PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Magnetismus zwischen Wissenschaft und Aberglauben

Heinz Weiß

Umwelt und Magnetismus - im Lichte der Wissenschaft / Im Dunkel des Aberglaubens

Berlin 1991: Deutscher Verlag der Wissenschaften, 130 S., 92 Abb., DM 42.-

Das magnetische Feld hat die Phantasie seit jeher angeregt, da es unsichtbar ist und dennoch Wirkungen hervorbringt. Schon Hippokrates versuchte, Krankheiten mit Magnetfeldern zu heilen. Vor 200 Jahren machte die Lehre vom "tierischen Magnetismus" Furore, mit welcher der Arzt Franz Anton Mesmer seine effektvollen Hypnose-Darbietungen garnierte. Dem Philosophen Immanuel Kant blieb angesichts soviel Unverstand nur die resignative Erkenntnis: "Weitläufige Widerlegung ist hier wider die Würde der Vernunft und richtet auch nichts aus."

Noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts standen bei der Diskussion um die Auswirkungen magnetischer Felder ganz die erhofften Heilwirkungen im Vordergrund. So versuchte man, mit den Magnetfeldern niederfrequenter Wechselströme Rheuma, Neuralgie, Migräne und sogar das Wachstum von Krebsgewebe günstig zu beeinflussen. Noch 1982 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung die "Magnetfeldtherapie" als sächliches Heilmittel anerkannt. - Eine umstrittene Entscheidung, da ein tatsächlicher Nutzen dieser Therapie nicht nachgewiesen werden konnte. Der Autor des vorliegenden Buches vermutet, daß sie unter dem Eindruck von zahlreichen Publikationen über positive Erfahrungen mit der "Osteostimulation" zustandekam (die mit der Magnetfeldwirkung jedoch nicht mehr zu tun habe als die Anwendung des Induktionsprinzips zur Erzeugung schwacher Ströme an bestimmten Körperstellen mittels dort implantierter Induktionsschleifen).

Inzwischen wecken "magnetische Felder" eher negative Assoziationen. Eine heilende Wirkung erhoffen sich Wundergläubige allenfalls noch von jenen Permanentmagneten, die als Armringe oder Amulette in Illustriertenanzeigen angepriesen werden. Spätestens beim Stichwort "elektromagnetische Felder" denkt der Zeitgenosse jedoch eher an "Elektrosmog" oder gar an "Leukämie". Ganz Ängstliche rücken bereits ihr Bett von Stromleitungen weg oder lassen sich von "Baubiologen" zum Einbau eines Netzfreischalters raten, um möglichst wenig der befürchteten "Strahlung" ausgesetzt zu sein. Der ursprüngliche Glaube an die Heilwirkung magnetischer Felder hat sich auf grotesk anmutende Weise ins Gegenteil verwandelt.

Magnetfelder und Biosysteme

Das vorliegende Buch räumt mit beiden Mythen auf; mit dem Glauben an die Heilwirkung von magnetischen Feldern ebenso wie mit übertriebener Angst vor negativen Auswirkungen. "Gesunde Menschen werden nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse weder durch natürliche Magnetfelder noch durch Magnetfelder elektrotechnischer Anlagen negativ beeinflußt", lautet das Fazit.

Das mag mancher für eine voreilige, vielleicht sogar zweckdienliche Entwarnung halten. Der Autor macht es jedoch sich und den Lesern keineswegs einfach. Er hält es durchaus für erwiesen, daß Biosysteme auf Magnetfelder reagieren können und daß alle lebende und tote Substanz elementare magnetische Momente enthält. Es scheint ihm auch wahrscheinlich, daß dem natürlichen Magnetfeld der Erde ein Einfluß auf das Klima und möglicherweise sogar die Entstehung des Lebens zuzuschreiben ist. Er gibt jedoch zu bedenken, daß die technischen Magnetfelder meist nicht stärker sind als die Horizontalkomponente des natürlichen Erdmagnetfeldes, das am Magnetpol den maximalen Wert von 40 Mikrotesla und in unseren Breiten etwa 20 Mikrotesla erreiche. Selbst der Spaziergang unter einer Hochspannungsleitung gehöre noch in diese Größenordnung. Und sogar magnetische Flußdichten von fünf Millitesla, wie sie allenfalls in der Nähe elektrischer Schmelzöfen und unabgeschirmter Magnetschwebebahnen vorkommen, hätten keinen nachweisbaren Einfluß auf das subjektive Befinden oder objektiv erfaßbare gesundheitliche Parameter. Dies habe sich eindeutig bei Experimenten gezeigt, bei denen die eine Hälfte der Versuchspersonen ohne ihr Wissen solchen starken Magnetfeldern ausgesetzt wurde, während die andere als Kontrollgruppe diente.

"Radikale" als Hauptverdächtige

Damit sei das Problem der Wechselwirkung von Magnetfeldern und Lebewesen aber noch lange nicht gelöst, gibt der Autor zu bedenken. Die vergleichsweise geringe energetische Wirkung von Magnetfeldern sei nicht die einzige Möglichkeit, auf Lebewesen zu wirken. Denkbar sei auch, daß Magnetfelder mit ihrer geringen Energie dem Organismus Informationen übermitteln und damit Wirkungen auslösen, deren Energie von Lebewesen selbst aufgebracht wird (vergleichbar dem Telefonläuten, das den Angerufenen veranlaßt, zum Apparat zu gehen und den Hörer abzunehmen). Als Hauptverdächtige für solche diskreten Magnetfeldwirkungen in Organismen gelten Atome oder Moleküle mit ungepaarten Elektronen, die als sogenannte Radikale paramagnetische Eigenschaften zeigen. Radikale seien auch wesentlich an der Entstehung und Entwicklung von Geschwülsten beteiligt. Heute sei nachgewiesen, daß Felder von 1 bis 10 Millitesla deutlichen Einfluß auf die Geschwindigkeit von Radikal-Reaktionen oder auf Reaktionen anderer paramagnetischer Teilchen (z.B. Sauerstoff) haben. Auch das sind freilich Größenordnungen, die im technischen Bereich nur in Ausnahmefällen wie bei Magnetschwebebahnen auftreten. Sogar das Magnetfeld neben einem Generator im Elektrizitätswerk ist fünfzigmal schwächer.

Der Verfasser ist Physiker und hat an der DDR-Akademie der Wissenschaften auf dem Gebiet der Kern-, Elektronenspin- und ferromagnetischen Resonanz gearbeitet. Sein Buch wendet sich erklärtermaßen an einen breiten Leserkreis. Es ist allerdings noch zu DDR-Zeiten entstanden, als der Vertrieb populärwissenschaftlicher Literatur kein Markt-, sondern allenfalls ein Verteilungsproblem war. Das heißt, daß auf eine kulinarische Lesehaltung wenig Rücksicht genommen wird. Die Belehrung hat entschieden Vorrang vor der Unterhaltung. Die etwas spröde Darstellung könnte ohne Einbuße an sachlichem Gehalt mundgerechter sein. Wenn der Autor das "Licht der Wissenschaft" dem "Dunkel des Aberglaubens" konfrontiert, riecht es ein bißchen nach verstaubtem Aufklärungspathos, nach "Urania" und Arbeiterbildungsverein. Ansonsten hat er jedoch eine überaus material- und kenntnisreiche Arbeit zusammengetragen, an der nicht vorbeigehen sollte, wer sich mit der derzeit heftig diskutierten Problematik elektromagnetischer Felder befaßt.

(PB Mai 1992/*leu)