PresseBLICK-Rezensionen Natur- und Geisteswissenschaften



Antje Bultmann, Friedemann Schmithals (Hg.)

Käufliche Wissenschaft - Experten im Dienst von Industrie und Politik

413 S., DM 16.90, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. 1994


Experten sind käuflich. Das ist keine Diffamierung, sondern eine schlichte Feststellung, denn kaum einer wird seine Dienste gratis anbieten. Wenn sie dann ihr Gutachten abgegeben haben, stimmt es aber auffallend oft mit den Wünschen des Auftraggebers überein. Das kann natürlich daran liegen, daß verwandte Geister gern zusammenfinden. Es kann aber auch den Verdacht begründen, daß mancher Experte im doppelten Sinne käuflich sei; daß er nicht nur sein Wissen und seine Arbeitskraft zu Markte trage, sondern sich auch die Glaubwürdigkeit abkaufen lasse.

Wie Carl Amery in seinem Vorwort meint, hat sich die Öffentlichkeit eine Faustregel zurechtgelegt, um die Glaubwürdigkeit von Experten zu beurteilen: Wer für seine Expertise bezahlt werde, genieße von vornherein weniger Vertrauen als der materiell desinteressierte Experte. Der höheren Glaubwürdigkeit tue es auch keinen Abbruch, wenn sich etwa ein ausgewiesener Kernenergieexperte, der früher in Diensten der Industrie stand, als Pensionär zum Kritiker der Kernenergie entwickele. Der Bonus für Idealisten sei so groß, daß sich das Publikum selbst dann gegen die bezahlten Experten entscheide, wenn diese einmal recht haben sollten. Diese Erwägung legt Amery "insbesondere den Öffentlichkeitsabteilungen der Energiewirtschaft ans Herz".

14 Beiträge unterschiedlicher Thematik und Güte mit etlichen Seitenhieben gegen Energiewirtschaft

Die Energiewirtschaft wird in diesem Buch noch öfter angesprochen. Vier der insgesamt 14 Beiträge befassen sich ganz oder teilweise mit Themen dieser Branche. Im übrigen geht es um die Rolle von Wissenschaftlern in strittigen Fragen der Verkehrspolitik, der Gentechnologie, der Psychiatrie, des Gesundheitswesens, der Toxikologie, der Arbeitsmedizin und des Verbraucherschutzes.

Die Beiträge unterscheiden sich auch hinsichtlich ihres Informationsgehalts und der Tonart. Einen besonders rüden Ton schlägt der Mediziner Roland Scholz an, der felsenfest davon überzeugt ist, daß die Leukämie-Erkrankungen in der Nähe des Kernkraftwerks Krümmel auf die Niedrigstrahlung der Anlage zurückzuführen seien. Die epidemiologische Studie des Mainzer Mediziners Jörg Michaelis, die dafür keine Anhaltspunkte fand, trägt für ihn die Handschrift der Kernenergie-Lobby. "Sankt Michael, geh du voran", höhnt er in einer Überschrift. Der sachliche Gehalt seiner Anwürfe dürfte allerdings im umgekehrten Verhältnis zur Heftigkeit der Kritik stehen.

Ziemlich polemisch ist auch ein Beitrag von Irene Meichsner, der den Bogen schlägt von der Atomtechnik zur Gentechnologie und in beiden Fällen dieselbe Verantwortungslosigkeit am Werke sieht. Unter anderem wirft sie Vertretern der Energiewirtschaft vor, sie würden so lange wie nur möglich die sowjetamtliche Version von 31 Toten in Tschernobyl kolportieren, um das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe verharmlosen zu können. Besonders perfide sei der Vergleich mit ähnlichen Opferzahlen bei ganz normalen Unglücksfällen. Die Branche leide anscheinend unter einer Form von Realitätsverlust, für die der hessische Umweltminister Joschka Fischer einmal das Wort von der "intellektuellen Knallgasreaktion" geprägt habe.

Der Strahlenbiologe Edmund Lengfelder zieht ebenfalls die Zuverlässigkeit der offiziellen Untersuchungsergebnisse zu den Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl in Zweifel. Er läßt dabei anklingen, daß er die Experten der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) nicht gerade für unparteilich hält. Im Unterschied zu den vorgenannten Beiträgen ist seine Tonart aber ziemlich sachlich.

Ein paar kräftige Seitenhiebe gegen große Energieversorger setzt es schließlich noch in einem Beitrag des Toxikologen Otmar Wassermann, der unter anderem "Das Riesengeschäft mit der Müllverbrennung und die Rolle der Hofgutachter" behandelt. Wassermann nimmt in diesem Beitrag eine Reihe prominenter und vielbeschäftigter Gutachter namentlich aufs Korn. So sieht er den "mit Abstand fleißigsten Gutachter und Werber für die Müllverbrennung" in Prof. Helmut Greim, dem es fast gelungen sei, in der TA Siedlungsabfall - die unter Kennern "Lex RWE" genannt werde - die Müllverbrennung zwingend vorschreiben zu lassen. Wassermann wirft Greim unter anderen vor, die Dioxine zu verharmlosen, indem er ihnen für die Verursachung von Krebs nur eine "promovierende" anstelle einer ursächlichen Wirkung zubillige.

Eine "käufliche Wissenschaft" kann es nicht geben, höchstens korrumpierte Wissenschaftler

Eine Überprüfung der hier erhobenen Vorwürfe dürfte dem Leser in den meisten Fällen kaum möglich sein. Zum einen kann er sich nicht auf die Unvoreingenommenheit der Darstellung verlassen. Zum anderen fehlt es ihm an dem nötigen Fachwissen, um Streitfragen, deretwegen sich sogar Experten in den Haaren liegen, aus eigener Einsicht entscheiden zu können. Er könnte sich höchstens an einen dritten Experten wenden und würde damit möglicherweise, wie das Sprichwort so schön sagt, auf einen Schelmen anderthalbe setzen...

Falls allerdings zutrifft, was Carl Amery in seinem Vorwort schreibt, haben die in diesem Buch zu Worte kommenden Experten gegenüber dem Publikum allemal die besseren Karten, weil sie nicht im Verdacht stehen, von der Industrie bezahlt zu sein. Unabhängig von der sachlichen Richtigkeit ihrer Argumente genießen sie den Bonus, ihre Ansicht unabhängig von materiellen Interessen zu vertreten. - Sicher ein fragwürdiger Bonus, weil damit von vornherein unterstellt wird, daß Sachverständige nicht in erster Linie einem unumstößlichen Sachverhalt, sondern dem jeweiligen Auftraggeber verpflichtet seien. Ferner wird außer Acht gelassen, daß die Unparteilichkeit eines Experten durch idealistische Motive bzw. ideologische Verbohrtheit nicht minder gefährdet sein kann als durch materielle Korrumpierung.

Der Titel "Käufliche Wissenschaft" führt jedenfalls in die Irre: Die Inhalte von Wissenschaft können naturgemäß nicht käuflich sein. Auch eine noch so hohe Bestechungssumme ändert nichts an der Gültigkeit wissenschaftlicher Lehrsätze und Erkenntnisse. Es gibt allenfalls korrumpierte Wissenschaftler, die sie zu manipulieren versuchen.

Sicher wäre es auch einäugig, den parteilich deformierten Sachverstand nur im Umkreis zahlungskräftiger Auftraggeber zu suchen. Die Marktwirtschaft hält durchaus auch für die Rolle des selbstlosen Rebellen, furchtlosen Kritikers und Nonkonformisten einige lukrative Nischen bereit. Generell scheidet nicht von vornherein aus dem Kreis der Tatverdächtigen aus, wer lauthals "Haltet den Dieb!" ruft. Bei mancher Kontroverse zwischen verfeindeten Auguren der Wissenschaft möchte einem wie Heinrich Heine gar "dünken, daß sie beide stinken". .

(PB 4/96/*leu)