmen zur Bewachung. Die Kunde von Stromeyers Hausarrest machte schnell die Runde. Eine große Menschenmenge versammelte sich vor dem Haus, sang Lieder und brachte Hochrufe aus. Eine Infanterie-Abteilung rückte an und säuberte die Straße im Sturmschritt mit gefälltem Bajonett. Es gab Verhaftungen und mehrere Verwundete, besonders unter Handwerksburschen und anderen jungen Leuten. Am nächsten Tag erhielt Stromeyer seinen Paß und auch der Hausarrest wurde aufgehoben. Zum Leidwesen der badischen Regierung machte er nun allerdings keinen Gebrauch davon, sondern blieb in Mannheim.

Drei Wochen später wurde "Der Wächter am Rhein" durch Beschluß des Bundestages unterdrückt und in allen deutschen Staaten verboten. Schlund und Stromeyer durften binnen fünf Jahren in keinem Bundesstaat bei der Redaktion "ähnlicher Schriften" zugelassen werden. Als die badische Regierung den Bundestagsbeschluß in Vollzug setzte, ließ Stromeyer am 25. Juli Zettel drucken: "Den Abnehmern des Wächters mache ich hiermit die Anzeige, daß ich diesem ungesetzlichen Akt mich keineswegs unterwerfen werde, und daß der Druck und die Versendung des Wächters so lange fortdauern wird, bis die äußerste Gewalt mich daran verhindert." Schon am nächsten Tag war es soweit. Die Nummer 115 vom 26. Juli 1832 blieb die letzte. "Der Wächter am Rhein" war gewaltsam zum Schweigen gebracht.

Im gleichen Monat setzte der Großherzog das neue Pressegesetz außer Kraft, nachdem es zuvor schon vom Bundestag "für unvereinbar mit der bestehenden Bundesgesetzgebung" befunden worden war. Die Vorzensur wurde wieder eingeführt, Presseprozesse fanden hinter verschlossenen Türen statt.

Die Mannheimer Staatsanwaltschaft schwitzte unterdessen über den zahlreichen Akten, die den Wächter betrafen. Unerledigt waren noch die Verfahren wegen der Nummern 29, 48, 49, 50, 51, 53, 54, 55, 61, 62, 65, 66, 68, 76, 79, 89, 99, 101, 103, 105, 107 und 113. Der lokale Büttel der Staatsgewalt erlaubte sich daher unterm 31. Juli 1832 die Anfrage an das Ministerium, ob es angesichts der inzwischen erfolgten Unterdrückung des Wächters noch Sinn habe, sämtliche Verfahren durchzuführen...

Stromeyer verließ Mannheim noch im Herbst des Jahres. Er wurde später durch einen Schlaganfall gelähmt und geriet in tiefes Elend. Zuvor machte er eine ähnliche politische Wandlung durch wie sein Schwager und ehemaliger Mitarbeiter beim Wächter, Karl Mathy. Während Stromeyer 1847 den "Tagesherold" in Konstanz redigierte, der als Regierungsblatt galt, avancierte Karl Mathy sogar zum badischen Minister und eifrigen Bekämpfer der Demokraten.