PresseBLICK-Rezensionen | Geschichte (Strom u. a.) |
Der Elektromotor ist der effizienteste aller Antriebe und läßt sich universell einsetzen. Vor allem als Drehstrom-Motor ist er so robust und leistungsfähig, wie es ein Verbrennungsmotor aus physikalischen und technischen Gründen niemals sein könnte.
Dennoch konnten sich elektrische Antriebe im Verkehrswesen bisher nur bei schienengebundenen Fahrzeugen durchsetzen. Schon vor dem ersten Weltkrieg traten sie hier erfolgreich in Konkurrenz zu den Dampflokomotiven. Heute sind sämtliche Hauptstrecken der Bahn elektrifiziert. Dieselloks oder dieselelektrische Züge sieht man allenfalls auf Nebenstrecken. Wo sie absolut dominieren, wie in den USA, zeugt dies von Rückständigkeit und Verkümmerung des Eisenbahnwesens.
Ganz anders auf der Straße: Hier herrscht unangefochten der Verbrennungsmotor. Der Elektromotor spielt noch immer so gut wie keine Rolle. Er leistet lediglich Hilfsdienste, vor allem als Anlasser, Lichtmaschine oder Scheibenwischermotor. Beim eigentlichen Antrieb kommt er trotz aller technischen Überlegenheit nicht zum Zuge, weil eine Stromzuführung per Oberleitung praktisch ausscheidet und weil auch die Bereitstellung von elektrischer Energie an Bord des Fahrzeugs mittels Batterien oder Brennstoffzellen noch nicht befriedigend gelöst werden konnte.
Aber die Technik steht nicht still. Möglicherweise wird der Verbrennungsmotor im neuen Jahrtausend bald genauso belächelt werden wie die klobigen Dampfmobile, die im letzten Fin de siècle das automobile Zeitalter ankündigten.
Welche überraschenden Wendungen oft die technische Entwicklung nimmt, veranschaulicht das vorliegende Buch. Es behandelt die Entwicklung der Elektrofahrzeuge im Kontext mit konkurrierenden Antrieben und vor dem Hintergrund des Fahrzeugbaues überhaupt.
Die Erfindung des Rads und des Wagens gelang schon vor über 5000 Jahren den Sumerern in Mesopotamien. Bis auf weiteres kamen aber nur Tiere, die menschliche Muskelkraft oder der Wind als Antriebskraft in Frage. Sogar erste Eisenbahnen, wie die 130 Kilometer lange Strecke zwischen Budweis und Linz, die 1832 eröffnet wurde, wurden von Pferden gezogen.
Die überlegene Zugkraft und Schnelligkeit der Dampflokomotiven führte dann zu einem rasanten Ausbau des Schienennetzes und verschob die überkommenen Maßstäbe für Raum und Zeit in einer für die Zeitgenossen atemberaubenden Weise. Die Dampfkraft feierte ihre Triumphe aber nicht bloß auf den Schienen: Sie brachte auch die ersten Automobile hervor. Das Wort "Chauffeur", das auf französisch soviel wie Heizer bedeutet, kündet bis heute von den dampfgetriebenen Anfängen des Automobils.
Als Carl Benz 1886 eine dreirädrige Kutsche mit einem Benzin-Gasmotor kombinierte, war er keineswegs der Erfinder des Automobils. Er war lediglich der Begründer einer neuen Antriebstechnik, die erstmals ihre Funktionstüchtigkeit gegenüber dem dampfgetriebenen Automobil unter Beweis stellte. Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts verkehrten in New York weitaus mehr Dampfwagen als Benzinautos, und noch 1907 ließ sich US-Präsident Theodore Roosevelt in einem Dampfauto chauffieren.
Die größten Chancen, die Nachfolge des Dampfwagens anzutreten, schien zunächst das Elektroauto zu haben. Es war im Betrieb zwar nicht viel billiger als ein Benzinauto, dafür aber leiser, sauberer und zuverlässiger. Anfang der achtziger Jahre fanden die ersten Probefahrten mit elektrischen Vehikeln statt. Gegen Ende des Jahrhunderts lief die Serienfertigung an. Ein führender amerikanischer Hersteller hatte 1900 einen Jahresausstoß von1000 Elektroautos. Die Hersteller von Benzinautos wie Benz in Deutschland (600 Stück) und Peugeot in Frankreich (500 Stück) konnten da nicht mithalten.
Begünstigt wurde das Vordringen des Elektroautos durch die noch bescheidenen Ansprüche an Reichweite und Geschwindigkeit. Der Überlandverkehr existierte praktisch noch nicht bzw. wurde der Eisenbahn überlassen. Für das großstädtische Pflaster reichten aber der Aktionsradius und die Höchstgeschwindigkeit der batteriebetriebenen Automobile aus. Zum Beispiel verfügten die Berliner Elektrotaxis, die 1899 nach dem Vorbild von Paris, London und New York in der Reichshauptstadt den Betrieb aufnahmen, über eine Reichweite von 30 Kilometern und fuhren bis zu 20 km/h schnell.
Sogar bei Überland-Autorennen hatten Elektromobile zunächst die Nase vorn. So siegte am 14. April 1900 auf Long Island ein Elektromobil im ersten modernen Autorennen der USA, indem es die Entfernung von 80 Kilometern in zwei Stunden zurücklegte. Den zweiten Platz belegte ein Dampfauto und den dritten Platz ein Benzinwagen.
Noch eindrucksvoller zeigten sich die grundsätzlichen Vorteile des elektrischen Antriebs auf der Schiene: Bei Schnellfahrversuchen, die Siemens und AEG mit einem Drehstromtriebwagen auf der Strecke Marienfelde - Zossen durchführten, wurde bereits 1903 ein Geschwindigkeitsrekord von 210 km/h erzielt. Allerdings waren für die Durchführung des Versuchs drei Oberleitungen notwendig, um den Triebwagen mit Drehstrom versorgen zu können. In der Praxis des Bahnbetriebs hat sich deshalb entweder Gleichstrom durchgesetzt, wie in Frankreich, oder einphasiger Wechselstrom, wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Bahnverwaltungen der drei genannten Länder einigten sich 1912 außerdem auf eine verringerte Frequenz von 16 2/3 Hertz: Sie wollten damit technischen Problemen begegnen, die bei der normalen Netzfrequenz von 50 Hertz an den einphasigen Wechselstrommotoren auftraten.
Heute hat es nur noch historische Gründe, daß die Deutsche Bahn mit 16 2/3 Hertz fährt und dafür ihre eigenen Bahnstrom-Kraftwerke unterhält. Es sind auch keine mechanischen Umformer mehr erforderlich, um Netzstrom in Bahnstrom zu verwandeln. Dies besorgen inzwischen statische Frequenzumrichter auf Halbleiterbasis. Moderne Züge wie der ICE fahren sogar mit Drehstrom beliebiger Frequenz und Spannung, den bordeigene elektronische Stromrichter aus dem einphasigen Wechselstrom der 15 kV-Oberleitung aufbereiten.
Auch das Elektroauto kann heute in einer Weise optimiert werden, wie es zur Zeit der ersten batteriebetriebenen Gefährte noch nicht möglich war. So lassen sich, wie beim ICE, das Drehmoment des Motors bei allen Geschwindigkeiten schaltungsfrei auf die Achsen übertragen und die beim Bremsen freiwerdende Energie in Strom zurückverwandeln. Die grundsätzlichen Vorteile der elektrischen Antriebstechnik gegenüber dem Verbrennungsmotor überzeugen damit noch mehr.
Daß sich das Benzinauto dennoch durchsetzte und den elektrischen Antrieb in winzige Nischen verdrängte, war einem Systemvorteil zu verdanken, der mit der eigentlichen Antriebstechnik nichts zu tun hat: Die Energiedichte des mitgeführten Benzins und die Schnelligkeit des Auftankens waren den bescheidenen Speichermöglichkeiten von Batterien und deren langer Aufladezeit klar überlegen.
Außerdem half ausgerechnet die Elektrotechnik dem Benzinauto bei der Verdrängung des Elektroautos: Sie machte das mühsame Ankurbeln des Motors überflüssig, ersetzte die trüben Karbid-Lampen durch helle Scheinwerfer und sorgt zuverlässig für die Zündung des Gasgemischs im Kolben.
Inzwischen sind noch eine Vielzahl anderer Stromverbraucher im Auto hinzugekommen, vom Radio über die Heckscheibenheizung und elektrische Fensterheber bis zur Klimaanlage. Der Stromverbrauch eines Autos ist dadurch, unabhängig vom Antrieb, so hoch geworden, daß anstelle der alten Gleichstrom-Lichtmaschinen leistungsfähige Drehstrom-Generatoren erforderlich sind, um ihn decken zu können. Zugleich wirkt sich dieser zusätzliche Stromverbrauch als weiteres Handikap für batteriebetriebene Elektroautos aus - zumal bei ihnen die Gratis-Heizung durch die Abwärme des Motors entfällt und die elektrische Beheizung des Autos einen weiteren Großverbraucher für die Batterie bedeuten würde.
Trotz aller Fortschritte der Batterietechnik und der weiteren Perfektionierung des elektrischen Antriebs wird bei diesem Stand der Dinge das Elektroauto nicht so schnell den Benzinmotor verdrängen können. Als Stadtfahrzeug und für vermehrte Nischen-Anwendungen könnte es allerdings zum vertrauten Anblick werden. Vor allem dann, wenn Umweltmaßnahmen einen gewissen Druck erzeugen, wie dies in Kalifornien vorgeführt wurde. Soeben wird von einer neuen Lithium-Polymer-Batterie berichtet, welche die Leistungsdichte von Nickel-Metallhydrid-Batterien um das doppelte und die von herkömmlichen Bleibatterien um mehr als das vierfache übertrifft. Wenn sich solche Entwicklungsschritte wiederholen und in die Praxis umsetzen lassen, braucht einem um die Zukunft des Elektroautos nicht bang zu sein. Vielleicht gehört die Zukunft aber auch Hybrid-Modellen, die sowohl über einen Verbrennungsmotor als auch über einen elektrischen Antrieb verfügen. Noch größere Chancen werden der Brennstoffzelle eingeräumt, die an Bord des Elektroautos die mitgeführte Energie in Form von Wasserstoff oder Methan in Strom verwandelt. In beiden Fällen würde das "Auftanken" an der Steckdose entfallen.
Das vorliegende Buch verweist nur knapp auf die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet des Elektroautos und des uralt-leidigen Problems einer ausreichenden Energieversorgung. Auch sonst geht es nicht allzusehr auf technische Details ein. Es vermittelt dem Leser aber einen hervorragenden geschichtlichen Überblick und fundiertes Hintergrundwissen, was die Entwicklung des Automobils im allgemeinen und die der Elektrofahrzeuge im besonderen betrifft.
(PB 3/98/*leu)