PresseBLICK-Rezensionen Geschichte (Strom u. a.)



Wolfgang Schivelbusch

Licht, Schein und Wahn - Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert

Berlin 1992: Erco Edition / Ernst & Sohn Verlag, 143 S., 403 Abb., davon 96 in Farbe, DM 98.-


Elektrische Energie ist unsichtbar. Erst ihre Umsetzung in Bewegung, Wärme, Licht oder chemische Prozesse läßt sie gewahr werden. Die faszinierendste, weil eindringlichste Form ist dabei die des Lichts. Es war deshalb naheliegend, den "Elektrizitätspalast" der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 von Tausenden farbiger Glühbirnen beleuchten zu lassen. Der nächtliche Lichteffekt überwältigte selbst einen kunstsinnigen Kritiker wie Julius Meier-Graefe, der dem Zuckerbäckerstil des Gebäudes sonst überhaupt nichts abgewinnen konnte: "Aus dem Gips ist ein in allen Farben leuchtendes Kristall geworden, schön und groß wie die Bauten, von denen die Märchen erzählen."

Mit der Weltausstellung des Jahres 1900 beginnt Wolfgang Schivelbuschs zweiter Streifzug durch die Welt des Lichts. In einem früher erschienenen Buch ("Lichtblicke") hat er geschildert, wie die Kerze durch das Gaslicht und dieses wiederum durch das elektrische Licht abgelöst wurde. Die Weiterführung des Themas ist identisch mit der Weiterentwicklung des elektrischen Lichts, zu dem es - vom Tageslicht mal abgesehen - bisher keine Alternative gibt.

Glühlampe und Gasentladungs-Prinzip

Es gibt seit jeher zwei Möglichkeiten, elektrischen Strom in Licht zu verwandeln: Die eine ist die Glühlampe, in der ein elektrischer Widerstand bis zur Weißglut erhitzt wird. Die andere ist die Gasentladungslampe, in der das Gas zwischen zwei Elektroden ionisiert und in ein strahlendes Plasma verwandelt wird. Das zweite Prinzip ist von der Leuchtstoffröhre her allgemein bekannt. Aber auch die Bogenlampen der Belle Epoque, bei denen das Plasma in der Luft zwischen zwei Kohlestiften entstand und die glühende Anode ein überaus helles Licht erzeugte, gehörten bereits zur Familie der Gasentladungslampen.

Das eigentliche Interesse Schivelbuschs gilt freilich nicht so sehr der technischen Entwicklung der elektrischen Beleuchtung als deren "Auftritten" im 20. Jahrhundert. Er sieht sein Thema als Kulturhistoriker und geht es gleichsam phänomenologisch an. Die technischen Details und Unterschiede der Lampen interessieren ihn nur insoweit, als dadurch neue Beleuchtungstechniken möglich werden. Zum Beispiel, wenn durch raffinierte Schaltungen bewegte Bilder auf Glühlampen-Tableaus erzeugt werden können, wenn die Neon-Röhren nochmals neue Wege der Lichtreklame eröffnen, wenn die Nazis mit Flakscheinwerfern ihre pathetischen "Lichtdome" inszenieren oder wenn die Leuchtstoffröhre die Lichtverhältnisse in Fabriken und Büros revolutioniert. Anlaß für tiefschürfende Überlegungen gibt es für ihn auch, wenn das Licht in die Wohnungen nicht mehr durch hohe, sondern durch breite Fenster einfällt, oder wenn durch den Wegfall von Fensterbänken die zusätzliche Reflektion des Tageslichts an der Decke von Räumen verschwindet.

Schön und zweckmäßig sind zweierlei

Manchmal mag das Garn, das Schivelbusch darbietet, allzu fein gesponnen erscheinen. Es wirkt aber immer originell und amüsant, wie er sein Thema mal von dieser, mal von jener Seite angeht. Er flaniert sozusagen durch die Geschichte der Beleuchtungstechnik, ohne angestrengt ein Ziel vor Augen zu haben. So bleibt er einen Moment bei den Lichtschaltern stehen, um neugierig deren Entwicklung vom Gashahn-ähnlichen Drehschalter zum Schnappschalter mit Sprungfeder zu reflektieren. Ein andermal verweilt er bei Walter Gropius, der für sein Arbeitszimmer eine Lampe im Bauhaus-Stil entwarf: Der Architekt mußte dann doch zur gewohnten Beleuchtung zurückkehren, weil die schöne Lampe entweder unerträglich blendete oder nur eine schummerige Beleuchtung erlaubte. - Läßt sich die Bauhaus-Ideologie, nach der die Schönheit zwanglos der Zweckmäßigkeit folgen müßte, hübscher karikieren?

Die elektrische Beleuchtung in Theater und Film

Erhellendes vermag Schivelbusch auch über den Einfluß der elektrischen Beleuchtung auf den Kulturbetrieb zu berichten. So geht dem Leser ein Licht auf, weshalb die amerikanische Tänzerin Loïe Fuller zur Kultfigur der letzten Jahrhundertwende avancierte: Es war zum guten Teil die neuartige, raffinierte elektrische Beleuchtung, zu der sie ihre Schleiertänze vollführte. Für das Theater brachen mit der elektrischen Beleuchtung ebenfalls neue Zeiten an. Bis dahin hatte man sich damit begnügt, die Bühne mehr schlecht als recht zu beleuchten. Nun aber, mit den neuen technischen Möglichkeiten, wurde das gestaltende Licht Bestandteil des Bühnenbilds selbst und ist es bis heute geblieben. In Hans Poelzigs "Großem Schauspielhaus", das 1919 in Berlin eröffnet wurde, präsentierte sich sogar die Kuppel des Zuschauerraums wie eine märchenhafte Alhambra des Lichts, während unten, auf der weit ins Publikum ragenden Bühne, der Regisseur Max Reinhardt die Illusion des theatralischen Geschehens perfekt zu machen versuchte. Beides war eine Sackgasse, wie sich bald herausstellen sollte. Denn das wahre Illusions- und Massentheater gehörte dem neuen Medium des Films, der wie kein anderes mit dem elektrischen Licht verschwistert war und dies in triumphaler Weise zum Ausdruck brachte. Die neuen Licht-Paläste, die Capitol, Universum, Lichtburg, Titania-Palast oder Radio City Hall hießen, beeeindruckten den Zuschauer bereits durch die sakral-grandiose Ausführung und Ausleuchtung ihres Ambientes, bevor sich der Vorhang öffnete und das "Lichtspiel" auf der Leinwand die Sinne noch mehr gefangen nahm.

Die Art, in der Schivelbusch die "Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert" nachvollzieht und präsentiert, ist subjektiv und objektiv zugleich. Wie er an das Material herangeht, es sichtet, auswählt und verknüpft, scheint einem höchst persönlichen intellektuellen Lustprinzip zu entspringen. Man wird ihm dabei nicht immer ganz ohne Vorbehalte folgen mögen. Zugleich bleibt er sich aber doch stets bewußt, daß alle geistigen Zusammenhänge zur bloßen Schimäre werden, sobald sie den Kontakt zur harten Welt der Dinge, zur materiellen Realität, zur Profanität des Alltags verlieren. Das ist die objektive Seite. Beides zusammen ergibt eine überaus glückliche, anregende Mischung, bei der auch die Freunde zartbitterer Nostalgie auf ihre Kosten kommen: Denn nichts ist älter als das Modische von gestern, und gerade technischen Produkten ist das Verfallsdatum deutlich anzusehen. Jede Tiffany-Leuchte wird deshalb erst so richtig schön mit der dazu passenden Kohlenfadenlampe der Jahrhundertwende.

(PB 3/93/*leu)