Es klingt für heutige Ohren unglaublich, daß
es zu Anfang der dreißiger Jahre in einer Stadt wie Mannheim sieben
Tageszeitungen gab, von denen die beiden größten zweimal täglich
erschienen. Hier eine Übersicht: (94)
Auflage | Ausgaben wöchentlich | gegr. | |
Neue Badische Landes-Zeitung | 30000 | 13 | 1856 |
Neue Mannheimer Zeitung | 27000 | 12 | 1884 |
Mannheimer Tageblatt | 24000 | 7 | 1867 |
Neues Mannheimer Volksblatt | 10000 | 7 | 1888 |
Hakenkreuzbanner | 6 | 1931 | |
Volksstimme | 23000 | 7 | 1890 |
Arbeiter-Zeitung | 20000 | 6 | 1919 |
Die älteste davon war die "Neue Badische Landes-Zeitung", die ursprünglich an die demokratische Bewegung der Jahre 1848/ 49 anknüpfte, dann aber, wie die gesamte kleinbürgerliche Demokratie, ins Schlepptau des Großbürgertums geriet. Ihr "Linksliberalismus" war zum Schluß nur noch eine Hülse, die zur gefälligeren Verpackung großbürgerlicher Macht- und Profitinteressen diente. Gleichwohl galt sie nach wie vor als die angesehenste bürgerliche Zeitung Mannheims und setzte etwa die Hälfte ihrer Auflage außerhalb der Stadt ab. Im Volksmund hieß sie "Der blaue Aff''. (95)
Das "Mannheimer Tageblatt" war die Kost des duckmäusigen Kleinbürgers, eine politisch farblose Gazette, die sich indessen einiges darauf zugute hielt, eine "vielgelesene und auf anerkannter literarischer Höhe stehende Familienzeitung" zu sein. Im Volksmund wurde das Blatt - seines großen Formats wegen - "Die Kuhhaut" genannt.
Das "Neue Mannheimer Volksblatt" war das Organ der katholischen Zentrumspartei - im Volksmund "Schwarze Kattel" genannt. Das "Hakenkreuzbanner" kümmerte vorläufig noch dahin und scheute sich mit gutem Grund, seine tatsächliche Auflage bekanntzugeben. Es hatte 1931 die Position des Rechtsaußen übernommen, die bis dahin von der "Neuen Mannheimer Zeitung" gehalten wurde. Die "Volksstimme" war das Organ der SPD. Die "Arbeiter-Zeitung" das Organ der KPD.
Daneben gab es noch eine Reihe von Vorort- und Stadtteilzeitungen, die ebenfalls täglich erschienen und deren Auflage zwischen 1200 und 4000 Exemplaren pendelte. Es waren dies die "Feudenheimer Zeitung", der "Käfertaler Anzeiger", die "Rheinauer Zeitung", der "Sandhofner Anzeiger", die "Neckarauer Zeitung", die "Friedrichsfelder Zeitung" und der "Neckar-Bote" in Seckenheim. (94)
Insgesamt erschienen also vor der faschistischen Machtergreifung täglich 14 Zeitungen in Mannheim - eine für heutige Verhältnisse atemberaubende Vielfalt. Damit war der Höhepunkt dieser Vielfalt aber auch schon erreicht. Nach der faschistischen Machtergreifung Anfang 1933 wurde eine Zeitung nach der anderen verboten oder eingestellt. Am Ende sollten nur jene beiden Blätter überleben, die vor der Machtergreifung am weitesten rechts gestanden hatten: Das "Hakenkreuzbanner" und die "Neue Mannheimer Zeitung".
Dieser Konzentrationsprozeß hatte sowohl wirtschaftliche als auch politische Aspekte, die bei jeder Zeitung verschieden waren. Generell läßt sich aber sagen, daß für das Verbot der kommunistischen und sozialdemokratischen Presse unmittelbar nach der Machtergreifung politische Gründe absolut im Vordergrund standen, während die spätere schrittweise Liquidierung der bürgerlichen Zeitungen vor allem als wirtschaftlicher Vorgang gesehen werden muß.
Am 13. Februar 1933 wurde zunächst die kommunistische "Arbeiter-Zeitung" verboten, weil sie zwei Tage zuvor mit der Schlagzeile "Hitler verteuert die Lebensmittel" nach Ansicht der Polizei "zu Gewalttätigkeiten gereizt" sowie die neuen faschistischen Machthaber "beschimpft und böswillig verächtlich gemacht" hatte. Außerdem war ihr ein Artikel mit der Überschrift "Staatsstreich angekündigt" als "Verbreitung einer offensichtlich unrichtigen Nachricht" angekreidet worden, die geeignet sei, "lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden". (96)
Am 9. März 1933 wurde auch die sozialdemokratische "Volksstimme" zum Schweigen gebracht. SA-Horden stürmten ihr Verlagsgebäude in R 3.97 In den geraubten Räumen nistete sich fortan das "Hakenkreuzbanner" ein.
Vergleichsweise mit Samthandschuhen faßten die Nazis dagegen die bürgerlichen Zeitungen an. Diese durften, nachdem sie "gleichgeschaltet" worden waren, weiterhin erscheinen. Daß sie nicht haargenau auf der Tonart und der politischen Linie des "Hakenkreuzbanners" lagen, störte das Konzept der faschistischen Pressepolitik keineswegs. Ein gewisser Pluralismus wurde durchaus als taugliches Mittel erachtet, um die noch widerstrebenden Teile der Bevölkerung allmählich an den Faschismus heranzuführen.
Vielleicht hätte sogar die "Neue Badische Landes-Zeitung" eine längere Chance als NS-frommes Blatt gehabt, hätte sich ihr jüdischer Inhaber Heinrich Gütermann rechtzeitig zur Abtretung an die NSDAP entschlossen. Die "Frankfurter Zeitung", die politisch einen ähnlichen Kurs verfolgte, konnte nach Ausscheiden der jüdischen Besitzer immerhin bis August 1943 als intellektuelles Feigen-Blatt des "Dritten Reiches" herhalten und wurde auch in Mannheim viel gelesen. (199) Gütermann widersetzte sich jedoch dem Ansinnen, seinen Betrieb für einen Spottpreis abzugeben, bis er infolge der ständigen Hetze und des Anzeigenboykotts gegen das "Judenblatt" geschäftlich am Ende war. "Jud bleibt Jud" pflegte der neue Oberbürgermeister Mannheims, der Fabrikant Renninger, gegen Gütermann zu pöbeln. Die Pressionen gegen Gütermann gingen so weit, daß ihm sogar das Betreten seines eigenen Betriebes verboten wurde. Am 28. Februar 1934 stellte die "Neue Badische Landes-Zeitung" ihr Erscheinen ein - wohl nicht ganz zufällig zur selben Zeit wie die "Vossische Zeitung", von der sie einen Teil ihres Nachrichtenstoffs bezogen hatte. Gütermann entging durch Auswanderung einem schlimmeren Schicksal. Er starb 1962 als Buchhändler in Montevideo.
Um die Übernahme der schätzungsweise noch 7 000 Abonnenten der ehemaligen "Neuen Badischen Landes-Zeitung" entspann sich sofort ein heftiger Streit zwischen dem "Hakenkreuzbanner" und der "Neuen Mannheimer Zeitung", die mittlerweile - darüber wird später zu berichten sein - neue Besitzer gefunden hatte. Die "Neue Mannheimer Zeitung" hatte am 20. Februar 1934 bei einer Besprechung im Bezirksamt unter dem Protektorat des nationalsozialistischen "Treuhänders der Arbeit" vereinbart, daß sie etwa ein Drittel der 150 arbeitslos gewordenen ehemaligen Beschäftigten der "Neuen Badischen Landes-Zeitung" übernehmen und dafür die Abonnentenliste erhalten würde. Genug Platz für Neueinstellungen war da, denn erst vor kurzem hatten die neuen Besitzer der "Neuen Mannheimer Zeitung" - im faschistischen Jargon "Betriebsführer" genannt - rund ein Drittel ihrer eigenen Belegschaft gefeuert. Nun funkte aber das "Hakenkreuzbanner" dazwischen: "Das gesunde Blut des deutschen Menschen, der gesunde politische Instinkt der Volksgenossen obsiegte gegen den Mammon des jüdischen Verlegerkapitalisten. Es wird auch gegen den Mammon der bürgerlichen Verlegerkapitalisten den Sieg davontragen. Sie werden die Erfahrung machen müssen, daß man mit lumpigen 21000 Mark keinen ehrlichen Leser kaufen kann, der auf Gesinnung hält." Nach diesem Schuß vor den Bug drehten die Besitzer der "Neuen Mannheimer Zeitung" bei. In einer öffentlich abgegebenen Erklärung zeigten sie sich indigniert darüber, daß das "Hakenkreuzbanner" den Sinn der Verhandlungen im Bezirksamt lediglich in einem "kapitalistischen Schachergeschäft" sehen wollte. Unter diesen Umständen träten sie von ihren Absichten zurück und überließen die Arbeitsbeschaffung dem "Hakenkreuzbanner". (98)
Auch sonst führte das "Hakenkreuzbanner", das inzwischen zur auflagenstärksten Zeitung in Mannheim geworden war, seinen Konkurrenzkampf gern mit herabgelassenem Visier, indem es politische Motive vorschützte, wo es in Wirklichkeit um wirtschaftliche Interessen ging. Vielleicht spielte dabei eine Art Profilneurose der Redaktion eine Rolle, nachdem die "Kampfzeit" vorbei war. Seit seiner Gründung durch den ehemaligen Lehrer, Reichstagsabgeordneten und nationalsozialistischen Ortsgruppenleiter Karl Lenz Anfang 1931 befleißigte sich das Blatt eines äußerst aggressiven, dem Revolver-Journalismus entlehnten Tones. Es wurde zunächst in einer ehemaligen Schlosserwerkstatt in U 6, 24 redigiert und in Heidelberg gedruckt. Bei der Gründung am 1. Januar 1931 erschien das Blatt zweimal wöchentlich, ab 1. Januar 1932 täglich. Die Auflage dürfte bis zur Machtergreifung die geringste aller Mannheimer Tageszeitungen gewesen sein, kletterte dann aber rasant in die Höhe. Schon 1934 druckte das "Hakenkreuzbanner" - inzwischen auf der geraubten Rotationsmaschine in R 3 - eine Auflage von 41600 Stück und lieferte monatlich 200 Seiten mehr als die "Neue Mannheimer Zeitung". Es lag damit "hoch über denen der anderen Mannheimer Zeitungen, bei denen sich der Fluch der Unwandelbarkeit auswirkt" (Originalton "Hakenkreuzbanner"). (99)
Das "Hakenkreuzbanner" gebärdete sich gegenüber den anderen bürgerlichen Blättern nach 1933 wie ein Köter, der die Fremden, die inzwischen ins Haus gebeten wurden, noch immer verbellt. Der künstlich aufrechterhaltene "Kampfgeist" sollte wohl auch die inneren Kämpfe überdecken, unter denen die Partei gerade in der ersten Zeit nach der Machtergreifung litt. Sie entluden sich in der blutigen Abrechnung des 30. Juni 1934, bei der Hitler den SA-Stabschef Röhm und etliche andere seiner ehemals treuesten Gefolgsleute ermorden ließ. Es fällt auf, daß nach dem "Röhm-Putsch" das Schattenboxen des "Hakenkreuzbanners" gegen die anderen Zeitungen aufhörte.
Zuvor durften sich die SA-Horden nochmals austoben. Nachdem sie mit den aus dem Boykott jüdischer Geschäfte hinlänglich bekannten Methoden die "Neue Badische Landes-Zeitung" in den Ruin getrieben hatten, besetzten die Braunhemden am 18. Mai 1934 das "Neue Mannheimer Volksblatt", um ihm wegen seiner gelegentlich unbotmäßigen Berichterstattung einen Denkzettel zu verpassen. (98) Obwohl die katholische Kirche durchaus mit dem "Dritten Reich" kollaborierte, waren die Standpunkte halt doch etwas unterschiedlich. Das Problem wurde bald darauf gelöst, indem das ehemalige Zentrumsblatt hinter den Kulissen in Besitz der NSDAP überging.