PresseBLICK-Rezensionen | PR, Werbung, Medien |
"Wise use" heißt eine aggressive PR-Strategie, die in den USA entwickelt wurde, um Umweltschützer mit deren eigenen Waffen zu schlagen. Der Begriff suggeriert soviel wie "kluge Nutzung", nämlich kluge Nutzung der Umwelt. "Für Zeitungen war er perfekt, denn er war kurz", zitiert die Autorin den PR-Fachmann Ron Arnold, der den Begriff erfunden haben soll. "Er hat nur acht Buchstaben. Für jemanden, der Überschriften formulieren muß, ist das wichtig." Außerdem habe "wise use" keine exakte Definition und könne alles bedeuten...
Im Zentrum von "wise use"-Strategien sitzt jeweils eine Handvoll bezahlter Propagandisten, die Teile der Bevölkerung im gewünschten Sinne mobilisieren oder wenigstens so tun, als stünde hinter ihnen eine Bürgerbewegung. Sie bedienen sich dabei gewisser Aktionsformen und Vokabeln der Umweltschützer, um entgegengesetzte Inhalte zu transportieren. Der grüne Lack ist allerdings hauchdünn. Meistens braucht man nicht lange daran zu kratzen, damit die Geldgeber zum Vorschein kommen.
Mit einer Schilderung dieser Praktiken beginnt Claudia Peter das vorliegende Buch. Als Beispiel erwähnt sie die "Citizens for Sensible Control of Acid Rain", die 1986 gegen einen Gesetzentwurf zur Begrenzung der Schwefeldioxid- und Stickstoffemissionen protestierten. Der Entwurf scheiterte, weil die Abgeordneten kurz vor der entscheidenden Abstimmung mit einer organisierten Flut von Bürgerbriefen und Anrufen überschwemmt wurden. Eine Forschungsgruppe hat herausgefunden, daß der millionenschwere Etat der "Citizens" von mindestens zehn US-Energiekonzernen gespeist wurde.
Für europäische Augen ist die Tarnung dieser "wise use"-Bewegungen reichlich durchsichtig. Auch würden die hiesigen Medien kaum so bereitwillig den Resonanzboden für solche Kampagnen abgeben, wie dies offenbar in den USA der Fall ist. - Noch nicht, wie Claudia Peter einschränkend hinzufügt, denn "ähnliche Entwicklungen in Deutschland für alle Zeiten auszuschließen, wäre kühn".
Die klassische Art der politischen Einflußnahme über die Lobby befindet sich nach Ansicht der Autorin eher auf dem absteigenden Ast. Zustimmend zitiert sie den Politologen Kurt Sontheimer, demzufolge klassische Lobbyarbeit heute kaum noch nötig sei, weil die meisten Abgeordneten selbst einem oder mehreren Interessenverbänden angehörten oder mit Hilfe dieser Verbände überhaupt erst ihren Aufstieg geschafft hätten. Um so wichtiger werde für die Unternehmer die Interessenvertretung gegenüber der breiten Öffentlichkeit, auch "Umfeld-PR" genannt. "Denn die schönsten Verbindungen nützen nichts mehr, wenn die Partei ihrer Wahl die Wahlen verliert."
Als Schlüsselfeld solcher Imagewerbung erweise sich seit den späten siebziger Jahren vor allem der Umweltschutz. So seien in manchen Branchen "aus harmlosen PR-Zusammenschlüssen regelrechte Tarnorganisationen geworden". Den Vorreiter - so stellt es die Autorin dar - habe dabei die Nuklearindustrie gemacht, und zwar mit dem "Informationskreis Kernenergie" (IK), der Mitte der siebziger Jahre unter dem Dach des Deutschen Atomforums entstanden sei. Obwohl es sich bei diesem Informationskreis um eine reine PR-Organisation der Kernenergiewirtschaft handele, die über Jahre hinweg dieselben "textlastigen einspaltigen Anzeigen" in Auftrag gebe, könne sie von unkundigen Lesern dieser Anzeigen für einen Zusammenschluß engagierter Bürger gehalten werden. Weiter erwähnt die Autorin den "Aktionskreis Energie der Betriebsräte", den 1977 der Münchener Bauunternehmer Alfred Schaller ins Leben gerufen habe. Hinter dieser Initiative, die später in "Aktionskreis Energie e.V." umbenannt und 1990 aufgelöst wurde, habe von Anfang an die Kernenergiewirtschaft gestanden. Einer ihrer engsten Mitarbeiter, der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerhard Flämig, habe dem Präsidium des Deutschen Atomforums angehört. Der inzwischen verstorbene Schaller könne als "der erste verdeckte Lobbyist der Atomindustrie" gelten.
Erheblichen Bedarf an "Greenwashing" habe auch die Chemieindustrie. Als dieser im Zuge der Pestizid-Diskussion der Wind der öffentlichen Meinung ins Gesicht blies, habe sie die "Fördergemeinschaft integrierter Pflanzenanbau e.V." ins Leben gerufen. Diese Fördergemeinschaft propagiere den dosierten, "vernünftigen" Einsatz von Chemie beim Pflanzenanbau, um wesentlich größere Umsatzeinbrüche im Pestizid-Geschäft zu vermeiden, die bei einem Festhalten an der alten Absatzstrategie zu befürchten gewesen wären.
Die Autorin führt noch einige andere Organisationen auf, die nach der Devise "If you canŐt beat them, join them!" von interessierten Unternehmen und Verbänden gegründet worden seien. So sei der "Bundesverband für fachgerechter Natur- und Artenschutz" 1985 aus der Taufe gehoben worden, um gegen die Bundesartenschutz-Verordnung Widerstand zu leisten. Im Verpackungsbereich habe der VIAG-Konzern als treibende Kraft hinter der "Arbeitsgemeinschaft Kreislaufverpackung", der "Studiengesellschaft für ökologische Verpackung" und dem "Deutschen Verpackungsrat" gestanden. Inzwischen habe er solche Aktivitäten direkt an die im Verpackungsbereich tätigen Tochterfirmen delegiert. Der "Bundesverband Ökologie" sei 1989 als "PR-Aktion für die umweltpolitisch ins Hintertreffen geratene CDU" entstanden, bevor er sich in dubiose Geschäfte mit der deutschen Einheit verstrickt und als "traurige Schmierenkomödie in ost- und westdeutschen Gerichtssälen" geendet habe.
Dem amerikanischen Vorbild einer "Wise use"-Bewegung am nächsten kommen nach der hier gegebenen Schilderung zwei Organisationen, denen nachgesagt wird, sie würden vom schwedischen Verpackungskonzern Tetra Pak gesteuert: Die eine ist die 1984 gegründete "Warmer Campaign", die das vierteljährlich erscheinende "Warmer Bulletin" als Fachzeitschrift für Müllverbrennung herausgibt. Ihr Geld erhalte sie von einer "World Resource Foundation", in deren Vorstand wiederum die beiden Alleineigentümer von Tetra Pak säßen. Die andere seien die "Waste watchers", die sich den Anschein einer Umweltinitiative gäben und zu deren Gründungsmitgliedern der ehemalige Pressesprecher von Tetra Pak zähle. Die "Warmer Campaign" betreibe ihr Plädoyer für die Müllverbrennung mit eher gesetzten Worten und fachlichem Anspruch. Dagegen seien die "Waste watchers" die Leute fürs Grobe, die mit rüden, demagogischen Methoden arbeiten. Der Anspruch, eine Umweltinitiative zu sein, diene ihnen nur als Vorwand, um über angebliche Artgenossen wie den BUND nach Art von Pitbulls herzufallen. Inzwischen seien die "Waste watchers" so in Verruf geraten, daß selbst die einschlägige Industrie von ihnen abrücke.
Das schlimmste, was nach der hier gegebenen Schilderung der europäischen PR-Landschaft an Verwilderung drohen könnte, wäre freilich das Bündnis mit totalitären Polit-Sekten. In den USA gebe es bereits solche Verflechtungen. Einige Führungspersonen von "wise use" stünden in enger Verbindung zur Organisation von Lyndon LaRouche. Ebenso fänden sich Anhänger der rechtsextremen "John Birch Society" unter den Mitgliedern der Wise-use-Gruppen. Darüber hinaus zähle die Hauptstadtzeitung "Washington Times" (die nicht mit der liberalen "Washington Post" verwechselt werden darf) als Flagschiff der Mun-Sekte seit Anbeginn zu den eifrigsten Unterstützern der Bewegung. Der bekannteste Wise User der Hauptstadt, Ron Arnold, habe zeitweilig zur Führung der "American Freedom Coalition" gehört, die als Vorfeldorganisation der Mun-Sekte gelte.
Ein besonderes Kapitel widmet die Autorin der LaRouche-Sekte, die seit vielen Jahren auch in Deutschland Fuß zu fassen sucht und sich in letzter Zeit besonders der Energiewirtschaft als Jubeltruppe andienen möchte. Der Hausverlag der Sekte produziert zum Beispiel Bücher und Broschüren, die nach Art eines Fan-Clubs das Hohelied auf ungebremstes Wachstum, die Forcierung der Kernenergie oder den Bau von Magnetbahnen anstimmen, während das Ozonloch oder die Klimaproblematik als bösartige "Meinungsmache" dargestellt und Umweltschützer als "Ökofaschisten" diffamiert werden (siehe PB 6/93 und PB 1/95). Mit der bizarren, von Verschwörungswahn geprägten Ideologie der Sekte läßt sich so ziemlich alles begründen oder verwerfen.
Seinen bisher größten Coup landete der deutsche LaRouche-Verlag mit einem Buch, das die weltweit diskutierte Klimaproblematik als "Medienpsychose" deutete und eine überaus dürftige klimatologische Argumentation (siehe PB 6/93) so geschickt kaschierte, daß es sogar von der "Wirtschaftswoche" positiv besprochen wurde. Noch 1993 unterstützten 13 deutsche Bundes- und Landespolitiker einen Aufruf zur Befreiung Lyndon LaRouches aus amerikanischer Haft, weil Vertreter der Sekte ihnen weisgemacht hatten, man habe den rechtsradikalen Polit-Guru unrechtmäßig zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Allein solche Vorkommnisse sind nach Meinung der Autorin Anlaß genug, "die von LaRouche mitgetragene Wise Use-Bewegung in den USA nicht als eine weitere politische Kapriole der verrückten Amerikaner abzutun".
Zum Schluß des Buches nimmt sich der Mitverfasser Hans-Joachim Kursawa-Stucke den Holzschutzmittelprozeß vor, in dem sich 1992/93 die Firma Desowag wegen ihres Produktes "Xyladecor" verantworten mußte. Das Holzschutzmittel enthielt die Stoffe PCP und Lindan, die bei zahlreichen Anwendern mehr oder weniger schwere Gesundheitsschäden bewirkt haben sollen. Nach Meinung des Autors hat dieser Prozeß gezeigt, daß die Entwicklung des wissenschaftlichen Gutachterwesens "mit verdecktem Lobbyismus vergleichbar" ist. Kritikwürdig findet er auch, "wie die Waschmittelindustrie den Umweltengel erbleichen ließ". - So der Titel eines weiteren Beitrags, der dem Lever-Konzern vorwirft, er habe die Zusammenarbeit mit Verbraucherorganisationen unter allzu durchsichtigen Marketing-Aspekten gesucht.
Vermutlich werden sich etliche Firmen und Organisationen in diesem Buch ziemlich ungerecht behandelt vorkommen. Wie dem auch sei: Das Werk ist in jedem Fall ein Beleg dafür, daß die Sensibilität gegenüber bloßem "greenwashing" zunimmt. Die Ansätze zu "wise use"-Praktiken, die es auch bei uns gibt, werden wohl in Zukunft noch kritischer beäugt werden. Von ihrer Grundkonzeption her sind sie ohnehin ungeeignet, dauerhafte Erfolge zu erzielen. Über kurz oder lang droht das Odium der Demagogie, das sich z.B. die "Waste watchers" erworben haben, auf einen wie immer gearteten Auftraggeber zurückzufallen und dessen Image nachhaltig zu beschädigen. Geradezu verheerend wäre aber eine "wise use"-Strategie, die sich auf die Hilfsangebote obskurer Hilfstruppen wie der LaRouche-Gemeinde einläßt.
Eine Öffentlichkeitsarbeit, die vertrauenswürdig und langfristig erfolgreich sein will, wird nicht umhin kommen, den Dialog mit der Umweltbewegung ernsthaft zu führen. Es ist schließlich nicht alles falsch, was diese Seite an Argumenten vorzubringen hat. Die Chance einer Verständigung und Überwindung ideologischer Fixierungen wächst aber mit dem Niveau der Argumentation. Deshalb können "wise use"und ähnliche Praktiken aus USA, wo dieses Niveau teilweise ins Bodenlose abzugleiten scheint, kein Vorbild sein.
(PB 9/95/*leu)