PresseBLICK-Rezensionen Geschichte (Strom u. a.)



Steve Parker

Elektrizität - Von den ersten elektrostatischen Versuchen mit Bernstein bis zur Erfindung der drahtlosen Kommunikation

Hildesheim 1993: Gerstenberg Verlag, 64 S., DM 36.-


Die Dinosaurier hatten viel Masse und wenig Hirn. Ähnlich ging es im Paläozän der Elektrotechnik zu: Die Apparate waren klobig, die Leistung gering. Zum Beispiel könnte eine Leidener Flasche nicht mit der Speicherkapazität heutiger Elektrolytkondensatoren wetteifern. Über Faradays Induktionsring würden moderne Transformatorenbauer nur mitleidig den Kopf schütteln. Und ein einziger Chip übertrifft an Rechenleistung die raumfüllenden Elektronengehirne der ersten Generation.

Dennoch sind die Technik-Dinos von einer faszinierenden Anschaulichkeit. Gerade in ihrer Klobigkeit und Unvollkommenheit lassen sie das angewandte Prinzip oft besser erkennen als die optimierten Nachkommen. So wird man die Arbeitsweise eines Computers kaum verstehen, wenn man die Chip-bestückten Platinen der modernen Hardware studiert. Sie wird sinnfälliger demonstriert durch ein Museumsstück, das noch mit Röhren oder gar mit Relais arbeitete.

Die elektronische Datenverarbeitung kommt in dem vorliegenden Buch zwar nicht vor. Sonst wird aber kaum ein Gerät ausgelassen, das für die Entwicklung der Elektrotechnik von Bedeutung ist. Und seinen ganz besonderen Reiz macht es eben aus, wie hier die verschiedenenen Wege zur Erzeugung und Nutzung der Elektrizität im historischen Kontext und an möglichst musealen Beispielen aufgezeigt werden.

Die akkurat fotografierten Apparaturen und sonstigen Abbildungen stammen in der Regel aus der Zeit, in der die betrefffende Erfindung gelang oder als Neuerung eine wichtige Rolle spielte. So findet man das Prinzip der chemischen Stromerzeugung nicht durch eine Monozelle oder Autobatterie repräsentiert, sondern durch eine Voltasche Säule von 1800 und einen Bleiakkumulator von 1895. Das Prinzip des Fernsehens wird durch ein Uraltgerät aus den dreißiger Jahren veranschaulicht, das mit seinem kreisrunden Bildschirm und dem extrem langen Kolben die zugrundeliegende Funktionsweise der Kathodenstrahlröhre noch besser erkennen läßt als ein modernes Gerät mit rechteckiger Flachbildröhre.

Die Darstellung beginnt mit der geheimnisvollen Kraft, welche schon die alten Griechen beobachteten, wenn sie ein Stück Bernstein ("elektron") mit einem Stück Wolle rieben. Sehr schön werden dann die frühen Experimente von Gilbert, Franklin oder Davy beschrieben, die Leidener Flasche, das Elektroskop, die Elektrisiermaschinen, die Erfindung der Batterie, die Formulierung des Ohmschen Gesetzes, die Fortschritte der Meßtechnik, die Entdeckung des elektrischen Magnetfeldes, die vielfältigen Anwendungen des Induktionsprinzips, die Anfänge der Stromversorgung, die Elektrifizierung der Haushalte, Telefon, Funk und Fernsehen.

Schade, daß mit dem Fernsehen die Darstellung abbricht. Die heute so wichtige Halbleitertechnik wird nur beiläufig erwähnt. Noch ein paar Seiten über Dioden, Transistoren, Thyristoren, integrierte Schaltkreise und Solarzellen, und der Streifzug durch die Geschichte der Elektrizität wäre komplett.

Laut Untertitel will das Buch allerdings nur "von den ersten elektrostatischen Versuchen mit Bernstein bis zur Erfindung der drahtlosen Kommunikation" führen. Dieses Versprechen wird sicher erfüllt. Auch der Serientitel "Faszinierende Forschung", unter dem das Buch im Verlag Gerstenberg erscheint, ist nicht zu hoch gegriffen. Es ist in der Tat faszinierend, wie hier die Geschichte der Elektrizität dargestellt wird: Kein Buch zum Durch- und Auslesen, sondern eher eines zum Blättern, eine gelungene Verbindung von Wort und Bild, die mit ihren zahlreichen farbigen Abbildungen immer wieder Appetit macht, dieses oder jenes elektrotechnische Detail samt dem dazugehörigen Text eingehender zu studieren.

Das Buch ist ursprünglich im englischen Verlag Dorling Kindersley in der Reihe "Eyewitness Science" erschienen. Es ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich Technik popularisieren und spannend präsentieren läßt.

(PB 9/93/*leu)