Die ehemalige Villa Waldkirch am Philosophenweg 19 in Heidelberg: Ihr Besitzer Wilhelm Julius Waldkirch (Bild) gehörte zu den Zeitungskönigen der Provinz. Neben der größten Zeitung der Pfalz besaß er das "Mannheimer Tageblattt". Wäre er auf das Fusionsangebot der "Neuen Mannheimer Zeitung" eingegangen, könnten seine Erben heute Miteigentümer des "Mannheimer Morgen" sein. Auf den Trümmern des Waldkirch-Konzerns entstand nach dem Krieg die Regionalzeitung "Rheinpfalz".

Herr Waldkirch verrechnet sich

Wie die nationalsozialistische Pressekonzentration sogar die treuesten Helfershelfer des Regimes überrollte

Von der nationalsozialistischen Machtergreifung bis 1944 verringerte sich in Deutschland die Zahl der Zeitungstitel von ehemals 4 703 auf ganze 977. Das war ein Rückgang um fast 80 Prozent. Dieser Konzentrationsprozeß wurde vom "Reichsleiter der Presse", Amann, und dessen Stabschef Rienhardt zentral gesteuert. Die Vorgänge in Mannheim waren also nur die Widerspiegelung dessen, was sich in größerem Maßstab im gesamten faschistischen Herrschaftsbereich vollzog.

Schon am 1. November 1933 wurde die "Erste Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammergesetz" erlassen. Auf dieser Grundlage erstellte Amanns Stabschef Rienhardt Akten über sämtliche deutschen Zeitungen. Außer wirtschaftlichen und technischen Daten enthielten diese Akten auch Angaben zum politischen Verhalten der Verleger zwischen 1919 und 1932. Die Überprüfung der Akten war Mitte 1935 abgeschlossen. Etlichen hundert Verlegern wurde die "erforderliche Eignung und Zuverlässigkeit" abgesprochen.

In den Jahren 1933/34 führte die Parteipresse der NSDAP große Abonnenten- und Anzeigenkampagnen durch, die an den wirtschaftlichen Nerv der übrigen Verlage rührten. Im Zweifelsfall galt dabei das Recht des Stärkeren. Amanns Stabschef Rienhardt gab zwar am laufenden Band Anordnungen zu "Fragen des Vertriebs und zur Befriedung der wirtschaftlichen Verhältnisse im deutschen Zeitungsgewerbe" heraus, die aber in der Praxis nichts fruchteten und von der untergebügelten Konkurrenz eher als Verhöhnung empfunden werden mußten.

Zur Jahreswende 1934/35 verlangte Amann im Fachorgan "Zeitungsverlag" die Beseitigung der "zahlenmäßigen Überbesetzung des Zeitungswesens". Am 24. April 1935 erließ die Reichspressekammer die "Anordnung über Schließung von Zeitungsverlagen zwecks Beseitigung ungesunder Wettbewerbsverhältnisse". Der Reichsverband der deutschen Zeitungsverleger mußte bis 31. Juli 1935 alle Orte melden, in denen zuviele Zeitungen vorhanden seien. Zur Gewinnung von Unterlagen konnten die Verlage einer Prüfung durch die "Cura Revisions- und Treuband GmbH" unterzogen werden. Gleichzeitig ergingen die "Anordnung zur Wahrung der Unabhängigkeit des Zeitungsverlagswesens" und die "Anordnung zur Beseitigung der Skandalpresse". Fortan mußte jeder Verleger den Ariernachweis bis 1800 erbringen. Ohne Ausnahmebewilligung war ihm nur noch die Herausgabe einer einzigen politischen Tageszeitung gestattet. Kein privater Verleger durfte an weiteren Verlagen beteiligt sein. Die Rechtsformen der Aktiengesellschaft, der Kommanditgesellschaft auf Aktien, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Genossenschaft und der Stiftung wurden für Zeitungsbetriebe untersagt. Ausnahmen gab es nur für amtliche Parteizeitungen. Hier blieb die GmbH die übliche Rechtsform. (106)

Mit diesem Instrumentarium fiel es Amann und seinen Gehilfen nicht schwer, serienweise Zeitungen aufzukaufen, die entweder eingestellt, mit anderen zusammengelegt oder bis auf weiteres fortgeführt wurden. In Mannheim sah dies so aus, daß am 16. Oktober 1937 das katholische "Neue Mannheimer Volksblatt" mit dem "Mannheimer Tageblatt" zum "Mannheimer Neuen Tageblatt" vereinigt wurde. (107) Diese Zeitung wurde wiederum knapp zwei Jahre später, im August 1939, der "Neuen Mannheimer Zeitung" zugeschlagen, in deren Besitz sich die privaten Eigentümer mit der NSDAP teilten.

Natürlich hatte dieser Konzentrationsprozeß auch eine politische Seite. Er bezweckte die Straffung des faschistischen Presseapparates und die Erhöhung seines propagandistischen Wirkungsgrades. Im übrigen war er jedoch wirtschaftlicher Natur. Er darf keinesfalls mit den Maßnahmen zur politischen "Gleichschaltung" verwechselt werden. Schon gar nicht darf er in einer Linie mit Maßnahmen zur Ausschaltung politischer Gegner gesehen werden, denen in Mannheim unmittelbar nach der Machtergreifung die kommunistische "Arbeiter-Zeitung" und die sozialdemokratische "Volksstimme" zum Opfer gefallen waren.

Der "technokratische" Charakter dieses Konzentrationsprozesses wird in Mannheim besonders am Beispiel des "Mannheimer Tageblatts" sichtbar, das noch vor der "Neuen Mannheimer Zeitung" in Besitz des NS-Pressetrusts übergeführt wurde. Schon im Geschäftsjahr 1933/34 hatte die Zeitung mit einem Verlust von 63307 Mark abgeschlossen. (108) Schuld daran war der Verlust von Anzeigen und Abonnenten an das "Hakenkreuzbanner". Dabei gehörte das "Mannheimer Tageblatt" einem Verleger, der nicht nur ein glühender Anhänger des Faschismus war, sondern sogar den missionarischen Drang in sich verspürte, so etwas wie ein publizistischer Ideologe des "Dritten Reiches" zu sein. Die Mehrheit der Aktien besaß nämlich seit 1923 der Konzern des Wilhelm Julius Waldkirch in der Nachbarstadt Ludwigshafen. (l09)

Der Waldkirch-Konzern verdankte seine Entstehung ebenfalls dem Generalanzeiger-Geschäft, in diesem Falle dem "General-Anzeiger" der Stadt Ludwigshafen. 1899 war die "Pfälzische Rundschau" hinzugekommen, die sich zur größten Zeitung der Pfalz entwickelte und insoweit als Vorläuferin der heutigen "Rheinpfalz" gelten kann. Die Leitung des Konzern lag seit 1897 in den Händen von Wilhelm Julius Waldkirch, dem Sohn des "General-Anzeiger"-Gründers. Dieser litt unter chronischem Geltungsdrang, den auch der Titel eines Kommerzienrates, dann eines Geheimen Kommerzienrates und schließlich - mit 57 Jahren - die Doktorwürde der Universität Heidelberg nicht zu befriedigen vermochten. (91) Nach 1933 verband Wilhelm Julius Waldkirch die Beweihräucherung seiner eigenen Person mit der des faschistischen Systems. So wurde er Gründer und Leiter des "Instituts für Zeitungswesen" an der Universität Heidelberg und verfaßte ein dreibändiges Machwerk mit dem Titel "Die zeitungspolitische Aufgabe". (110)

Wilhelm Julius Waldkirch war ein Zeitungskönig im kleinen und benahm sich entsprechend. Nach innen war er ein reaktionärer Unternehmer-Patriarch. Nach außen spielte er den Mäzen und tiefgründigen Denker. Wie es sich für einen Philosophen seines Standes geziemte, hatte er sich in der allerfeinsten Wohnlage Heidelbergs, nämlich am Philosophenweg 19, niedergelassen weitab vom stinkenden Ludwigshafen, wo die geschäftliche Grundlage seines Reichtums blieb. Die Fassade seiner Villa auf einem terrassenartig ansteigenden Grundstück hoch über Heidelberg schmückten Reliefs, in denen klassische Gartenzwerg-Idylle dem Geschmack und Metier des Hausherrn angepaßt war: Mit Engelsfiguren, die sich an einem Setzkasten oder an einer Druckpresse zu schaffen machten. (111) - In solcher Umgebung sann der Gründer und Leiter des "Instituts für Zeitungswesen" darüber nach, wie die deutsche Presse "die neue Geisteshaltung der nationalsozialistischen Bewegung zur Grundlage ihres publizistischen Schaffens machen" könne. (110)

Vielleicht hat Waldkirch geglaubt, daß ihm sein vehementer Einsatz für den Hitlerfaschismus am Ende damit gelohnt würde, daß er sich nach dem "Neuen Mannheimer Volksblatt" auch noch die "Neue Mannheimer Zeitung" einverleiben dürfe. Jedenfalls lehnte er mehrere Male ein Fusionsangebot der "Neuen Mannheimer Zeitung" ab. Hätte er akzeptiert, hätte er bis zu fünfzig Prozent der Anteile an diesem Zeitungsbetrieb erhalten und seine Erben würden damit heute die Haupteigentümer am "Mannheimer Morgen" sein. (112)

Waldkirch hatte wohl - vor lauter Kopfzerbrechen über eine Theorie des faschistischen Pressewesens - das Augenmaß für dessen Praxis verloren. Es lag in der wirtschaftlichen und politischen Logik dieses Konzentrationsprozesses, daß die jeweils schwächere Zeitung der stärkeren zugeschlagen wurde. Am Endpunkt dieser Entwicklung übernahmen dann die amtlichen Parteiblätter den Besitzstand der letzten verbliebenen "bürgerlichen Zeitung. Privates Eigentum an Zeitungsverlagen war in diesem faschistischen Pressekonzept nur noch für eine Übergangszeit vorgesehen. Sogar Hugenberg, der aktive Wegbereiter des Hitlerfaschismus, mußte deshalb seinen Konzern an die NSDAP abtreten. Es bestand überhaupt kein Anlaß, für einen lokalen Zeitungskönig wie Waldkirch eine Ausnahme zu machen.

So trat die "Neue Mannheimer Zeitung" das Erbe der gesamten bürgerlichen Presse Mannheims an. Schon am 1. Oktober 1935 hatte sie die Leser der "Mannheimer Nachrichten" übernehmen dürfen, die seit 1. Juni 1933 erschienen und den Ableger eines Pforzheimer Blattes bildeten. (113) Mit der Einstellung des "Mannheimer Neuen Tageblatts am 1. August 1939 schluckte sie auch indirekt die Leser des ehemaligen "Neuen Mannheimer Volksblatts" mit. Schließlich gelangten die Besitzer der "Neuen Mannheimer Zeitung" sogar auf allerlei verschlungenen Wegen noch an die Druckerei der ehemaligen "Neuen Badischen Landes-Zeitung", die heute in den "Vereinigten Offsetdruckereien" (VOD), einer Gesellschaft des "Mannheimer Morgen"-Konzerns, aufgegangen ist. (98)

Schematische Darstellung der nationalsozialistischen Pressekonzentration in Mannheim

Wie man sieht, hat der heutige "Mannheimer Morgen" als Folge der nazistischen Pressepolitik fast die gesamte Presse Mannheims "beerbt".

Damit haben wir aber unserer Darstellung weit vorgegriffen.

Zunächst wäre es an der Zeit, näher auf jene schon mehrfach erwähnten neuen Besitzer der "Neuen Mannheimer Zeitung" einzugehen, die 1933 die Verlagsrechte und das Inventar vom Huck-Konzern übernommen hatten und die nach 1945 Mitbesitzer des "Mannheimer Morgen" wurden.

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