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Es gibt Dinge, die man auf englisch ausdrücken muß, weil sie auf deutsch zu banal klingen. Dazu gehört der "shareholder value". Auf deutsch heißt das soviel wie Aktionärsrendite, und neuerdings wird viel Aufhebens davon gemacht. Aber eigentlich waren Aktiengesellschaften noch niemals Wohltätigkeitsveranstaltungen, und auch die Zahl der Aktionäre, die nicht brennend an der Rendite interessiert sind, hat sich seit jeher in Grenzen gehalten. Warum also der ganze Wirbel um einen simplen Sachverhalt?
Wer so fragt, läßt erkennen, daß er noch immer nicht die Leistung jener Management-Berater und Wirtschaftstheoretiker zu würdigen weiß, die einen Gedanken, der vom geistigen Volumen her gerade mal einen Fingerhut füllen würde, zur ultimativen Erleuchtung aufblasen. Wie man das macht und welche tollen Effekte sich damit erzielen lassen, zeigen die Autoren des vorliegenden Buches anhand zahlreicher Beispiele.
Im Falle des "shareholder value" begann alles mit einem Buch, das 1986 unter dem Titel "Creating Shareholder Value" in den USA erschien und mit mehr als 50 000 verkauften Exemplaren zu einem Bestseller unter den Wirtschaftsbüchern wurde. Der Autor, Alfred Rappaport, erhob darin die Aktienrendite zur einzigen Meßlatte für den Unternehmenserfolg. Den Ausgangspunkt bildete die Überlegung, daß der Aktienkurs oft nicht den tatsächlichen Wert eines Unternehmens widerspiegelt, weil das Management die Bilanzen frisiert, stille Reserven anlegt, überflüssige Ausgaben tätigt oder Geld in ungewisse Projekte investiert.
Soweit handelt es sich noch um eine Binsenweisheit, die jedem geläufig ist, der sich ein bißchen in wirtschaftlichen Dingen auskennt. Aber Rappaport verstand es, aus dieser Binsenweisheit eine veritable Managementtheorie zu machen: Er entwickelte ein Szenario, worin den "shareholdern", also den Aktionären, die "stakeholder" als natürliche Widersacher gegenüberstehen, zu denen er neben den Managern auch alle Beschäftigten des Unternehmens sowie dessen Gläubiger zählt. Und wenn die "shareholder" nicht höllisch aufpassen, werden sie von den "stakeholdern" durch versteckte Rücklagen, überhöhte Gehälter, unnütze Investitionen und allerlei Sozialklimbim um einen Teil der möglichen Rendite geprellt.
Seitdem ist der "shareholder value" in aller Munde. Gerade in Kreisen von Managern, die sich als "stakeholder" eigentlich auf den Schlips getreten fühlen müßten, gehört es zum guten Ton, ihn als neues Evangelium vor sich herzutragen. Und es bleibt nicht bloß bei Lippenbekenntnissen: In komplizierten Berechnungsverfahren wird der "shareholder value" ermittelt, werden sämtliche Unternehmensbereiche auf Rendite-schädliche Polster abgeklopft. Das neue Börsen-Ideal verlangt gebieterisch das auf Kassakurs getrimmte, aus puren Muskeln bestehende Unternehmen.
Irgendwann wird sich vermutlich herausstellen, daß man bei der Jagd nach dem höchstmöglichen Shareholder value nicht nur Fett weggeschnipselt hat, sondern auch Muskelfleisch, und daß ein Unternehmen noch schneller an Magersucht als an Verfettung sterben kann. Aber das wäre für die Erfinder von Managementtheorien keineswegs ein Beinbruch, sondern der willkommene Anlaß, um eine neue Theorie zu kreieren. Zum Beispiel könnte man dann ein kluges Buch mit dem Titel "The limits of shareholder value" schreiben...
Die Autoren knöpfen sich insgesamt zwei Dutzend solcher Management-Theorien vor. Bei aller Verschiedenheit des Designs sind die Strickmuster sehr ähnlich: Immer handelt es sich um ein paar banale Grundgedanken, gegen die sich schlechterdings nichts einwenden läßt, weil sie vernünftig klingen oder auch vernünftig sind - allerdings nur, solange man kein Patentrezept daraus macht.
Fast alle Rezepte kommen aus den USA. Made in Germany war lediglich das "Harzburger Modell" des Reinhard Höhn, das sich in den fünfziger und sechziger Jahren großer Beliebtheit erfreute: Höhn übertrug die Erfahrungen aus der Führung militärischer Einheiten auf die Wirtschaft. Die Autoren sprechen deshalb von "Management by Bundeswehr". Damit tun sie der Bundeswehr ein bißchen Unrecht, denn dieser Kommando-Stil der Unternehmensführung war älter: Er war ein Auslaufmodell jener Zeit, als in Deutschland die Frage "Haben Sie gedient?" bei keinem Einstellungsgespräch fehlen durfte.
Das Harzburger Modell wurde spätestens obsolet, als die Studentenrevolte die restaurativen Kinderjahre der Bundesrepublik beendete - zumal sich dann auch noch herumsprach, daß Reinhard Höhn, der für seine Verdienste um die Managerausbildung im demokratischen Nachkriegsdeutschland hochgeschätzt worden war, früher als hoher SS-Führer amtiert hatte.
Die Übernahme US-amerikanischer Vorstellungen von Unternehmensführung war da vergleichsweise ein echter Fortschritt. Sogar das "Management by Leadership", das dem Harzburger Modell am ehesten entsprechen würde, kommt so amerikanisch-lässig daher wie ein kaugummikauender GI gegenüber einem strammstehenden Wehrmachtssoldaten. Auch können die Amerikaner mit dem Wort "leader" noch ganz unbefangen umgehen. Der Deutsche muß sich dagegen ganz schön winden, bis er eine politisch korrekte Übersetzung wie "Führungspersönlichkeit" gefunden hat.
Vor allem bieten die amerikanischen Management-Theorien eine ungemein große Auswahl. Am besten schnappt man sich erst mal einen Einkaufswagen, bevor man im Supermarkt der Management-Literatur die Regale abfährt: Es wimmelt nur so von allen möglichen Rezepten, die zum Teil konträr angelegt sind und sich gegenseitig ausschließen. Man kann also praktisch nichts falsch machen, weil eine Methode so fragwürdig ist wie die andere ...
Wenn einem beispielsweise das "Management by Leadership" nicht behagt, kann man dieselben Erfolge durch "Management by Chaos" erzielen. Leicht fernöstlich angehaucht kommen "Kaizen" und "Kanban" daher. Auf die sanfte Tour setzen "Corporate Culture" und "Soft Management" . Eher nach Personalabbau schmecken "Reengeneering" , "Benchmarking", "Outsourcing", "Lean Management" oder "Total Value Management" (letzteres steht für die praktische Umsetzung des "shareholder value"-Ansatzes). Und wer sich noch immer nicht entscheiden kann, sollte einfach das Wort Management oder "management by" mit irgendeinem hübschen Substantiv oder Adjektiv kombinieren. Bereits vergeben sind allerdings die Kombinationen Innovationsmanagement, Synergiemanagement, Chance Management, Team Management, Zeitmanagement oder Case Management.
Der Erfolg von Management-Theorien hängt entscheidend davon ab, wieweit es gelingt, einen möglichst schlichten Gedanken in möglichst komplizierter Weise auszudrücken. Man sollte zum Beispiel nie sagen: "Diese Ware müßte sich gut verkaufen". Stattdessen muß es heißen: "Die Ware reflektiert die Bedingungen der Nachfragemärkte in einer Weise, die bei den Marktteilnehmern ein hohes Maß an Akzeptanz erwarten läßt."
Die Welt wird halt immer wissenschaftlicher. Hie und da mag es noch die alten Waldläufer geben, die einfach auf ihren Riecher als Unternehmer vertrauen. Sie kennen alle wirtschaftlichen und technischen Finessen ihres Geschäfts und brauchen bloß den angefeuchteten Finger in die Luft zu strecken, um zu wissen, woher der Wind weht. Aber diese Spezies des Unternehmertums ist offensichtlich im Aussterben begriffen: Die Flut von Management-Literatur wendet sich an einen neuen Typus des Leitenden, der - hochbezahlt, aber nicht unbedingt hochkompetent - in ständiger Unsicherheit lebt, ob er die richtigen Entscheidungen trifft. Im tiefsitzenden Bedürfnis der Leitenden nach Beratung und Absicherung sehen die Autoren den eigentlichen Nährboden des Beratungsgewerbes. Im Unterschied zum alten Typus des Wirtschaftslenkers ist es bei den neuen Leitenden meistens nicht deren eigenes Kapital, das in dem Unternehmen steckt. Das erhöht den Legitimationsdruck gegenüber den Anteilseignern und die Empfänglichkeit für professionelle Berater, die ein komplettes Angebot an Strategievorschlägen aus dem Köcher ziehen und angeblich gerade als Außenstehende am besten wissen, welche Lösung dem Unternehmen bekommt.
Daß die Beratungsindustrie vor allem in den USA boomt, hat nach Ansicht der Autoren damit zu tun, daß sich dort die Tätigkeit eines Wirtschaftsprofessors ohne weiteres mit der nebenberuflichen Tätigkeit als Unternehmensberater vereinbaren lasse. So könne der Wissenschaftler ganz zwanglos die Werbetrommel für den Geschäftsmann rühren und umgekehrt.
Ähnlich sei es in Japan. Die fernöstlichen Wirtschaftsprofessoren huldigten allerdings eher einem traditionalistischen Ansatz, indem sie einfach den Geschäftsalltag ihrer Wirtschaftsführer studierten, dem Tun einen prägnanten Namen gäben und eine passende Theorie dazu schrieben. Die wirklich neuen, spektakulären Managementmodelle kämen dagegen regelmäßig von "amerikanischen Gurus". Last but not least seien Managementheorien made in USA "weitaus lustiger".
Also rein ins Vergnügen. Wer sich schon immer eine gehörige Portion Skepsis gegenüber Managementtheoretikern und Beratungsfirmen bewahrt hat, wird sich bei dieser Lektüre köstlich amüsieren.
(PB 4/98/*leu)