PresseBLICK-Rezensionen | Geschichte (Strom u. a.) |
Über viele Jahrhunderte gehörten Windmühlen zu den wichtigsten mechanischen Energielieferanten, bis sie von Dampfmaschine, Verbrennungsmotor und Elektromotor verdrängt wurden. Heute spielt der Wind als Energielieferant nur noch eine periphere Rolle. Das liegt hauptsächlich an seiner Unbeständigkeit und recht geringen Leistungsdichte. Der Boom, den die Windenergie in den letzten Jahren erlebt hat, widerspricht dieser Feststellung nur scheinbar. Inzwischen liegt Deutschland, was die installierte Windstrom-Leistung betrifft, in Europa an erster Stelle und hat sogar Dänemark übertroffen. Dies verdankt sich aber vor allem dem Anfang 1991 in Kraft getretenen Stromeinspeisungsgesetz, das die Stromversorger verpflichtet, den Windstrom aus privater Erzeugung mit derzeit gut 17 Pfennig je Kilowattstunde zu vergüten. Der tatsächliche Wert des Windstroms ist erheblich geringer. Die Stromversorger veranschlagen ihn mit etwa 5 Pf/kWh, weil der unbeständige Energielieferant im wesentlichen nur Brennstoffkosten einspart und kaum Kraftwerkskapazitäten ersetzt.
Der Verfasser des vorliegenden Buches hält die Einführung des Stromeinspeisungsgesetzes für einen "mutigen Schritt der Bundesregierung". Dennoch sieht auch er im Markt für Windkraftanlagen einen" künstlich geschaffenen Markt". Alle deutschen Windkraftanlagenhersteller lebten fast ausschließlich von Förderprogrammen und seien mit ihren Preisen international nicht konkurrenzfähig. Ein Verdrängungswettbewerb, wie in die Branche in den USA und Dänemark bereits in den achtziger Jahren erlebte, stehe in Deutschland erst noch bevor. Erst nach Auslaufen der Förderprogramme werde sich zeigen, was von dem jetzigen Windkraft-Boom Bestand habe.
Es wäre nicht das erste Mal, daß die Möglichkeiten der Windenergie überschätzt wurden. Besonders in Deutschland hefteten sich an diese Energiequelle eine Zeitlang hochgespannte Erwartungen, die eher psychologisch als technisch motiviert waren. Ein besonderer Leckerbissen des vorliegenden Buches ist die ausführliche Beschreibung der "Höhenwindkraftwerke", die der Ingenieur Hermann Honnef in den dreißiger Jahren propagierte: Eines dieser Projekte sah zum Beispiel eine gigantische Stahlkonstruktion von 430 Meter Höhe vor, an der drei Windräder mit einem Durchmesser von 160 Metern eine Gesamtleistung von 60 MW erbringen sollte. Jedes dieser Windräder sollte aus zwei gegenläufig rotierenden Windrädern bestehen, von denen das eine als Stator und das andere als Polrad ausgebildet ist. Turbine und Generator bilden also eine Einheit, und das Getriebe entfällt.
Aus heutiger Sicht wirken Honnefs Entwürfe, als seien sie einer Jules-Verne-Verfilmung oder auch der Kulisse zu Kurt Langs "Metropolis" entsprungen. Besonders naiv mutet seine Absicht an, die tonnenschwere Konstruktion mit den riesigen Windrädern je nach Bedarf aus der Vertikalen in die Horizontale zu schwenken, um sie der Windstärke anzupassen. Auch scheint Honnef übersehen zu haben, daß der erforderliche Millimeter-Abstand zwischen Stator und Polrad bei solchen Abmessungen praktisch nicht zu verwirklichen ist.
Dennoch wurden Honnefs Projekte in der Fachwelt einer ernsthaften Diskussion für würdig befunden. Die nationalsozialistischen Machthaber zeigten ebenfalls Interesse - zunächst wohl deshalb, weil Honnefs Gigantomanie ihrem eigenen Größenwahn entgegenkam, dann aber auch zunehmend, um sich mittels der Windenergie eine Alternative zu den knapper werdenden fossilen Energieträgern zu erschließen. Honnefs Forschungen wurden als "kriegswichtig" eingestuft, und er bekam die nötige Unterstützung, um in der Nähe von Berlin ein Testgelände mit kleinen Versuchsanlagen (500 Watt bis 17 kW) zu errichten.
Ein Hauch vom Geist Honnefs scheint auch 1978 im Bundesforschungsministerium geweht zu haben, als man dort beschloß, die weltweit größte Windkraftanlage mit 100 Meter Turmhöhe und einer Leistung von 3 MW zu errichten. Diese Großwindanlage, abgekürzt Growian, entpuppte sich als Fehlentwicklung. Vor allem die Risse am Pendelrahmen und andere ÔWerkstoffprobleme machten den Konstrukteuren unablässig zu schaffen. Von der ersten Rotordrehung am 6. Juli 1983 bis zur Einstellung des Betriebs Ende August 1987 stand die Anlage etwa 99 Prozent der Zeit still. Es kam deshalb nie zu dem vorgesehenen regulären Testbetrieb.
Die Projektleitung beim Bau der "Growian" hatten auf Wunsch des Ministeriums drei Stromversorger übernommen. Dafür mußten sie sich später den Vorwurf anhören, sei seien am Gelingen das Projekts gar nicht interessiert gewesen, um die Windenergie diskreditieren zu können...
In Wirklichkeit stellen bereits kleine und mittlere Windkraftanlagen sehr hohe Anforderungen an die Konstrukteure, wenn sie im Dauerbetrieb einigermaßen leistungsfähig und zuverlässig sein sollen. Letztlich wäre alles kein Problem, wenn der Wind kontinuierlich aus einer einzigen Richtung wehen würde. Seine chronische Unbeständigkeit in Stärke und Richtung, die ihn für die Stromproduktion so problematisch macht, hat aber auch schon manchen Konstrukteur zur Verzweiflung getrieben. Das vorliegende Buch vermittelt auch Außenstehenden eine Ahnung davon, welcher Anstrengungen es bedurft hat, um die scheinbar so simple Kraftübertragung vom Wind auf Rotor, Getriebe und Generator bis zum heutigen Stand zu optimieren.
Wie der Verfasser darlegt, gibt es in dieser Hinsicht bis heute große Unterschiede, die nicht nur für einzelne Hersteller typisch sind, sondern so etwas wie ein nationales Design entstehen ließen: Dänische Anlagen gelten als besonders praxiserprobt, robust und zuverlässig. Amerikanische Anlagen sind eher auf den Preis hin getrimmt, aber weniger zuverlässig. Die deutschen Anlagenbauer beeindruckten in der Vergangenheit vor allem mit innovativen Konstruktionen wie dem einblättrigen Monopteros, dem vertikalen Darrieus-Rotor und dem davon abgeleiteten H-Rotor, die sich aber aus verschiedenen Gründen nicht befriedigend vermarkten ließen. Heute orientiert sich die deutsche Produktion "von der Stange" deshalb stark am dänischen Vorbild.
Diese Geschichte der Windenergie ist eine Fundgrube für alle, die an Technikgeschichte und speziell an der Windenergie interessiert sind. Obwohl ihr eine Dissertation zugrundeliegt, läßt sie sich erfreulich flüssig lesen. Der Autor versteht es auch recht gut, die Windenergienutzung in ihren wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen darzustellen.
Um so bedauerlicher ist der stolze Preis von 88 Mark für einen schlichten Paperback-Band, zumal die Veröffentlichung - wie bei so manchem Buch aus dem Campus-Verlag - überhaupt erst durch einen "Druckkostenzuschuß" ermöglicht wurde. In diesem Fall wurde der Druckkostenzuschuß von einer Stiftung übernommen, so daß der Autor wenigstens nichts zulegen muß. Aber deprimierend bleibt es schon, daß gerade anspruchsvolle Manuskripte unter den kommerziellen Zwängen des Verlagswesens oft keine Chance haben, zum Druck zu gelangen.
(PB 11/95/*leu)