PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Parapsychologisches

Michael Shallis

Elektroschock - Über unsere elektrische Natur

Frankfurt am Main 1992: Zweitausendeins, 330 S. DM 25.-

Die arme Norma! Ständig explodieren in ihrer Nähe Glühlampen. Schon beim bloßen Berühren eines elektrischen Geräts wird sie von einer Ecke des Zimmers in die andere geschleudert. Wörtlich schreibt der Autor: "Die Elektrizität schien sie körperlich und geistig auszutrocknen, als ob sie Normas Kraft und Willen aussaugte. Die elektrischen Geräte konnten sie derart schwächen, daß sie nahe daran war, ohnmächtig zu werden."

Ganz ähnlich die Leidensgeschichte der armen Sheila: "Beim Bügeln wurde sie eines Tages von einem plötzlichen, starken Blitz gegen die Küchenwand geschleudert: als sie wieder zu sich kam, war der ganze Boden des Bügeleisens abgesprengt. Sie hat schon drei Bügeleisen 'zerstört', außerdem drei Videorecorder und drei Wäschetrockner. ... Natürlich brennen auch Glühbirnen durch, wenn sie in der Nähe ist. Sie explodieren regelrecht, wenn sie versucht, eine auszutauschen. ... Das Elektrizitätswerk untersuchte das Haus und konnte keine Fehler in der Verkabelung, dem Zähler oder den Geräten finden."

Früher hätte man von Spuk gesprochen. Im modernen Schauerroman geht es jedoch wissenschaftlich zu. An die Stelle des Hu-Hu-Gespensts im weißen Gewand tritt der Parapsychologe im weißen Kittel und hat prompt eine "wissenschaftliche" Erklärung parat: "Weder Sheila noch Norma sind Monstren. Ihre Fälle bewegen sich einfach an einem Ende des Spektrums elektrischer Sensitivität."

Man könnte noch etlichen anderen Mumpitz aus diesem Buch auflisten: Zum Beispiel das Haarnetz, das Sheilas tote Großmutter als Beleg für einen Besuch aus dem Jenseits zurückließ. Oder das blaue Leuchten, das an "elektrisch sensitiven" Personen zu beobachten ist und in dem offenbar die über hundert Jahre alte Od-Theorie Reichenbachs fröhliche Urständ feiert. Auch der Äther kommt wieder zu Ehren ("Wer den Äther versteht, versteht die spirituellen Hierarchien der Welt"). Ebenso die Orgontheorie von Wilhelm Reich ("Orgon kann auch in der Atmosphäre gefunden werden; es ist der blaue Schleier, der über Wäldern hängt und kann im Flimmern der Luft gesehen werden").

Natürlich handelt es sich hierbei um pseudo-wissenschaftlichen Unsinn. Was dieses Buch dennoch bemerkenswert macht, sind zwei Umstände: Zum einen die nahtlose Verquickung des Unsinns mit durchaus vernünftig klingenden Passagen, und zum anderen die Tatsache, daß sich für solche Literatur ein breites Publikum findet. Der Literaturvertrieb Zweitausendeins ist schließlich nicht irgendein Winkelverlag, sondern ein auf den Mainstream des Zeitgeistes spezialisiertes und erfolgreich darin fischendes Unternehmen.

Das Buch demonstriert, wie nahe im modernen Bewußtsein partielle Rationalität und abgrundtiefer Irrationalismus nebeneinander wohnen können. Das macht es dann auch so außerordentlich schwierig, reale Gefährdungen von übertriebenen Ängsten zu trennen. Zum Beispiel läßt sich nicht ausschließen, daß elektromagnetische Felder von hoch- und niederfrequenten Wechselströmen Auswirkungen auf biologische Systeme haben können. Es mag auch durchaus sein, daß bestimmte Menschen für elektrische Ströme besonders "sensitiv" sind. Mit solchem Tobak, wie ihn dieses Buch bietet, wird jedoch eine Abwägung des realen Risikos von vornherein verhindert. Hier wird vielmehr auf ein unkundiges Publikum spekuliert, dem ein umfassenderer Begriff von Wissenschaft fehlt und das wohl gerade deshalb seinen parapsychologischen Cocktail mit "wissenschaftlichem" Brimborium kredenzt haben möchte.

(PB Mai 1992/*leu)