PresseBLICK-Rezensionen | Politik, Zeitgeschehen |
Die Politik hat ihre eigenen Zwänge. Das merkte schon Friedrich der Große, dem als junger Thronfolger die zynischen Ratschläge des Italieners Machiavelli zur Ausübung der Macht so zuwider waren, daß er einen "Anti-Machiavell" verfaßte. Das Attribut "der Große" bekam er freilich erst, nachdem er sich skrupellos genau jener Methoden bediente, die Machiavelli empfohlen hatte.
Dabei hatten es die Fürsten ja noch bequem: Ihre Macht kam von Gottes Gnaden, war grundsätzlich auf Lebenszeit gesichert und bedurfte keiner weiteren Rechtfertigung. Die demokratisch gewählten Herrscher von heute müssen sich dagegen - obwohl ihnen fürstliche Allüren nicht unbedingt fremd sind - in regelmäßigen Abständen dem Votum der Wähler stellen. Mit den erprobten Ratschlägen Machiavellis ist es da nicht mehr getan. Es bedarf einer ausgeklügelten PR-Strategie, damit die "Selbstdarstellung" stimmt.
Von diesem Zwang zur Selbstdarstellung handelt das vorliegende Buch. Lothar Laux ist Inhaber des Lehrstuhls für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bamberg. Die Koautorin Astrid Schütz ist Mitarbeiterin an diesem Lehrstuhl. Beide behandeln ihr Thema mit dem professionellen Interesse von Reptilienforschern, die leidenschaftslos den Farbwechsel des Chamäleons untersuchen. Die Parteizugehörigkeit der Untersuchungsobjekte spielt für sie keine Rolle, denn dem Zwang zur Selbstdarstellung entgeht niemand, der beschlossen hat, Politiker zu werden.
Ein ergiebiges Material liefern ihnen die amerikanischen Wahlkämpfe. In den USA hat sich die Personalisierung von Politik früher und stärker ausgeprägt als hierzulande, wo Parteien und Programmatik einen zwar schwindenden, aber immer noch beachtlichen Stellenwert besitzen. Ein gutes Beispiel sind die Popularität und die Wahlerfolge Ronald Reagans, der zwar von Sachfragen nur wenig Ahnung hatte, aber als gelernter Schauspieler das Showbusiness besser beherrschte als seine Gegenspieler Carter (1980) und Mondale (1984).
Äußerst wichtig für den Wahlerfolg eines angehenden US-Präsidenten ist aber auch die PR-Crew, die dem Politiker zur Seite steht und die Drehbücher seiner Auftritte schreibt. Astrid Schütz nahm Einblick in die Unterlagen verschiedener solcher Wahlkampfberater, die jeweils für Reagan, Mondale, Bush, Dukakis und Clinton die Regieanweisungen zur Selbstdarstellung ausgearbeitet haben. Daß dabei Rhetorik vor Substanz geht, überrascht nicht. Fast noch wichtiger als der phrasenhafte Schlagabtausch ist aber das nonverbale Verhalten des Kandidaten: Wenn Mimik und Gestik stimmen, hat er beim Showdown im Fernsehen die Gunst der Zuschauer schon halb gewonnen. Dagegen kann eine unbedachte Bewegung, eine falsche Blickrichtung oder auch nur ein Anflug von Unsicherheit und Erschöpfung bei der nächsten Gallup-Umfrage entscheidende Prozente kosten. Deshalb sah zum Beispiel eine der Regieanweisungen für Mondale vor, daß er bei der Fernsehdiskussion hinter dem Podium hervortreten und einen Schritt auf Reagan zugehen solle - nicht etwa als Ausdruck des Entgegenkommens, sondern um so für das Millionenpublikum am Bildschirm den Eindruck zu erwecken, daß Reagan in die Enge getrieben würde.
Aber Reagan, der "große Kommunikator", war eben das bessere Showtalent: Mondale büßte seinen Vorsprung, den er beim ersten Duell errungen hatte, bei der zweiten Fernsehdebatte ein. Ähnlich erging es Dukakis, der im Wahlkampf gegen Bush ursprünglich als Favorit galt: Sein Auftreten war auf die Darstellung von Kompetenz und auf inhaltliche Aussagen ausgelegt. Er vertraute auf die inhaltliche Botschaft des gesprochenen Wortes, setzte Mimik und Gestik sparsam ein. Dagegen präsentierte sich Bush mit zunehmendem Erfolg wie Reagan als Vertreter der "amerikanischen Werte". Der Mehrheit des Publikums erschien er damit "als kraftvollerer und der Präsidentschaft würdigerer Kandidat".
Wenn Phrasen und Mimik allein nicht ausreichen, holen die PR-Berater auch gern die Schlammspritze hervor: So wurde von republikanischer Seite über Dukakis das Gerücht verbreitet, er sei schon einmal wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung gewesen. Der gegenwärtig amtierende Präsident Clinton wurde schon vor seiner Wahl als notorischer Frauenheld dargestellt. Außerdem beschimpften ihn seine Gegner als Drückeberger, Pazifisten und Opportunisten, weil er nicht in Vietnam gekämpft hatte.
Typisch amerikanisch ist das aber nicht. Auch bei uns gilt, was Lothar Laux so formuliert: "Politik kommt ohne Inszenierung, ohne Personalisierung nicht aus. Politiker unterliegen strukturellen Zwängen, die sich vor allem aus der Vermittlung der Politik über Massenmedien ergeben. Wer heute Politik wirkungsvoll gestalten möchte, muß das Spiel mitspielen, selbst wenn er das Spiel nicht mag."
Die Anforderungen dieses Spiels gehen an der geistig-emotionalen Verfassung der Akteure nicht spurlos vorüber, wie Laux feststellt, sondern führen zu einer eigenartigen déformation professionelle: "Politiker stellen Betroffenheit dar, indem sie bevorzugt von ihren Gefühlen reden. Glaubwürdig zu wirken, ist ihr oberstes Ziel. Dabei manipulieren sie nicht nur die Gefühle des Publikums, sondern auch ihre eigenen. Sie sind zu ÔGefühlsarbeiternÕ geworden."
Es gibt, Laux zufolge, nur wenige Gefühlsäußerungen von Politikern, wo man sicher sein könne, daß sie spontan aufgetreten sind. Dazu gehöre Helmut Kohls zorniges Losstürmen auf die Eierwerfer von Halle oder Irmgard Schwaetzers Weinen, als die FDP-Fraktion entschied, sie doch nicht zur Außenministerin zu machen. Auch Brandts berühmter Kniefall an der Gedenkstätte des Warschauer Ghettos könne als Paradebeispiel für eine spontane emotionale Reaktion gelten. - Dagegen habe Richard Nixon einen inszenierten Gefühlsausbruch vorgeführt, als er sich im Fernsehen unter Tränen gegen Korruptions-Vorwürfe verteidigte - und schlitzohrig einräumte, daß freilich seine sechsjährige Tochter von einem Wähler einen Cockerspaniel geschenkt bekommen habe...
Besonders viel Gefühlsarbeit - und zwar im Sinne der Unterdrückung und Verkrümmung von Gefühlen - wird dem Politiker bei seiner televisionären Selbstdarstellung abverlangt; zum Beispiel nach einer Wahlniederlage, wenn er seine Enttäuschung souverän überspielen und in eine möglichst eindrucksvolle Personality-Show ummünzen muß. Auch sonst hat er, als Person des öffentlichen Lebens und Repräsentant einer Partei, immerzu guter Stimmung zu sein oder ist in anderer Weise zu dauernder "Affektkontrolle" gezwungen, wie Psychologen das nennen.
Besorgt fragt Laux deshalb, welchen Preis ein Politiker für die "andauernde kontrollierte Emotionsdarstellung" entrichten muß. - Es lägen dazu zwar keine empirischen Untersuchungen vor. In der Literatur zum Thema "Krankheitsanfälligkeit" gelte aber ein solches Verhalten als dysfunktionaler Bewältigungsstil und als Basis für die Ausbildung einer Vielzahl psychosomatischer Symptome.
Eine sicher allgemeiner interessierende Frage wäre, ob diese Personalisierung, Emotionalisierung und Versimpelung von Politik wirklich unvermeidlich ist. Immerhin gerät damit Politik auf ein Niveau, auf dem populistische Selbstdarsteller wie Reagan, machtbewußte Medienherrscher wie Berlusconi oder gar die Demagogen totalitärer Parteien einen verhängnisvollen Bonus bekommen. Die Publizistin Cora Stephan sieht in ihrem Buch über den "Betroffenheitskult" bereits die eigentliche Dimension des Politischen gefährdet. Laux gibt dagegen zu bedenken, daß - bei aller berechtigten Kritik an den gefühlsträchtigen Inszenierungen - die "Schaufunktion" von Politik nicht übersehen werden dürfe: Politik habe auch "die Aufgabe, Vorgänge in der Wirklichkeit auf symbolischer Ebene zu verdichten und auszudrücken". So habe sich schon Bismarck gegenüber dem rückständigeren Teil seiner feudalen Standesgenossen als reaktionärer Träumer darstellen müssen, um mit der deutschen Einigung unter preußischer Führung neue Wege beschreiten zu können.
Man könnte hier vielleicht einwenden, daß Laux die "Schaufunktion" von Politik allzu positiv sieht. - Immerhin gab es zur Zeit Bismarcks auch einen Louis Bonaparte, der sich als zweiter Napoleon aufführte und den Franzosen die Wiedergeburt des Kaiserreichs vorgaukelte, bis sein "second empire" 1871 unter dem Vormarsch der deutschen Verbündeten kläglich zusammenbrach. Bismarck war in diesem Fall der erfolgreichere Politiker, aber in ihrem politischen Dompteur-Verhalten, das als "Bonapartismus" in die Literatur einging, glichen sich die beiden Kontrahenten doch sehr.
Der französische Schriftsteller Gustave Le Bon schrieb damals seine "Psychologie der Massen". Das Buch erhob den Anspruch, praktische Ratschläge zur Manipulierung des Pöbels zu liefern. Es war insofern eine Art Nachtrag zum Werk Macchiavellis für den Gebrauch im demokratischen Zeitalter und enthielt viele Klischeevorstellungen, die noch heute durch die Köpfe geistern. Sein großer Erfolg dürfte mehr einer massenhaft verbreiteten Ideologie der Massenverachtung als dem praktischen Gebrauchswert zu verdanken gewesen sein. Es bezeugt aber, daß die Personalisierung und Emotionalisierung von Politik weder eine Erfindung amerikanischer Wahlkampfstrategen noch eine Erscheinung unserer Tage ist.
Das vorliegende Buch versucht sich dagegen eher an einer Art "Psychologie der Politiker". Es weckt Verständnis für die spezifischen Zwänge, denen ein Politiker nicht entrinnen kann, wenn er in der massenmedialen Gesellschaft präsent und erfolgreich sein will - vor allem für den Zwang zur erfolgreichen Selbstdarstellung, der oft vorschnell als Eitelkeit, Disziplinlosigkeit oder Egoismus gedeutet wird. In einer Gesellschaft, deren Bürger durchschnittlich drei Stunden am Tag mit Soap Operas, Talk-Shows und ähnlich trivialen Angeboten vor dem Bildschirm verbringen, kann die Präsentation politischer Inhalte nicht viel anspruchsvoller sein. Die Verrenkungen der politischen Selbstdarsteller und ihrer Helfer, wie sie dieses Buch beschreibt, vermitteln dem Leser eine Ahnung davon, daß am kläglichen Zustand der politischen Bühne das verdrossene Publikum mindestens ebenso beteiligt ist wie die Akteure.
Das Buch ist trotz des wissenschaftlichen Ansatzes flüssig geschrieben, was bei Schriften zu Theorie und Praxis der PR-Arbeit eher selten vorkommt. Der Text wird aufgelockert durch Collagen, auf denen die Köpfe von Politikern mit der jeweils typischen Art ihrer Selbstdarstellung zu sehen sind: So gerät Engholm zur Ikone, Reagan zur "One-Man-Show" oder Möllemann zum Body-Builder. Diese Verfremdung bis zur Kenntlichkeit verhilft dem Buch zu einem satirischen Begleitton, der teilweise auch schon im Text angelegt ist, sofern man die Zwänge zur Selbstdarstellung als Realsatire begreift. Mitunter glaubt man im Hintergrund Georg Kreisler zu hören, wie er auf dem Klavier klimpert und verzweifelt fragt: "...aber was fürÕn Ticker ist ein Poli-Ticker?" - Eine Frage, die auch dieses Buch sicher nicht erschöpfend beantwortet.
(PB 7/96/*leu)