PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
ApokalyptischesAlexander FerchFunk macht krankRosbach v.d.H. 1993: Alexander Ferch KG, 124. S., DM 20.- |
Endlich ist sie gefunden, die Ursache allen Übels: Ob Unwohlsein, Gereiztheit, Streßanfälligkeit, Allergien, Depressionen, Krebs, Aids, Autismus, Alzheimer oder Parkinson - an allem ist der elektrische Strom schuld, der mit elektromagnetischen Feldern die Menschen umgarnt und die Steuerung ihrer Lebensprozesse durcheinanderbringt.
Diesen Eindruck vermittelt zumindest dieses Buch, für das der Autor und Verleger unlängst mit einer 16seitigen Broschüre als Beilage in der "Frankfurter Allgemeinen" geworben hat. - Ein außergewöhnlicher Kraftakt, und das für ein außergewöhnliches Leichtgewicht, denn der dürftige Umfang des Buches wird von der Dürftigkeit des Inhaltes weit übertroffen. Der zu Cicero-Schriftgröße aufgedonnerte Text enthält nicht viel mehr als heiße Luft. Wer die erwähnte Beilage zum Thema "Funk macht krank" schon kennt, kann sich die Lektüre des kompletten Pamphlets getrost sparen - vielleicht mit Ausnahme des Anhangs, in dem zwei Stellungnahmen von Fachleuten aus der Anhörung des hessischen Landtags zum Thema elektromagnetische Felder abgedruckt sind. Aber das ist so ziemlich das einzige, was in diesem Buch als diskussionswürdig gelten kann.
Der Titel, so schrill er klingt, ist eigentlich noch eine Untertreibung. Denn nicht nur vom Funk droht Unheil. Dies schließt der Verfasser messerscharf aus dem Umstand, daß es praktisch kein technisches Gerät gebe, "das nicht gleichzeitig Sender elektromagnetischer Wellen wäre". Zum Beispiel Hochspannungsleitungen, Nachtspeicheröfen, Küchenmaschinen, Fernseher, Computer, Autoelektrik, Elektromotoren, Straßenbahnen usw. - Überall sind wir umstellt von elektromagnetischen Feldern, die Gesundheit und Lebensfreude in heimtückischer Weise untergraben.
Wie der Verfasser an anderer Stelle wissen läßt, hat er ein System der "geistigen Innenschau" entwickelt, das ihn in die Lage versetzt, "den Aufbau der Wirklichkeit anhand des Aufbaues des eigenen Geistes nachzuvollziehen". Und so ist es für ihn überhaupt kein Problem, auch die heiß diskutierte Frage der eventuellen Risiken von elektromagnetischen Feldern definitiv zu klären: "Wer die Strukturen dieser materiellen Welt einigermaßen kennt, versteht spontan, daß feinste elektromagnetische Resonanzsysteme für jede Form der Steuerung von Lebensprozessen verantwortlich sind. Genau in diese Steuerungsmechanismen greifen alle elektromagnetischen Wellen ein."
Bei dieser Sachlage wäre es sogar sinnlos, Grenzwerte für die Unschädlichkeit elektromagnetischer Felder festsetzen zu wollen, denn "das energetische Niveau, auf dem die Steuerungsprozesse des Lebens ablaufen, liegt so weit unterhalb der Schwelle technischer Nutzbarkeit elektromagnetischer Schwingungen, daß jede meßbare Strahlung als gefährlich betrachtet werden muß."
Um wirklich sicherzugehen, müßte die Menschheit also ganz auf Stromerzeugung und -anwendung verzichten. In jedem Falle wird es nach Meinung des Verfassers "zu grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen kommen müssen". Und da scheint es selbst ihm ein bißchen schwummerig vor Augen zu werden, denn sein Traktat schließt mit düster-prophetischen Tönen, die einer Kassandra wohl anstünden: "Es stellt sich wirklich die Frage, ob man nicht doch besser die Augen vor diesem Problem verschließt."
Fürwahr, ein tragischer Zwiespalt: Die Menschheit kann also wählen, ob sie durch die Anwendung von Strom oder durch den Verzicht auf Strom zugrunde gehen will. Man muß es dem Entdecker dieser apokalyptischen Alternative hoch anrechnen, daß er "nicht doch besser die Augen vor diesem Problem verschließt", sondern mannhaft dem Anblick des modernen Medusenhauptes standhält, das da in Gestalt der elektromagnetischen Felder auftaucht...
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Buch ist, wie gesagt, kaum möglich und sinnvoll. Im Text ist zwar viel von "empirischen" Studien die Rede, welche die Gesundheitsgefährdung durch jede Art elektromagnetischer Felder längst bewiesen hätten. Es folgt dann aber bestenfalls der Hinweis auf ähnlich dubiose Schriften. Laut beigefügter Eigenwerbung hat der Verfasser noch andere "naturphilosophische" Traktate verfaßt, mit so schönen Titeln wie "Gott für Realisten" und "Harmonie für Körper, Geist und Seele". Die Kultgemeinde von Esoterik und New Age läßt grüßen.
Eine andere Frage ist, wieweit das Buch nicht gerade wegen seiner Unseriosität ernst genommen werden muß. Etwa so wie die "Pille gegen Elektrosmog", für die neuerdings ein geschäftstüchtiger Fabrikant in einem Blatt mit Millionenauflage geworben hat. Es gibt offenbar einen Markt für solche Dinge, auf dem sich moderne Bauernfänger die Verunsicherung eines breiten Publikums hinsichtlich der eventuellen Risiken elektromagnetischer Felder zunutze machen.
(PB Oktober 1993/*leu)