PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
SchauergeschichtenManfred FritschEin Leben unter Spannung - krank durch ElektrizitätMünchen 1994: Ehrenwirth Verlag, 165 S., DM 26.- |
Der Verfasser des vorliegenden Buches betätigt sich als "Baubiologe", indem er gegen entsprechendes Entgelt angebliche Gesundheitsrisiken durch "Elektrosmog" aufspürt. Zugleich macht er kräftig Werbung in eigener Sache, indem er allerlei Schauergeschichten über angeblich verheerende Wirkungen von elektrischen und magnetischen Feldern der Stromversorgung verbreitet.
So erzählt er die Geschichte von einem Maurermeister, dem man in der Nähe seines Schlafzimmers eine Trafo-Netzstation aufgestellt habe, worauf der Mann binnen weniger Monate gestorben sei. Er will das Drama aus nächster Nähe verfolgt haben, weil ihn der Maurermeister nach Errichtung der Trafo-Station wegen Schlafstörungen konsultiert habe. Bei der baubiologischen Untersuchung des Schlafzimmers habe er zwar keine Erhöhung des "elektromagnetischen Feldes" feststellen können - vermutlich meint der Verfasser das elektrische Feld - aber das magnetische Wechselfeld habe zwischen 20 und 600 Nanotesla erreicht.
Dieses Meßergebnis hört sich für den Laien vielleicht eindrucksvoll an, ist aber keineswegs besorgniserregend: 20 Nanotesla können als Normalpegel für Wohngebäude gelten, und auch der Spitzenwert von 600 Nanotesla liegt sage und schreibe um das 167fache unter dem Vorsorge-Grenzwert von 100 Mikrotesla, den die Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierenden Strahlen (ICNIRP) für den Daueraufenthalt von Personen in allgemein zugänglichen Bereichen vorsieht. An diesem Wert orientiert sich auch der Entwurf des Bundesumweltministeriums für eine Feldstärken-Verordnung. Er läßt sich übrigens nicht mit nachweisbaren Gesundheitsrisiken begründen, sondern ist mehr oder weniger willkürlich festgesetzt. Es kann also ausgeschlossen werden, daß ein Magnetfeld, das noch 167mal schwächer ist, gesundheitliche Schäden bzw. sogar den Tod verursacht.
Aber genau dies versucht der Verfasser dem Leser zu suggerieren. Im Stil eines Groschenromans beschreibt er, wie nach Errichtung der Trafo-Station vor dem Schlafzimmer der "einst so starke Mann" im Lauf von vier Monaten "immer schwächlicher und kränklicher geworden" und schließlich gestorben sei. Dabei verliert er kein Wort über die amtliche Todesursache und andere ärztliche Befunde.
Den Verfasser ficht es nicht an, daß er keinerlei Beweise für seine These beibringt. Er setzt vielmehr den örtlichen Stromversorger auf die Anklagebank, weil dieser verständlicherweise nicht bereit ist, die Trafo-Station als Ursache für den Tod des Maurermeisters zu akzeptieren: "Auf diesen Fall angesprochen, erklärten mir einige Verantwortliche, daß ich erst einmal den Zusammenhang zwischen der Transformatorenstation und dem vorzeitigen Ableben des Maurermeisters beweisen müßte; vorher würden sie keinerlei biologische Auswirkungen, die von ihrem Strom ausgehen, anerkennen."
Direkt auf die Moritat vom Maurermeister folgt eine andere Geschichte unter der Überschrift "Ein Manager braucht Hilfe". Sie berichtet vom "leitenden Manager eines Stromversorgungsunternehmens", dessen Frau unter "typischen Elektroallergie-Symptomen" gelitten habe und der deshalb ihn - den Verfasser - um Hilfe gebeten habe. Bereitwillig habe sich das "hohe Tier" der Stromwirtschaft alle baubiologischen Ratschläge zur Abwehr des "Elektrosmogs" aufgeschrieben, und siehe da: "Schon nach zwei Monaten bekam ich einen Brief, in dem sich die Ehefrau bei mir für das Wunder bedankte, das mit ihr geschehen sei."
Leider werden wir nicht mehr über diese wundersame Heilung erfahren, da der Verfasser dem unbekannten "hohen Tier" der Stromwirtschaft, wie er schreibt, "höchste Verschwiegenheit und Diskretion" zugesichert hat.
Dafür läßt sich der Wahrheitsgehalt anderer Passagen überprüfen. Beispielsweise hat der Verfasser eine pseudo-wissenschaftliche Theorie zusammengebastelt, die begründen soll, weshalb auch minimale Felder die verheerendsten Auswirkungen haben können. Danach basiert alles Leben auf "Urschwingungen", die "in einer Harmonie zueinander" leben. Diese "natürliche Harmonie der Bioelektrizität" werde aber durch "jede künstlich erzeugte elektromagnetische Welle, auch mit noch so geringer Intensität" heillos durcheinander gebracht. - Leider verrrät uns der geniale Entdecker der "Urschwingungen" nicht, mit welchem Instrumentarium er dieses und andere Geheimnisse der Natur abgelauscht hat.
Der Verfasser beruft sich in diesem Zusammenhang gern auf die Chaos-Theorie (siehe PB 8/92). Er wird geradezu hymnisch, wenn er die Umwälzung der Physik und unseres gesamten Weltbilds durch die Chaos-Theorie beschreibt. Für ihn löst sie "alles Vorvergangene ab" und bedeutet die "große Revolution der Naturwissenschaften im zwanzigsten Jahrhundert". Sie "rüttelt an den Grundlagen der Newtonschen Physik" und ist "unsere einzige Hoffnung, eine totale Umkehr der Wissenschaften zu erzwingen".
Besonders angetan hat es ihm jener Schmetterling, den sich der Chaostheoretiker Edward Lorenz ausgedacht hat, um zu verdeutlichen, daß bei der Einspeisung meteorologischer Daten in den Computer die kleinsten Veränderungen des Zahlenmaterials große Wirkungen haben können: Bei Lorenz wackelt ein Schmetterling in Brasilien mit den Flügeln und löst damit einen Wirbelsturm in Texas aus. In dem vorliegenden Buch wedelt das Insekt zur Abwechslung in einem "Vorort von Peking" mit den Flügeln. Zugleich macht es eine weitere Metamorphose durch, die bei der Entwicklung von der Raupe zum Schmetterling eigentlich nicht vorgesehen ist: Es wird zum elektromagnetischen Feld. Auf allen Hochspannungsleitungen, elektrischen Haushaltsgeräten und Sendemasten sieht der Verfasser solche chaostheoretischen Winzlinge sitzen und vernichtende Wirbelstürme im Bereich der elektromagnetischen Felder auslösen...
Es wird wohl ein Rätsel bleiben, wieviel Wirbelstürme der Lorenzsche Schmetterling tatsächlich schon ausgelöst hat, zumal dieses Paradigma der Chaos-Theorie eben keine realen physikalischen Zusammenhänge beschreibt, sondern nur auf die Unzulänglichkeit der naturwissenschaftlich-mathematischen Methodik zur Erfassung komplexer Zusammenhänge verweist. Offenbar hat das fiktive Tierchen aber schon einige Verwüstungen in den Köpfen angerichtet: Als Kultfigur von Wundergläubigen, die schon immer gewußt haben, daß winzige Ursachen die verheerendsten Auswirkungen haben können - anstelle des Schmetterlings reicht ihnen genauso ein dahingehauchtes Zauberwort oder eine Magnetfeldstärke von ein paar Nanotesla.
Das vorliegende Buch ist insgesamt eine Lachnummer, soweit es den Anspruch erhebt, auf wissenschaftlicher Grundlage die Risiken von elektrischen und magnetischen Feldern darzulegen. Bei der Lektüre fühlt man sich an jene Bänkelsänger erinnert, die früher auf Jahrmärkten allerlei grausliche Geschichten zu besten gaben. Freilich bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man bedenkt, wieviele Leser solchen Humbug für bare Münze nehmen mögen.
(PB August 1995/*leu)