PresseBLICK-Rezensionen | Natur- und Geisteswissenschaften |
In der Südsee gibt es bei bestimmten Völkern einen "Cargo-Kult". Er entstand durch den zweiten Weltkrieg, als die Eingeborenen beobachteten, wie auf ihren Inseln Flugzeuge landeten, die viele brauchbare Güter brachten. Damit sich die Landung der Flugzeuge wiederholen möge, haben sie Landebahnen angelegt und Leuchtfeuer angezündet. Neben der Landebahn haben sie eine Hütte aus Holz gebaut. In dieser Hütte sitzt jemand mit einem hölzernen Apparat, der wie ein Kopfhörer aussieht, und aus dem ein Bambusstock als Antenne herausragt. - Das ist der Fluglotse, und so warten diese Völker noch heute darauf, daß sich die Landung der Flugzeuge wiederholen werde...
Möglicherweise ist die Geschichte vom Cargo-Kult nur eine hübsche Erfindung des Physikers Richard Feynman. Sie glossiert aber treffend ein verbreitetes Wissenschaftsverständnis, das Feynman als "Cargo-Kult-Wissenschaft" bezeichnete: Deren Adepten tun lediglich so, als ob sie Wissenschaft betreiben würden, in der Erwartung, daß sich die leere Schale ihres akademischen Gedönses auf irgendeine Weise mit echter Erkenntnis fülle.
Da war einst die unter Gelehrten heiß diskutierte Frage, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden können. Andere historische Beispiele sind Lavaters Physiognomik, Mesmers animalischer Magnetismus oder Gobineaus Rassentheorie. Heute begegnet man ähnlichen Cargo-Kulten vor allem im Bereich der Psychologie, zum Beispiel in den diversen Mythen vom "Unbewußten". Auch der "wissenschaftliche Sozialismus" östlicher Prägung, der eigene Institute und zahlreiche Lehrstühle unterhielt, an denen philosophische Holzköpfe mit Bambusantennen die Signale der Weltrevolution empfingen, kann endgültig als Cargo-Kult-Wissenschaft eingestuft werden.
Führend in der Hervorbringung von Cargo-Kulten sind seit jeher die USA, die uns mit solchen Errungenschaften wie Spiritismus, Christian Science, Positivem Denken, Scientology oder allen möglichen Psycho-Kulten beglückt haben. Schon Tocqueville hat sich seinerzeit darüber gewundert, wie schnell der an sich pragmatisch-gesunde Menschenverstand der Amerikaner in hemmungslosen Irrationalismus verfalle. Ihm schwante aber auch bereits, daß die Geistesverfassung der neuen Welt nur diejenige der alten Welt vorwegnimmt. Wir Europäer haben also keinerlei Anlaß zu Hochmut. Vielmehr sollte es uns hoffnungsvoll stimmen, daß die Beiträge des vorliegenden Buchs, das den Cargo-Kult-Wissenschaften den Kampf ansagt, ebenfalls aus den USA kommen. Sie entstammen dem "Skeptical Inquirer", einer Vierteljahresschrift, in der sich kritische Wissenschaftler, manchmal auch Laien und Journalisten, ihren Ärger über den grassierenden Irrationalismus von der Seele schreiben.
Den Titel des Sammelbandes liefert ein Aufsatz des Astrophysikers Cornelis de Jager über "Mein paranormales Fahrrad". Er verulkt jene Theorien, die in die bautechnischen Daten der Cheopspyramide alles mögliche hineingeheimnissen, von der angeblichen Kenntnis der Zahl Pi bis zu Daten aus der Astrophysik oder der Geschichte der Menschheit. Der Verfasser weist nach, daß derartige Theorien auf einer "übersteigerten Ehrfurcht vor zufälligen Übereinstimmungen von Zahlen" basieren. Er hat nämlich einen so profanen Gegenstand wie sein eigenes Fahrrad vermessen und mit den ermittelten Daten die Wissenschaft der "Radosophie" entwickelt - inklusive Fachdiskussion unter den Gelehrten, wie sich das gehört. Unglaublich, welche geheimnisvollen Bezüge sich da plötzlich finden lassen: Dem Schöpfer dieses Fahrrads müssen sogar die Gravitationskonstante und die Lichtgeschwindigkeit bekannt gewesen sein! - In Wirklichkeit handelt es sich um ganz banale Gesetzmäßigkeiten der Mathematik, die sich genausogut an jedem anderen Gegenstand exemplifizieren ließen.
Der gelungenste Beitrag des Bandes stammt von dem Psychologen Anthony R. Pratkanis und zerpflückt die Legende von der "subliminalen Beeinflussung". Diese pseudo-wissenschaftliche Theorie unterstellt, daß das Handeln von Menschen durch versteckte Botschaften beeinflußt werden könne, die entweder nur Sekundenbruchteile zu sehen oder vexierbildhaft verfremdet sind, so daß sie nur vom "Unbewußten" wahrgenommen würden. Wie ernst diese Theorie genommen wurde und noch wird, geht daraus hervor, daß US-Bundesbehörden den Sendern solche subliminalen Einblendungen bei Strafe des Lizenzentzugs verboten haben. Erst unlängst erhob ein US-Gericht Anklage gegen die Mitglieder einer Rockband, weil einer ihrer Songs die Aufforderung "Tu es!" als subliminales Implantat enthalten und damit die Selbstmorde von zwei jungen Männern herbeigeführt habe.
Die experimentelle Psychologie liefert jedoch keinerlei Anhaltspunkte für derartige Möglichkeiten der Manipulation. Daß die Theorie der subliminalen Beeinflussung dennoch reüssieren konnte und selbst unter Wissenschaftlern für bare Münze genommen wird, läßt sich wohl nur mit der kritiklosen Verbreitung psychoanalytischer Paradigmen erklären, die dem "Unbewußten" geheimnisvolle Kräfte und Fähigkeiten zuschreiben.
Pratkanis beschreibt, wie die Theorie der subliminalen Beeinflussung in Amerika erstmals um die Jahrhundertwende auftauchte, und zwar als Bestandteil der "New Thought"-Bewegung, die dem Geist eine unbegrenzte, aber verborgene Kraft zuschrieb, die man anzapfen könne, um Erfolg zu haben und ein glückliches Leben zu führen. Erneut sei sie dann in den fünfziger Jahren hochgekommen, als Freuds Psychoanalyse in den USA zu einer Art Ersatzreligion avancierte. Eine dritte und vierte Welle lasse sich in den siebziger Jahren sowie in der Gegenwart beobachten, wobei die ideologische Grundströmung jetzt von "new age" bestimmt werde.
Ihr angeblich wissenschaftliches Fundament erhielt die Theorie der subliminalen Beeinflussung in den späten fünfziger Jahren: In einem Kino in Fort Lee, New Yersey, ließ ein Werbefachmann in den laufenden Film wiederholt heimlich die Sätze "Iß Popcorn" und "Trink Cola" einblenden. Obwohl diese Einblendungen nur Bruchteile einer Tausendstel Sekunde dauerten und keinesfalls bewußt wahrgenommen werden konnten, stieg daraufhin unter den Kinobesuchern der Umsatz an Popcorn und Cola sprunghaft an. - So behauptet es jedenfalls die Legende, die der Werbefachmann fleißig verbreitete und die in der Literatur schließlich als wissenschaftliche Basisstudie gehandelt wurde. Noch seltsamer: Die Legende hielt sich sogar hartnäckig, nachdem der Werbefachmann 1962 zugab, er habe das angebliche Originalexperiment nur erfunden, um für sein rückläufiges Marketing-Unternehmen neue Kunden zu gewinnen.
"Mein paranormales Fahrrad" ist ein interessantes und teilweise höchst vernügliches Buch, obwohl es im Grunde lediglich daran erinnert, daß das wichtigste Kriterium von (Natur-)Wissenschaft die experimentelle Überprüfbarkeit ist. Einer der Autoren des "Skeptical Inquirer", Martin Gardiner, drückt es so aus: "Wenn Sie mir sagten, Sie hätten eine Ziege im Garten, dann würde ich Ihnen glauben. Wenn Sie sagten, Sie hätten ein Einhorn im Garten, könnte mich noch nicht einmal ein Foto überzeugen - ich würde nicht eher ruhen, als bis ich es mit eigenen Augen gesehen hätte."
(PB 2/94/*leu)