Das labile Gleichgewicht zwischen Demokraten und Konservativen in der Redaktion des "Mannheimer Morgen" blieb nicht lange bestehen. Es endete mit einem Rechtsrutsch, nachdem die USA ihre feindselige Politik gegenüber der Sowjetunion verstärkten und nunmehr auch die Presse offen vor den Karren des Kalten Krieges spannten.
Zunächst hatte die amerikanische Besatzungsmacht erwartet, daß sich ihre Lizenzaten "freiwillig" an der Kampagne beteiligen würden. Die meisten Lizenzblätter widersetzten sich jedoch dem Ansinnen, zwei Jahre nach der Befreiung vom Faschismus schon wieder einen antikommunistischen Kreuzzug zu predigen. Im November 1947 veröffentlichte die "New York Herald Tribune" folgenden Korrespondentenbericht aus Berlin:
"Die Mehrheit der deutschen Presse in der amerikanischen Besatzungszone lehnt es im Gegensatz zur amerikanisch lizenzierten Presse in Berlin ab, an dem Gegenpropaganda-Feldzug der amerikanischen Militärregierung gegenüber dem Kommunismus teilzunehmen. Diese Zurückhaltung hat in einigen Kreisen der Nachrichtenkontrollabteilung bei der amerikanischen Militärregierung, die für die Durchführung des Feldzuges verantwortlich ist, eine gewisse Betroffenheit hervorgerufen. Eine Übersicht zeigt, daß in mehr als 100 Ausgaben der amerikanisch lizenzierten deutschen Presse, die seit der Ankündigung des antikommunistischen Feldzuges in der US-Zone erschienen sind, nur zwei bis drei antikommunistische Artikel gebracht wurden." (138)
Flammenden Protest gegen das Ansinnen, aus dem "Mannheimer Morgen" schon wieder eine "geistige Munitionsfabrik" zu machen, erhob am 5. Juli 1947 Otto Gentner, der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung: "Uns wird keine Macht zwingen können, aus dem Mannheimer Morgen eine geistige Munitionsfabrik zu machen. Wir werden keinen Kreuzzug predigen. Wir werden keine Katyn-Meldungen servieren. Wir werden keiner Mutter Sohn auf den Weg ins Massengrab locken. Aber für einen Krieg treten wir ein: den Krieg gegen die Kriegstreiber, gegen die Militaristen aller Schattierungen."
Auch der Lizenzträger Ackermann widersetzte sich damals noch dem Druck. Am 1. November 1947 kommentierte er den antikommunistischen Feldzug der Amerikaner so: "Hätte es Herr Goebbels noch zu machen gehabt, er hätte einfach kommandiert: Gegen den Kommunismus richtet die Gewehre! General Clay ist zu klug, um sich von schlechten Beispielen verführen zu lassen. Zwölf Jahre Antikomintern haben die Gegner des Kommunismus gelehrt, daß mit Ausrotten und Verbieten, Säbelrasseln und imperialen Machtansprüchen begründete Ideologien nicht aus der Welt zu schaffen sind."
Während Ackermann dies schrieb, häuften sich die Beispiele von Lizenzträgern, die ihren Widerstand gegen die neue "Gleichschaltung" mit dem Verlust ihrer Lizenz oder mit der Preisgabe ihrer Gesinnung bezahlen mußten.
Besonders jene Handvoll Kommunisten, die in den ersten Monaten nach der Befreiung vom Faschismus Lizenzen erlangt hatten, wurde wieder restlos aus den Zeitungen verdrängt. Die Amerikaner gingen dabei allerdings nicht schlagartig und auch nicht einheitlich vor. Vielmehr warteten sie einen Anlaß ab, der ihnen geeignet erschien, um dem mißliebigen Lizenzträger eine Verfehlung vorzuwerfen, und "bestraften" ihn dann mit dem Entzug der Lizenz. Einem kommunistischen Lizenzträger, der im Sinne der Amerikaner Wohlverhalten zeigte, geschah zunächst nichts. Wenn er sich weiterhin anpassungsbereit zeigte und von der KPD distanzierte, durfte er sogar seine Lizenz behalten.
Typisch für dieses Vorgehen mit "Zuckerbrot und Peitsche" war die Gleichschaltung der "Frankfurter Rundschau", die als früheste Zeitungsgründung der US-Besatzungsmacht sogar zwei Kommunisten unter ihren Lizenzträgern hatte: Dem einen, Emil Carlebach, wurde die Lizenz im August 1947 entzogen. Der zweite, Arno Rudert, durfte seine Lizenz behalten, weil er sich den Wünschen der Amerikaner fügte und dafür von der KPD ausgeschlossen wurde.
Auch ein bürgerlicher Lizenzträger konnte auf die "Abschußliste" geraten, wenn er im Verdacht stand, sich der Kalte-Kriegs-Propaganda zu widersetzen oder gar mit sozialistischen Zielen zu sympathisieren. Aus diesem Grund verlor ein dritter Herausgeber der "Frankfurter Rundschau", Wilhelm Karl Gerst, seine Lizenz. Gerst war nicht etwa Mitglied der KPD, sondern entstammte der katholischen Zentrumspartei." (116)
Einem Lizenzträger wie Karl Ackermann, der als Anhänger und vielen wohl auch als Mitglied der KPD galt, mußte "In diesen kritischen Zeiten" - so die Überschrift eines seiner Kommentare am 1. November 1947 - der Boden seiner neugewonnenen Existenz unter den Füßen wanken. Er mußte sich vor die Wahl gestellt sehen, entweder seiner bisherigen politischen Haltung abzuschwören oder seine Lizenz zu verlieren.
Es fällt auf, daß Ackermann, der bis Ende 1947 immer wieder gegen den antikommunistischen Kreuzzug der Amerikaner opponiert hatte, sich nunmehr deutliche Zurückhaltung auferlegte. Dafür kamen im "Mannheimer Morgen" umso mehr restaurativ-klerikale Tendenzen zum Vorschein. Die 700 Jahr-Feier des Kölner Doms wurde mit vierspaltiger Schlagzeile auf der ersten Seite als "Manifestation des christlichen Abendlandes" bejubelt. In anderen Überschriften war von der "Rettung des christlichen Abendlandes" oder von der "Weltumspannenden Gemeinschaft des Glaubens" die Rede. (139) Als die Amerikaner den kommunistischen Arbeitsminister des Landes Württemberg-Baden, den Mannheimer Rudolf Kohl, kurzerhand aus seinem Amt jagten, kommentierte dies der "Mannheimer Morgen" mit der zynischen Bemerkung, Kohl werde sich in der Opposition "weitaus wohler fühlen" und sei einer "Gewissensbelastung enthoben worden". (140)"
Daß es in der Redaktion des "Mannheimer Morgen" auch demokratische Kräfte gab, konnte nur noch gelegentlich festgestellt werden. So am 5. Juni 1948, als die Zeitung eine grundsätzliche Betrachtung zum Thema "Demokratie" veröffentlichte. Verfasser des Aufsatzes war Prof. Dr. Rudolf Agricola, der kommunistische Lizenzträger der "Rhein-Neckar-Zeitung" in Heidelberg:
"Demokratie als reines Wort kann wertlos sein, wenn sie nicht in der jeweiligen gesellschaftlichen Situation lebendig wird. Volksherrschaft 1789 bedeutete Herrschaft des Bürgertums. In Deutschland heute, unter ganz anderen ökonomischen und politischen Verhältnissen, kann Herrschaft des Volkes nur wirksam sein, wenn die Arbeiter die Träger der gesellschaftsbildenden Kräfte sind und die Bauern, die Intelligenz, die Mittelschichten soweit sie Hitler am Leben ließ - dies zu erkennen beginnen und sich mit der Arbeiterschaft verbünden ... Wenn man die Worte östlich und westlich beiseite schiebt, dann ist die wirkliche Auseinandersetzung erkennbar. Es ist der Kampf zwischen Kapital und Arbeit oder mit anderen Worten: Es ist das Ringen zwischen gesellschaftlichem Fortschritt und Rückschritt." (141)
Eigentlich hätten diese und andere Sätze in der "Rhein-Neckar-Zeitung" erscheinen sollen. Agricolas Mitherausgeber, der spätere Bundespräsident Theodor Heuss, konnte die Veröffentlichung jedoch mit Hilfe der amerikanischen Besatzungsmacht verhindern. Dabei spielten auch persönliche Gründe eine Rolle. Heuss hatte nämlich 1933 als Abgeordneter im Reichstag für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt und sich auch später dem Faschismus soweit angepaßt, daß seine 1937 erschienene Naumann-Biographie der NS-Presse vom Propagandaministerium ausdrücklich zur lobenden Besprechung anempfohlen wurde. (142) Etliche Passagen in Agricolas Artikel wirkten, als seien sie dem damaligen Kultusminister von Württemberg-Baden und späteren Bundespräsidenten der BRD auf den Leib geschrieben worden:
"Wer 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmte, das Dritte Reich tolerierte, ja sich in Wort und Schrift in die ,Volksgemeinschaft' einordnete, dem steht es heute schlecht an, von sogenannter totalitärer Demokratie in einem Teile Deutschlands zu sprechen. Demokratie ist Volksherrschaft, und die allzulauten Fürsprecher demokratischer Spielregeln sind in Wirklichkeit oft weit entfernt von Demokratie. Denn Spielregeln und Wahltechnik auch dann, wenn es eine Deutsche Wählergesellschaft gibt - geben noch keine Volksherrschaft. Kann man die braven Demokraten, die zwölf Jahre ihre Ideale in der Westentasche trugen und heute die Werbetrommel für die wahre Demokratie und allerlei Sozialismen rühren, ernst nehmen? Kann man annehmen, daß sie heute besser kämpfen, denn unter Hitler? Und darf man sich dem Glauben hingeben, daß sie in einer ernsthaften und bedrohlichen Situation mehr Mut zeigen wie 1933? Die so Angesprochenen mögen es dem Verfasser verzeihen, wenn Skepsis am Platze erscheint."
"Die so Angesprochenen" verziehen es Agricola freilich nicht, derartige Ketzereien öffentlich ausgesprochen zu haben. Acht Wochen, nachdem der unterdrückte Artikel im "Mannheimer Morgen" erschienen war, entzog die amerikanische Militärregierung dem kommunistischen Herausgeber der "Rhein-Neckar-Zeitung" endgültig die Lizenz. (143) Agricola, der zu jener Zeit bereits einen Lehrstuhl an der Universität Halle innehatte, zog darauf in die DDR.
Für den Lizenzträger Ackermann vom "Mannheimer Morgen", der für die Veröffentlichung des Agricola-Artikels in seinem Blatt verantwortlich war, dürfte dies endgültig der letzte Schuß vor den Bug gewesen sein. Noch im selben Monat, in dem Agricola seine Lizenz abgenommen wurde, revozierte Ackermann öffentlich. Am 29. September 1948 gab er der Öffentlichkeit kund und zu wissen, daß er kein Mitglied der KPD sei, sondern auf einer "unabhängigen" Position stehe: "Es traf uns wenig, als man uns von gewisser Seite Parteinahme oder gar kommunistisches Verhalten vorwarf. Es gibt keinen kommunistischen Lizenzträger beim Mannheimer Morgen. Und was wir berichtet haben, können wir jederzeit nicht nur vor der amerikanischen Pressekontrolle, sondern vor allem vor unseren deutschen Landsleuten als unparteiisch im besten Sinne verantworten."
Damit hatte Ackermann sozusagen den Rubikon ins bürgerliche Lager überschritten. Im April 1949 war seine Reputierlichkeit schon so weit gediehen, daß er - übrigens gemeinsam mit dem Renegaten Arno Rudert von der "Frankfurter Rundschau" - in den Vorstand der Nachrichtenagentur DENA gewählt wurde. (144)