PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Heribert Prantl

Sind wir noch zu retten? - Anstiftung zum Widerstand gegen eine gefährliche Politik

281 S., DM 29.80, Carl Hanser Verlag 1998


Es berührt angenehm, wenn ein wohlbestallter Richter und Staatsanwalt seine Beamtenkarriere aufgibt, um den eher unsicheren Beruf des Journalisten zu ergreifen. Und wenn er sich dann auch noch ins Zeug legt, um für bürgerliche Freiheiten und soziale Gerechtigkeit zu streiten, ist ihm die Sympathie des Publikums fast schon gewiß.

Heribert Prantl heißt der abtrünnige Diener Justitias. Seit 1995 leitet er das Ressort Innenpolitik bei der "Süddeutschen Zeitung" . Er gehört zu den hervorragenden Schreibern dieses Blattes, das auflagenmäßig an der Spitze der deutschen Qualitäts-Tageszeitungen liegt. Der Abstand zur "Frankfurter Allgemeinen" ist allerdings in jeder Hinsicht nicht allzu groß, und so ist die Herausarbeitung feiner Unterschiede für beide Blätter von besonderer Bedeutung: Zu den bekannten Stärken der SZ gehören etwa das "Streiflicht" auf der ersten Seite und die Reportagen auf der dritten Seite (wie neulich das Porträt des PR-Zampanos Klaus Kocks, der inzwischen sogar den Sprung in den VW-Vorstand geschafft hat, und dessen Talente mit feiner Ironie ins gebührende Licht gerückt wurden). Aber auch die FAZ hat ihre Qualitäten: Zum Beispiel übertrumpft sie mit ihrem Reiseteil und der Technik-Beilage die entsprechenden Seiten aller Konkurrenten. Dem Leser ergeht es deshalb oft wie dem berühmten Esel zwischen den beiden Heuhaufen - nur daß er sich dann eben doch für das eine oder das andere Blatt entscheidet.

Im Wettstreit mit der Frankfurter Konkurrenz zeigt Prantl, was eine linksliberale Harke ist

Im harten Wettbewerb um die Top-Leserschaft wirbt die SZ nicht zuletzt damit, kritischer und liberaler als die FAZ zu sein, der seit jeher eine besondere Nähe zu Unionsparteien und Wirtschaftskreisen nachgesagt wird. Insofern tat sie einen guten Griff, als sie Heribert Prantl das innenpolitische Ressort anvertraute, das bei der FAZ unter der damaligen Leitung von Friedrich Karl Fromme noch am ehesten den Eindruck konservativer Blaustrümpfigkeit vermittelte. Denn Prantl ist so etwas wie ein Friedrich Karl Fromme von der linken Sorte: Fleißig, kenntnisreich und gesinnungsfest - aber eben mit anderem Vorzeichen und damit bestens geeignet, dem Frankfurter Konkurrenten coram publico zu zeigen, was eine linksliberale Harke ist.

Wer Prantls Kommentare aus den letzten Jahren nicht kennt, weil er - noch immer oder schon wieder - das konkurrierende Blatt für die klugen Köpfe abonniert hat, findet in diesem Buch ausgiebige Kostproben. Denn es scheint geradewegs aus lauter Leitartikeln kompiliert worden zu sein. Zum Beispiel glaubt man die amüsante Charakterisierung der FDP als "Chamaeleon politicus" schon wortwörtlich so in der SZ gelesen zu haben. Verlag und Autor schweigen sich leider darüber aus, welche Artikel wann und wo bereits einmal erschienen sind. Um auch äußerlich den Eindruck einer bloßen Sammlung von Leitartikeln zu mildern, haben sie die einzelnen Texte unter sehr allgemein gehaltenen Überschriften zusammengefaßt und auf fünf Kapitel verteilt.

Das erste dieser Kapitel heißt "Beten für Deutschland: Die Parteien im Wahljahr". Hier setzt sich Prantl mit den Bundestagsparteien und ihren Repräsentanten auseinander. Eine Art Haßliebe verbindet ihn mit der FDP, der er vorwirft, ihre rechtsstaatliche und linksliberale Programmatik dem Marktradikalismus geopfert zu haben. Sein unverhohlener Favorit ist eine rot-grüne Koalition, wogegen er nichts von einer Großen Koalition und noch weniger von einer rot-grünen Koalition unter Einschluß der PDS hält.

Das folgende Kapitel "Die Standort-Deutschland-Aktiengesellschaft" umfaßt diverse Warnungen vor dem Neoliberalismus: Prantl wirft ihm vor, daß er den Sozialstaat zerschlage, den Weg ins 19. Jahrhundert zurück antrete und das Grundgesetz aushöhle. Die Schere zwischen relativer Armut und Reichtum klaffe in Deutschland immer weiter auseinander, was über kurz oder lang böse Folgen nach sich ziehen werde.

Unter der Überschrift "Im Land der Mißbraucher, oder: Wie man Feindbilder herstellt" wird dann die Stimmungsmache gegen Asylanten, Ausländer und "Sozialschmarotzer" zurückgewiesen. Aber auch andere Themen finden sich hier, wie die Warnung vor den prekären Folgen einer immer größeren Machtfülle bei den Institutionen der EU, die demokratisch kaum legitimiert seien. Den Schluß bilden mehrere umfangreiche Kommentare unter den Kapitelüberschriften "Plädoyer gegen die Verwilderung: Für eine zivile Republik" und "Anstiftung zum Widerstand gegen eine gefährliche Politik".

Heribert Prantl schreibt ungefähr so, wie sein Vor- und Nachname klingen: Ein bißchen pathetisch und kräftig zupackend. Seine Grundthesen lauten: Die Republik verwildert. Ihre Liberalität wird abgerüstet. Der soziale Rechtsstaat erodiert. Es muß endlich Schluß damit sein, sich von der Standort-Deutschland-Debatte ins Bockshorn jagen zu lassen. Der Widerstand gegen eine gefährliche Politik ist Bürgerpflicht!

Der Leitartikler Prantl scheint ein guter Staatsanwalt gewesen zu sein, so wie er seine Anklageschriften vorträgt. Ob sie einer unvoreingenommenen Beweiswürdigung standhalten, steht auf einem anderen Blatt. Manches klingt ein bißchen arg gesinnungstüchtig und altbacken links, als wolle er die Lesergemeinde der "Frankfurter Rundschau" erbauen. Aber selbst da, wo er übertreiben und sich vergreifen mag, ist seine Kritik nicht einfach an den Haaren herbeigezogen. Und lesbarer als staatsanwaltliche Plädoyers sind seine Leitartikel allemal.

(PB 6/98/*leu)