Menetekel USA |
"Positives Denken"Der kategorische Imperativ der neuen Welt |
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Ralph
Waldo Emerson
(1803-1882) |
Die konsequente Sicht der Welt durch eine rosa Brille ist keine amerikanische Erfindung, obwohl sie in diesem Land sicher ihre stärkste Ausprägung gefunden hat. Sie ist eine allgemeine Erscheinung des säkularisierten Bewußtseins, dem mit der alten Religion zugleich das alte religiöse "Gottvertrauen" abhanden gekommen ist. Schon durch den Protestantismus wird die göttliche Instanz in Form des Gewissens verinnerlicht. Der Protestant wird nicht durch fromme Werke, sondern allein kraft seines Glaubens selig. Als nächster Schritt löst sich dieser Glauben völlig von den religiösen Voraussetzungen und schafft so eine zweckgerichtete Lebensphilosophie zur Überwindung von Skepsis und Schwermut.
Philosophische Wurzeln dieser Lebenshaltung finden sich schon anfangs des 18. Jahrhunderts in den harmonischen Welten Shafteburys (1671-1713) und Popes (1688-1744), in denen selbst das unleugbare Übel nur ein unvollkommenes, unerkanntes Gutes darstellt. Weitere Vorarbeit leistete Berkeley (1685-1753), indem er dem "denkenden Geist" die Aufgabe zuwies, in der verwirrenden Fülle von Sinneseindrücken eine Ordnung zu stiften, die freilich überhaupt nichts mit der (unerkennbaren) Realität der Dinge zu tun hat, sondern allein aus den Tiefen des "Gemüts", der "Seele" bzw. "Ichs" stammt. Das heißt, daß es in der Macht des Gemüts steht, die Dinge so oder so zu sehen.
Dem Übergang vom religiösen Gott- zum profanen Selbstvertrauen entsprach die Ablösung der religiösen Erbauungs-Literatur (z.B. Thomas von Kempens "Nachfolge Christi") durch eine profane Erbauungs- und Lebenshilfe-Literatur. Schon Ende des 18. Jahrhunderts verfaßte Immanuel Kant eine Betrachtung über "Die Macht des Gemüths durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu seyn". Weit populärer wurde jedoch eine Schrift aus der Feder des Wiener Arztes Ernst von Feuchtersleben, die unter dem Titel "Zur Diätetik der Seele" erstmals 1838 erschien. Sie erlebte bis Ende des Jahrhunderts knapp fünfzig Auflagen und wurde zu einer Art weltlicher Bibel, aus der das Bürgertum Trost und Erbauung schöpfte.
"In uns ist Trost und Verzagen, in uns ist Paradies und Wüste", verkündete Feuchtersleben, "ist das Auge klar, ist es auch die Welt". Noch immer sei der Glauben eine "allmächtige Kraft", die Berge versetzen und Wunder wirken könne. Um diesen Glauben zu erlangen, gab Feuchtersleben indessen keine theologische, sondern eine psychologische Anleitung: "Das ist eben das Prärogativ des Menschen, daß Begriffe in ihm Gefühle erregen, und daß durch diese der Geist den Körper gleichsam abwärts influenziert". Bei Anwendung dieser Technik könne man "eine Stimmung in sich hervorrufen und sich ihr hingeben. Es ist jener besonnene und doch halb unwillkürliche Zustand einer behaglichen Lebensweise, was dem Gedeihen der Zufriedenheit und Gesundheit am günstigsten ist". (30)
Im Jargon der modernen Psychotherapie vermittelt Feuchterslebens "Diätetik der Seele" nichts anderes als die Technik der "kognitiven Umstrukturierung" und "autogenes Training". Die rosa Brille wird hier bewußt aufgesetzt, um eine "behagliche Lebensweise" zu erreichen. "Wir werden leiden, wenn wir die empfindende Fläche unseres Wesens der Welt entgegenhalten", warnt Feuchtersleben. (31) Die Absicht, eine quasi therapeutische Wirkung zu erzielen, bleibt also durchaus bewußt. Sie wird nicht völlig verdrängt, wie dies beim amerikanischen "positiven Denken" der Fall ist.
Beim amerikanischen "Transzendentalismus", den Ralph Waldo Emerson (1803-1882) begründete und der stark das spätere "positive Denken" beeinflußte, liegen die Dinge etwas anders. Hier wird nicht bloß angenommen, daß es in der Macht der Gedanken liegt, Gefühle zu erzeugen und so, über die Interaktion des positiv gestimmten Menschen mit seiner Umwelt, eventuell auch Einfluß auf die Gestaltung der Realität zu nehmen. Es wird vielmehr unterstellt, daß sich die Gedanken ganz unmittelbar verwirklichen. Gedanke und Realität sind identisch. Die Seele paßt sich nicht der Welt an, sondern erschafft sich die Welt.
Eine Konsequenz dieser Denkweise ist die Aufspaltung des Bewußtseins in platten Empirismus und ebenso platten Idealismus. Diese Aufspaltung wird freilich gar nicht als solche empfunden. Gemäß der Überzeugung Emersons, mit der größten Gewissensruhe heute diesen und morgen genau den entgegengesetzten Standpunkt vertreten zu können, wird das Verlangen nach Widerspruchsfreiheit als "Popanz kleiner Geister" abgetan.
Bei Emerson verschmilzt die "Macht des Gemüths", die in der erwähnten Schrift Kants nur als therapeutisches Hilfsmittel verstanden wird, mit der grundsätzlichen Harmonie der Natur zur spirituellen Einheit allen Seins in der "All-Seele" (Over-Soul), an der das Individuum durch sein Selbstvertrauen ("Self-Reliance") teilhat (32):
Der Mensch ist sein eigen Geschick; und die Seele,
Die den Menschen rechtschaffen und vollkommen macht,
Gebietet allem Licht, aller Macht, allem Schicksal;
Alles geschieht ihm zur rechten Zeit.
Ob gut oder schlecht, unsere Taten sind unsere Engel,
Unsere Schicksalsschatten, die uns stets begleiten.
Ralph Waldo Emerson wird in Boston als Sohn eines Geistlichen geboren. Nach alter Familientradition schlägt er zunächst die geistliche Laufbahn ein und wird 1829 zum Pfarrer einer Unitarier-Kirche in Boston bestellt. Aber schon 1832 gibt er sein Priesteramt auf. Er hält die Kirche als Institution für tot und das Priesteramt für überflüssig. Er möchte die Religion gleichsam privatisieren und die kirchliche Theologie ausschalten. Das Individuum soll nur noch sich selbst und seiner inneren Eingebung vertrauen:
"Wir haben schon zu lange den höfischen Musen Europas gelauscht", verkündete Emerson, "Wir werden auf unseren eigenen Füßen gehen (...). Zum ersten Male wird eine Nation von Menschen existieren, weil jeder einzelne sich von der göttlichen Seele inspiriert fühlt, die alle Menschen inspiriert.
Die Gebärde, mit der Emerson hier im Jahre 1838 die theologischen Lehren der Kirche ebenso wie die "grands recits" der alten Welt als ungeeignet für amerikanische Bedürfnisse abtut, mutet durchaus postmodernistisch an. Nicht minder ist es seine Vorstellung von der assoziativen Zufälligkeit und Zerstücktheit des seelischen Erlebens, aus der die All-Seele (Over-Soul) die Freiheit zum totalen Subjektivismus bezieht:
Wir leben in Aufeinanderfolge, in Abschnitten, in Teilen, in Partikeln. Unterdessen ist die All-Seele im Menschen; das weise Schweigen, die universale Schönheit, mit der jedes Teil und Partikel gleichermaßen verbunden ist; das ewige Eins-Sein. (...) Wir sehen die Welt Stück für Stück, wie z. B. die Sonne, den Mond, das Tier, den Baum; aber das Ganze, dessen Abglanz diese sind, ist die Seele. (...) Die Seele schaut beständig nach vorne; sie erschafft dabei eine Welt vor sich und läßt Welten hinter sich. Sie kennt weder Daten noch Riten noch Personen noch Eigenheiten noch Menschen. Die Seele kennt nur die Seele; das Gewebe der Ereignisse ist das fließende Gewand, in das sie gekleidet ist.
Diese amerikanische Seele, die sich die Welten ständig neu erschafft, um sie alsbald wie abgelegtes Spielzeug hinter sich zu lassen, hat notwendigerweise keinen Sinn für Geschichte. Für sie zählt die subjektive Erfahrung des Augenblicks. Geschichte besteht für sie allenfalls aus einer Aneinanderreihung von Geschichten im postmodernistischen Sinn. Sie hegt mit Emerson den "edlen Zweifel", ob der momentane Sinneseindruck nicht gar "Endzweck des Universums sei und ob die Natur überhaupt äußerlich existiere". Sie glaubt, "daß der Mensch etwas Unverrückbares in sich erfährt, während ihm die Welt zum Schauspiel wird". Die Suche nach Sinn, nach Zusammenhängen, nach Beständigem in diesem universalen Schauspiel gilt ihr als "Popanz kleiner Geister". Sie ist nur ihrer eigenen Subjektivität verpflichtet. Sie kann sogar, ohne weder mit einer objektiven Wahrheit noch mit sich selbst ins Gehege zu kommen, morgen das genaue Gegenteil dessen verkünden, was sie heute mit Inbrunst als Standpunkt verficht:
Sage das, was du jetzt denkst, in harten Worten, und morgen sage das, was das Morgen denkt, wiederum in harten Worten, auch wenn es allem widerspricht, was du heute gesagt hast.
Emersons Lebensphilosophie ist psychologisch verwandt mit Schopenhauers "Welt als Wille und Vorstellung". Zugleich ist sie aber von dessen tiefgründelnder Systematik weit entfernt. Wo Schopenhauer ein ganzes Buch füllte, begnügte sich Emerson mit ein paar Reflexionen. Ebenso fehlte ihm das heroische Pathos seines englischen Freundes Carlyle, durch den er eine oberflächliche Kenntnis des deutschen Idealismus bezog. Das erklärt wiederum die Wertschätzung Emersons durch Nietzsche, der sich an Schopenhauers gelehrsamem "Leichenbitter-Parfüm" ebenso störte wie an den "starken Worten und Attitüden" Carlyles. Nietzsche fand bei Emerson jene unbefangene, voraussetzungslose und aphorismenhaft-unverbundene Art des Denkens, die er selber in seiner "Fröhlichen Wissenschaft" vorführte. Emerson galt ihm als "ein solcher, der sich instinktiv bloß von Ambrosia nährt, der das Unverdauliche in den Dingen zurückläßt".
Nietzsche hätte wohl anders geurteilt, wenn er die Nachfahren
Emersons gekannt hätte, die dessen ohnehin seichten "Transzendentalismus"
zur platten Lebensphilosophie des "positiven Denkens" auswalzten. Emerson
widerfuhr damit freilich nur ähnliches wie Nietzsche, dessen Subjektivismus,
Nihilismus und Voluntarismus später für grobschlächtige Ideologien
bis hin zum Nationalsozialismus vereinnahmt wurde. Es wäre abwegig, beide
dafür persönlich verantwortlich machen zu wollen. Aber es wäre
auch unangebracht, gewisse psychologischen Voraussetzungen ihres Denkens zu
übersehen, die diese Vereinnahmung ermöglicht haben.
Die Vergröberung des Transzendentalismus durch Trine |
Ralph Waldo Trine (1866-1958) |
"In Harmonie mit dem Unendlichen" lautete der Titel eines Buches, das der Emerson-Schüler Ralph Waldo Trine 1899 veröffentlichte. Die Harmonie, in der sich der Autor zumindest mit den Bedürfnissen seiner Zeitgenossen und des Buchmarktes befand, kam im reißenden Absatz des erbaulichen Machwerks zum Ausdruck. Es wurde in zwanzig Sprachen übersetzt. Allein die englische Ausgabe erreichte eine Auflage von anderthalb Millionen. Es bildete den Vorläufer einer unsäglich trivialen amerikanischen Lebenshilfe-Literatur, die das "positive Denken" als Allheil- und Wundermittel für den täglichen Lebenskampf propagiert.
Trine lehrt in diesem und in anderen Lebenshilfe-Büchern, "daß der Geist das Primäre ist, daß Gedanken sich verwirklichen, das alles aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare hinauswächst, daß hinter allem Geschehen als steuernde Kraft ein göttlicher Wille waltet und daß das Geheimnis eines glücklichen und reichen Lebens in der Harmonie des menschlichen Willens mit dem All-Willen liegt". - Also eine grundsätzlich voluntaristische Sicht der Welt.
Die Doktrin des "positiven Denkens" hat noch zahllose andere Formen angenommen. Besonders zu erwähnen sind hier Dale Carnegies Ratschläge "How to win friends", die erstmals 1936 erschienen und denen bis heute eine immense Flut ähnlich trivialer Lebenshilfe-Bücher folgte. Das "positive Denken" steckt auch im gesellschaftlichen Zwang des "keep smiling", der im Beruf wie im Privatleben ein maskenhaftes Dauer-Lächeln auferlegt. Es hängt ferner mit der fatalen Neigung der Amerikaner zusammen, die Welt in "gut" und "böse" zu unterteilen. Es ist in McCarthys Hexenjagd auf "unamerikanische Umtriebe" ebenso präsent wie in der Gehirnwäsche positiv-profitbringenden Denkens, der sich auf Geheiß des Managements mitunter ganze Belegschaften unterziehen müssen. Ebenso liefert es die Grundlage des Psycho-Terrors, den eine Sekte wie die "Scientology-Kirche" verbreitet. Es ist der kategorische Imperativ des verdinglichten Bewußtseins, dem alles zur Ware geworden ist. Dem "positiven Denken" genügt es nicht, die Gesetze des Marktes für die Produktion und den Verkauf von Waren anzuerkennen. Der kategorische Imperativ der US-Gesellschaft verlangt mehr: Der Mensch muß sich selbst - nicht nur sein äußeres Verhalten, sondern bereits sein innerstes Bewußtsein - als Ware in den Prozeß der Produktion und Konsumtion einbringen. Er muß seine innere Distanz, die reservatio mentalis, gegenüber der Dingwelt aufgeben. Er muß diese als das Gegebene - eben als das "Positive" - restlos bejahen und jeden Gedanken an eine kritische Reflexion dieser Lebenssituation als "negativ" verdammen. Nur so kann er im Konkurrenzkampf bestehen und die Macht des positiven Denkens für sich nutzen. Die Alternative wäre nämlich die Macht des negativen, des destruktiven Denkens, die den Menschen lediglich in unnützes Räsonieren verwickelt und ihn so an der erfolgreichen Vermarktung der eigenen Person hindert...