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Der Zeitgeist ist auch nicht mehr das, was er mal war: In seiner romantischen Urgestalt war er ein Verwandter des Hegelschen Weltgeistes, der sich im unaufhaltsamen Gang der Geschichte verwirklicht. Der Zeitgeist eilte dem Weltgeist ein paar Schritte voraus und avisierte die bevorstehenden Veränderungen. In diesem Sinne verstanden sich etwa die Literaten des "jungen Deutschland", die gegen den Stachel der Heiligen Allianz löckten, als Vollstrecker des Zeitgeistes. Auch die Arbeiterbewegung sang später siegesgewiß: "Mit uns zieht die neue Zeit...". - Falls es dann doch nicht so recht vorwärts ging, konnte das nur an vorübergehenden Atembeschwerden des Zeitgeistes liegen: Als "genius saeculi" war er ein äußerst zäher Bursche, dem mehr als die Dauer eines Menschenlebens zur Verfügung stand, um endgültig zu triumphieren.
Inzwischen ist der Zeitgeist viel flüchtiger geworden. Er hat nicht mehr den langen Atem des Weltgeistes, der sich in der Geschichte realisiert, sondern ist eher ein laues Lüftchen, das aus unerfindlichen Gründen mal aus dieser, mal aus jener Ecke weht. "Es gibt gar keinen Zeitgeist, sondern es gibt sozusagen eine ganze Reihe von Zeitgeistern", befand schon 1931 Levin L. Schücking in seiner "Soziologie der literarischen Geschmacksbildung". Vermutlich war auch Schückings Urteil stark vom Zeitgeist beeinflußt. Aber egal: Entscheidend war, daß der Zeitgeist nun nicht mehr philosophisch-literarisch daherkam, sondern sich um eine "wissenschaftliche" Sichtweise seiner selbst bemühte. Mit diesem Sündenfall eines Literaturwissenschaftlers war der Zeitgeist unter die Soziologen gefallen. Und so begegnet er uns heute nur noch in der Kümmerform von soziologisch-statistischen "Trends", denen man die Verwandtschaft mit dem Hegelschen Weltgeist sowenig anmerkt wie einem Teddybären die Abstammung vom Grizzly.
Aber man täusche sich nicht: Auch bei Teddybären gibt es gewaltige Unterschiede. Dies bringen die beiden vorliegenden Bücher zum Bewußtsein, in denen ein empörter Soziologe - gewissermaßen als Anwalt des original Steiff-Bären mit akademischem Knopf im Ohr - vor billigen Imitaten warnt, deren Hersteller und Verbreiter sich als "Trendforscher" bezeichnen.
Beide Bücher sind sich sehr ähnlich. Das erste ist die überarbeitete Taschenbuch-Version des ursprünglichen Titels "Trends. Das Geschäft mit der Zukunft", der 1995 im Wiener Verlag Kremayr & Scheriau erschien. Mit dem zweiten Buch unternimmt der Autor anscheinend den Versuch, an den Erfolg des ersten anzuknüpfen. Es vermittelt keine grundlegend anderen Einsichten. Wie sein Vorgänger ist es aber eine herrliche Polemik gegen die Zeitgeist-Branche, für die man gern ein paar Mark mehr hinlegt, ohne erst auf das billigere Taschenbuch zu warten.
Holger Rust ist Hochschullehrer für Soziologie und Kommunikationswissenschaften und geschäftsführender Direktor des Instituts für Psychologie und Soziologie im Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Universität Hannover. Daneben arbeitet er als Wirtschaftsjournalist und Unternehmensberater. Er betätigt sich also auf einem ähnlichen Gebiet wie die Trendforscher. Der Anlaß seiner Bücher ist aber nicht die übliche Eifersucht unter den Zeitgeist-Gurus, die sich mit ihren Prognosen wechselseitig auf die Füße treten und deshalb die Konkurrenz madig machen müssen. Seine Kritik an der Trendforschung ist grundsätzlicher Art. Ihm schmeckt das ganze Metier nicht. Er will klarstellen, "daß da einfach nur viel heiße Luft in die Atmosphäre geblasen wird - während empirisch hart arbeitende Soziologen und Psychologen, Unternehmer, Marktforscher und Unternehmensberatungen Monate, manchmal Jahre brauchen, bis sie zu einem abgesicherten Befund über die Entwicklung eines Produktes, eines Teilmarktes oder einer gesellschaftlichen Entwicklung kommen".
Seine Empörung äußert der Hochschullehrer in völlig unakademischer Weise: In einem spritzigen, journalistischen Rundumschlag, der nicht nur die Zeitgeist-Experten der Reihe nach abwatscht, sondern auch deren gesellschaftliches Umfeld aufs Korn nimmt. Besonders in seinem zweiten Buch erweitert er die Kritik am eigentlichen Trendgewerbe um benachbarte zeitgeistige Phänomene wie die Bestseller-Erfolge von Jostein Gaarders "Sofies Welt" und Ute Erhardts "Bösen Mädchen", wobei er letztere treffend als "Pippi Langstrumpf für Erwachsene" charakterisiert. Ebenso kriegt die "Instantphilosophie" ihr Fett weg, deren Bogen sich von gräßlichen Machwerken wie "Mit Platon zum Profit" bis zum einigermaßen anspruchsvollen philosophischen Varieté eines Peter Sloterdijk oder Norbert Bolz spannt.
Rust hält eine seriös betriebene Trendforschung wohl für möglich, sieht sie aber mit Sicherheit nicht in jener Ecke angesiedelt, aus der uns regelmäßig die neuesten "Megatrends" und angeblichen Feinanalysen des momentan herrschenden Zeitgeistes erreichen. Die marktmäßige Verwurstung einer anfänglich noch akademisch geprägten "Futurologie" habe bereits in den siebziger und achtziger Jahren mit den Bestsellern von Alvin Toffler und Herman Kahn begonnen. Die Prognosen der heutigen "populistischen Trendforscher" wie John Naisbitt, Faith Popcorn, Matthias Horx oder Gerd Gerken seien vollends "nichts anderes als die semantische Politur des Selbstverständlichen".
Zu den aufgeblasenen Nichtigkeiten zählt er etwa das "Cocooning" als angeblichen Trend zum Rückzug in die häusliche Initimität, während in Wirklichkeit die letzten Reste an Privatheit medial vermarktet und an die Öffentlichkeit gekehrt wurden. Auch die "Yuppies" seien eine solche Medienkonstruktion gewesen, die mit dem realen Leben der jungen Leute nicht viel zu tun gehabt habe. Den hochmodischen, der Chaostheorie entlehnten Begriff des "fraktalen Marktes" verspottet er als die "Selbstähnlichkeit der Produkte einer geistigen Vermarktungsmaschinerie, die aus nichts anderem besteht als aus aufgeblasenen Worten".
Dem "Tausendsassa" Gerd Gehrken hält Rust vor, daß er offenbar einen Science-fiction-Roman nicht von realistischen Zukunftsvisionen unterscheiden könne: Gerken lasse beim Blick in die Zukunft die Autos auf achtspurigen Autobahnen mit "Tachyonen-Energie" dahingleiten. Tachyonen seien jedoch rein hypothetische Elementarteilchen, die bisher noch nicht einmal experimentell nachgewiesen werden konnten.
Im Grunde täten die Trend-Forscher eben auch nichts anderes, als mit ihrem laienhaften Sachverstand irgendwelche Zeitschriften und Bücher durchzublättern, um dann sehr subjektiv und intuitiv aus den gesammelten Lesefrüchten einen vermeintlichen Trend herauszudeuten. Wenn dann das von ihnen ausgewertete Journal auch bloß widerkäue, was irgendwelche Zeitgeist-Experten gerade verkündet haben, schließe sich der Reigen zur vollendeten Inzucht. Den Kunden gegenüber werde freilich so getan, als verberge sich hinter "Scanning", "Monitoring", "Contentanalyse" und sonstigen Anglizismen eine durchdachte und wissenschaftlich nachvollziehbare Methode.
Nicht etwa, daß es keine echten Trends geben würde. Aber mit denen gehe es wie mit dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht: So seien gerade die Seifenblasen der Trendforscher Ausdruck eines sehr starken Trends, der unsere Gesellschaft in die Abhängigkeit von allerlei Pop-Propheten, Lebenshilfe-Gurus, esoterischen Heilsideen und reinem Aberglauben führe.
Da zum erfolgreichen Bluff immer jemand gehört, der sich bluffen läßt, wirft Rust die Frage auf, wie unfähig und orientierungslos eigentlich ein Management sein müsse, das auf die Blindenführung durch Zeitgeist-Experten vertraut und dafür sogar etliches Geld ausgibt. Schon früher, als es die Trendforschung noch nicht gab, soll ja mancher Leitende heimlich zu Wahrsagern geschlichen sein, um sich aus dem Kaffeesatz, den Karten, den Sternen, einer glitzernden Kugel oder den Weissagungen des Nostradamus ein Mindestmaß an Orientierungshilfe im Dschungel des Wirtschaftslebens zu holen ...
Heute äußere sich der allgemeine "Burnout der Vernunft" in einer wahren Flut an Ratgebern für Manager. In seinem ersten Buch listet Rust auf etlichen Seiten über hundert einschlägige Werke auf, die eine "Zufallsauswahl" aus etwa 1700 lieferbaren Wirtschaftstiteln darstellen. Er will damit keine pauschale Wertung der jeweiligen Titel verbinden, sondern nur illustrieren, wie schwierig es für den Manager ist, ein möglicherweise tatsächlich nützliches Buch von Scharlatanerie und heißer Luft zu unterscheiden. Einer der stärksten Trends sei gegenwärtig die Welle der "Dale-Carnegie-Literatur", die nach Art einer tibetanischen Gebetsmühle das Grundmotiv "How to succeed" endlos wiederholt und damit einer nach Millionen zählenden Lesergemeinde den Eintritt in die Welt des Erfolgsmenschentums vorgaukelt.
"Kaum formiert sich ein Gedanke, schon ist er ein Buch", umreißt Rust das Klima, in dem die Ratgeber und Sinnstifter ihr einträgliches Geschäft betreiben. Auch die Trendforschung sei letztlich nur eine der Antworten auf die "Hilfeschreie einer orientierungslosen Pflegefallgesellschaft". Angesichts der allgemeinen Abdankung der Vernunft bestehe sogar die Gefahr, daß die Trendforscher "Definitionsmacht über die Wirtschaftskultur" gewinnen wollten und könnten.
Rust versteht sich selbst als "Angehöriger der 68er-Generation". Der geistige Standort, von dem aus er gegen die "hegelianisch dunklen Formulierungen" der Trendforscher zu Felde zieht, ist sichtlich von Poppers kritischem Rationalismus geprägt (siehe PB 8/96). Den Managern, die auf das "postmoderne Trendgemunkel in nebulöser Sprache" hereinfallen, empfiehlt er in beiden Büchern als heilsame Lektüre die "Träume eines Geistersehers" - eine Frühschrift Kants, in der sich der Philosoph über den Spiritisten Swedenborg lustig macht.
Auch von Poppers Widersacher Adorno - so bekennt er kokett - habe er ein bißchen profitiert, indem er dessen Methode der "immanenten Kritik" nun auf die Trendforschung anwende. Wie alle wichtigen Trendbegriffe bezeichne dieses von Adorno in die Welt gesetzte Schlagwort einen einfachen Sachverhalt: "Man schaut sich genau an, was gesagt wird, und überprüft die Belege." Eigentlich sei das schon wieder mehr Popper als Adorno, aber da letzterer nun mal als Erfinder der immanenten Kritik gelte, müsse er sich halt auf ihn berufen.
Hier irrt Rust freilich: Die "immanente Kritik" ist keineswegs eine Erfindung Adornos und hat auch nichts mit Popper zu tun, sondern gehört schon viel länger zum Instrumentarium der Philosophie. Der Ausdruck besagt tatsächlich nichts anderes, als daß Theorien, Gedanken oder philosophische Systeme von deren eigenen Inhalten aus beurteilt werden.
Vermutlich meint Rust etwas anderes. Mit einem Diktum von Marx, das auch von Adorno geschätzt wurde, könnte man es etwa so ausdrücken: Er hat bei Adorno abgeguckt, wie man die mißlichen Verhältnisse zum Tanzen bringt, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt. So wie er die Zunft der Trendforscher durcheinanderwirbelt, einen nach dem anderen aufspießt, genüßlich am satirischen Grill röstet und im eigenen Saft garen läßt, hat das noch kein anderer vorgemacht. Rust schmäht das Gewerbe nicht nur, sondern kennt sich bestens in ihm aus. Insofern betreibt er tatsächlich immanente Kritik, als ob an ihm ein echter Trendforscher und Zeitgeist-Experte verlorengegangen wäre. Aber das würde er wohl als ein arg zwiespältiges Kompliment empfinden...
(PB 4/98/*leu)