PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
Die "normative Aura" höheren BlödsinnsP.C. Mayer-Tasch / B. M. Malunat (Hg.)Strom des Lebens - Strom des Todes / Elektro- und Magnetosmog im KreuzfeuerFrankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag, 270 S., DM 16.90 |
Schon wieder ein Buch zum Thema "Elektrosmog", und zwar eines von der dubiosen Sorte. Im Vorwort polemisieren die Herausgeber gegen "Verdrängungs-, Verschleierungs- und Verzögerungskünstler", die bisher die enormen Gefahren verhamlosen würden, die vom "Elektro- und Magnetosmog" ausgingen. Sie bezeichnen es als ihr Ziel, dieses Verharmlosungskartell aufzubrechen und "der wachsenden Zahl zu Recht besorgter Bürger mit diesem Buch den Dienst zu erweisen, der ihnen von vielen Wissenden verweigert wird".
Der Leser beginnt zu ahnen, daß er bei der Lektüre dieses Buches von "Wissenden" zu höheren Graden der Erkenntnis geführt wird, wie sie sonst nur die Freimaurer und ähnliche esoterische Zirkel ihren Novizen versprechen. Die feinsinnige Unterscheidung zwischen "Elektro- und Magnetosmog" verdient ebenfalls Beachtung: Sie differenziert den ganz gewöhnlichen "Elektrosmog" in solchen, den elektrische Felder verursachen, und in solchen, der von magnetischen Feldern ausgeht. Immerhin ein Fortschritt! Am "Smog" als solchem lassen sie freilich nicht rütteln.
Der "Elektrosmog" geistert seit längerem durch die Medien. Gemeint sind damit die möglichen biologischen Auswirkungen von elektrischen und magnetischen Feldern im niederfrequenten Bereich der Stromversorgung bzw. von elektromagnetischen Feldern im Bereich der Hochfrequenz. Oft liest man wahre Horrorgeschichten über die angeblichen Gesundheitsrisiken, die auf diese Weise von Stromleitungen oder Funktürmen ausgehen sollen. Die Popularität des Themas steht freilich in einem argen Mißverhältnis zu seiner tatsächlichen Relevanz. Bisher konnte jedenfalls noch kein Nachweis für eine reale gesundheitliche Gefährdung durch Felder der alltäglichen Umgebung erbracht werden.
Allerdings läßt sich auch nicht definitiv ausschließen, daß es derartige Risiken geben könnte. Das widerspräche der wissenschaftlichen Denkweise und den Regeln der allgemeinen Logik. Im Unterschied zu den imaginären "Erdstrahlen", an die sich ähnliche Ängste heften, sind nämlich elektrische und magnetische Felder etwas völlig Reales, und auch ihre biologische Einwirkungsmöglichkeit auf den Organismus unterhalb der bekannten "thermischen" Schwelle kann inzwischen als gesichert gelten. Das gilt inbesondere für natürliche Felder, wie sie durch das elektrische Feld der Atmosphäre oder das Erdmagnetfeld auftreten. Der mühsame Nachweis prinzipieller Wirkungsmöglichkeiten im Labor darf freilich nicht über einen Leisten geschlagen werden mit den biologischen Wirkungsmöglichkeiten von technischen Feldern der alltäglichen Umgebung. Die Frage nach Gesundheitsrisiken, die sich daraus ergeben könnten, ist noch einmal etwas anderes. Im übrigen scheint es aber genauso naheliegend wie plausibel zu sein, daß ein Risiko, das sich bisher allen Nachforschungen entzogen hat, selbst im schlimmsten Fall nur minimale Ausmaße haben könnte.
Das sieht die Gemeinde der Elektrosmog-Gläubigen natürlich ganz anders. Und sie darf sich gratulieren, daß die Reihe "Fischer alternativ" mit dem vorliegenden Buch einer ganzen Anzahl ihrer unermüdlichen Wanderprediger das ersehnte Forum bietet: Etwa dem Mediziner Karl-Heinz Braun von Gladiß, der immer geheimnisvoll von allen möglichen "Schwingungen" zu munkeln weiß. Oder dem "Elektrosensiblen" Werner Hengstenberg, der pausenlos vom Elektrosmog verfolgt wird, so daß er nachts im Wald umherirren muß. Gut vertreten sind in dem vorliegenden Sammelband auch Naturwissenschaftler wie Herbert L. König, Andràs Varga oder Bruno Käs, die zwar auf Distanz zur esoterischen Elektrosmog-Gemeinde bedacht sind, dem ganzen Rummel aber ungefähr so kritisch gegenüberstehen wie eine päpstliche Kommission, die ein Marien-Mirakel auf mögliche Einwände hin untersuchen soll.
Von einem "Kreuzfeuer", also einer kontroversen Diskussion des Themas, wie sie der Untertitel verspricht, kann jedenfalls keine Rede sein. Vielmehr hat der Sammelband eine klare Schlagseite. Aus der Reihe tanzt lediglich eine kleine Minderheit von Autoren. Hier wäre etwa der sachliche Beitrag von Hauke Brüggemeyer über "Künstliche Strahlungsquellen" zu erwähnen. Konträr zur allgemeinen Linie liegen auch Eduard David und sein Assistent Jörg Reißenweber, die aber erklärtermaßen "Die Elektrosmog-Debatte aus der Sicht der Schulmedizin" beleuchten und damit im allgemeinen Kontext gewissermaßen die Rolle des advocatus diaboli zugewiesen bekommen.
Die hier versammelten Texte wurden auf einem Symposion vorgetragen, das die Münchener Schweisfurth-Stiftung und die Forschungsstelle für Politische Ökologie am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München im November 1993 durchführte. Es handelte sich also um eine Veranstaltung mit wissenschaftlichem Anspruch. Die Referenten sind fast durchweg Akademiker. Oft haben sie sogar Lehrstühle inne. Dies verdient hervorgehoben zu werden, weil der Inhalt mancher Beiträge so beschaffen ist, daß man an der Zukunft unseres Bildungssystems verzweifeln möchte.
Stellvertretend für die Gesamttendenz des Buches mag dienen, was der Herausgeber Peter Cornelius Mayer-Tasch zu Papier gebracht hat. Laut biographischer Notiz im Anhang sollte er "eigentlich Papierfabrikant werden und wurde stattdessen ein Vordenker und Vorkämpfer der Ökologiebewegung". Seit 1971 ist er Professor für Politikwissenschaft und Rechtstheorie an der Universität München und an der Münchener Hochschule für Politik.
Was Mayer-Tasch in seinem titelgebenden Beitrag über "Ströme des Lebens" und "Ströme des Todes" schreibt, hat mit Physik nichts zu tun, sondern ist Metaphysik von der albernsten Sorte. Und wenn er dann noch anfängt, als Politologieprofessor über solcherlei Unsinn zu meditieren, liest sich das wie eine unfreiwillige Parodie auf den Jargon der Gesellschaftswissenschaften, denen böse Zungen noch immer anzuhängen versuchen, daß sie im Grunde "Quasselfächer" seien.
Prof. Mayer-Tasch trägt leider dazu bei, solche Vorurteile zu bestätigen. Er ist allen Ernstes überzeugt davon, daß es "Ströme des Lebens" bzw. "Ströme des Todes" gibt, die in Form elektrischer Impulse von der gesamten Natur ausgehen, die den Menschen umgibt. Also von Sonne, Pflanzen, Tieren, Wind, Wolken, Wasser oder Erde. Diese elektrischen Impulse würden ein "Globalgitter" bilden, dessen "Pluszonen" auf Menschen aktivierend wirkten, während "Minusfelder" eine dämpfende Wirkung hätten.
Der Münchener Lehrstuhlinhaber nimmt sich offenbar die Freiheit, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse gelegentlich aus esoterischen Quellen zu schöpfen: "So wenigstens habe ich es von der Radioästhesie gelernt und so habe ich es am eigenen Leib erfahren", bekennt er. Als respektable Quellen erachtet er auch die Weissagungen des Nostradamus oder den "großen amerikanischen Seher Edgar Cayce", der den Untergang des sagenhaften Atlantis auf die Explosion eines Sonnenkraftwerks im heutigen Bermuda-Dreieck zurückgeführt habe...
Die "Ströme des Lebens" bzw. "Ströme des Todes" seien überall gegenwärtig. Sie könnten schon "durch das Raunen von Runen etwa, durch Singen oder auch bloßes Sprechen" aus unserer Umwelt abgerufen werden. Sie könnten auch von Gemälden, Plastiken, Musikstücken oder Fotos ausgehen, wobei sie je nachdem eine "heilende oder kränkende" Wirkung hätten. Sogar die bloße Phantasie - "das lediglich interne Imaginieren", wie Prof. Mayer-Tasch hochakademisch formuliert - könne solche Ströme des Lebens oder des Todes hervorzurufen.
Wenn aber schon das Raunen von Runen genügt, um elektromagnetische Impulse auszulösen, dann müssen - der Sichtweise von Prof. Mayer-Tasch zufolge - künstlich erzeugte Ströme eine geradezu verheerende Wirkung enfalten: Sie "ergänzen, ersetzen, überlagern, stören und zerstören" die natürlichen Ströme. Hochdramatisch verkündet Mayer-Tasch: "Mehr oder minder unvermittelt prasselt und prallt diese bittersüße Frucht vom Baum der technischen Revolution des 19. Jahrhunderts auf eine jahrmillionenlange, höchst selektive Entwicklung des Lebens." Die moderne Stromversorgung habe die Menschheit "in den elektromagnetischen Dschungel geführt, von dem eine ständig wachsende Zahl von Menschen befürchtet, daß er uns in absehbarer Zeit zu verschlingen droht".
Eine ausweglose Situation also. Irgendwann werden die "Ströme des Todes" sicher so massiv zuschlagen wie damals im Bermuda-Dreieck. Früher, als das Raunen von Runen noch half, hätte man wohl den Druiden um Rat gebeten. Heute gibt es aber zum Glück Leute wie Prof. Mayer-Tasch, die aus dem imaginären Nebel des Elektrosmogs all das herauszulesen vermögen, wozu die Auguren früher den Flug leibhaftiger Vögel benötigt haben: "Die Problematik des Elektro- und Magnetosmogs ist nicht zuletzt auch von politikwissenschaftlicher Bedeutung" erkennt er scharfsinnig. Ganz speziell handele es sich beim Elektrosmog um einen Fall für die "Politische Ökologie", wie sie an der Uni München eine Heimstatt gefunden hat. Deren Ziel sei es, "geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnisse mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen derart zusammenzuführen, daß sie sowohl die Natur als auch den - ihr gliedhaft zugehörigen - Menschen zu stützen und zu stärken vermögen, statt sie zu zernützen und zu schwächen".
Einfach großartig, wie Prof. Mayer-Tasch in diesem Zusammenhang den Bogen von der Antike zur Gegenwart schlägt: "Ihren Wert und ihre Würde bezog die Politikwissenschaft seit eh und je aus der diskursiven Begleitung der normativen Aufgabe der Politik. ... In diesem Sinne gehörte und gehört es auch zu den angestammten Aufgaben der Politikwissenschaft, die um die techne - um Kunst und Kunstfertigkeit also - kreisenden Wissenschaften normativ zu umhegen".
Es fügt sich gut, daß Prof. Mayer-Tasch nicht nur Politikwissenschaft, sondern auch Rechtstheorie lehrt. So fällt ihm auch auf diesem Gebiet Entscheidendes ein: "Das Recht auch auf einen sauberen Äther zählt zu den Implikationen des sog. Muttergrundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), ist also rechtsstaatlich geboten."
Um das Ausmaß der Gefahren "vollends zu klären", müßten ferner die erforderlichen Forschungsmittel bereitgestellt werden. Dies gehöre juristisch "zu den Vorsorgepflichten der Politik, in Sonderheit zur normativen Aura des Staatsziels der Rechts- und Sozialstaatlichkeit".
Wie man sieht, gibt das Thema Elektrosmog einiges her. Man braucht es nur von Wissenschaftlern wie dem Prof. Mayer-Tasch diskursiv begleiten und normativ umhegen zu lassen, um auf kürzestem Wege von esoterischen Eingebungen zur "normativen Aura" eines Staatsziels zu gelangen...
(PB April 1995/*leu)