PresseBLICK-Rezensionen | Geschichte (Strom u. a.) |
Als 1888 das erste Hamburger Elektrizitätswerk in Betrieb ging, beschränkte sich die Belieferung mit Strom auf einen Umkreis von 400 Metern. Die Begrenzung war technisch vorgegeben. Mehr ließen der verwendete Gleichstrom und der Querschnitt der Kabel nicht zu. Auch die späteren, bis zur Jahrhundertwende gebauten Hamburger Zentralen glichen nach Versorgungsbereich und Leistung eher heutigen Blockheizkraftwerken.
In diese Frühzeit der Elektrizitätsversorgung leuchtet die vorliegende Schrift. Sie informiert zugleich über die Entstehung der Hamburgischen-Electricitäts-Werke (HEW), die heute über den Rahmen der kommunalen Bedarfsdeckung hinausgewachsen sind und zu den deutschen Verbundunternehmen gehören. Der Anstoß hierzu kam wohl zu Anfang dieses Jahrhunderts, als mehrere "Überlandzentralen" aus entfernteren Gegenden sich anheischig machten, die noch nicht versorgten Teile des Hamburger Staatsgebiets mit Strom zu beliefern. Die ehemals privaten HEW (mit der Firma Schuckert als Hauptaktionär) wurden daraufhin in ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen umgewandelt. Während des ersten Weltkriegs errichtete man das neue Großkraftwerk Tiefstack mit seinen vier über hundert Meter hohen Schornsteinen, die in stilisierter Form bis in die achtziger Jahre die Briefköpfe der HEW zierten.
Das eigentliche Thema der vorliegenden Schrift ist jedoch weniger die technisch-wirtschaftliche Entwicklung der Hamburger Elektrizitätsversorgung bis zum ersten Weltkrieg als die damit einhergehende ästhetische Rezeption der Elektrizität, wie sie in der inneren und äußeren Gestaltung der Kraftanlagen zum Ausdruck kam. Bei der ersten Zentrale in einer ehemaligen Mühle an der Poststraße waren der Maschinensaal wie auch die aus Eichenholz erbaute Schaltwand noch ohne besondere architektonische Ausgestaltung errichtet worden. Man hatte wohl auch andere Probleme, denn es kam noch häufig zu massiven technischen Betriebsstörungen, bei denen das Personal fluchtartig das Weite suchte. Aber schon bei der Erweiterung dieser Zentrale 1893/94 erhielt die hölzerne Schaltwand einen bis zur Decke reichenden Mittelteil mit zwei etwas niedrigeren Seitenteilen. Beiderseits des Mittelteils waren Schalter, Regler und Meßinstrumente symmetrisch angeordnet. Am oberen Ende der Symmetrieachse befand sich eine Uhr als Blickfang und krönender Abschluß. Bei den folgenden drei Zentralen an der Zollvereinsniederlage (1896), in Barmbek (1899) und an der Bille (1901) wurde dieses architektonische Gepräge der Schalttafel noch verstärkt. Die Holztafeln wurden durch Marmorplatten ersetzt. Mit Zinnen, Türmchen und sonstigem neugotischem Zierrat, etwa an den symmetrischen Treppenaufgängen zur Galerie, wurden die Schalttafeln zur prunkvollen Monstranz für das geheimnisvolle Fluidum Elektrizität und glichen einem Hochaltar der Technik.
Zur weihevollen, kirchenähnlichen Atmosphäre trugen auch die ornamentierten Steinfußböden und gefliesten Wände der Elektrizitätswerke bei. Diese Materialien entsprachen dem Empfinden der Zeitgenossen, die den Strom als eine saubere Licht- und Kraftquelle ansahen.
Äußerlich bekamen die Zentralen ein historisierendes Gewand. In der Regel wählte man die Neugotik. Für das Maschinen- und Kesselhaus kam auch schon mal "romanischer Stil" in Frage. Die historisierende Einkleidung von Zweckbauten war damals allgemein üblich. Sie reichte vom Mädchenpensionat über die Textilfabrik bis zum Elektrizitätswerk und ließ kaum Rückschlüsse auf die Zweckbestimmung der Gebäude zu.
Ganz anders im 1917 vollendeten Großkraftwerk Tiefstack, das mit seiner Architektur den Übergang zur Sachlichkeit des modernen Baustils vollzieht: In seiner ruhig-wuchtigen Monumentalität enthält es deutliche Anklänge an die AEG-Turbinenfabrik von Peter Behrens oder den Stuttgarter Hauptbahnhof von Paul Bonatz. Die Technik wird hier nicht mehr in historisierende Formen gepreßt, sondern tritt als Überwinderin des Alten auf. Sie wird zum wuchtig-unentrinnbaren Fatum, das seinen eigenen Kult fordert - bis hin zu Konstruktivismus, Funktionalismus und Bauhaus-Moderne.
Das vorliegende Buch dokumentiert ausführlich diesen Wandel der äußeren und inneren Gestaltung der Hamburger Elektrizitätszentralen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Da sich der Verfasser auf eigene Recherchen im HEW-Archiv stützen kann, stellt es einen originären Beitrag zur Architekturgeschichte dar.
Was im Titel "Kathedralen der Electricität" so vielversprechend anklingt, nämlich die ästhetisch-ideologischen Implikationen von Architektur, wird vom Text allerdings nur in wenigen Sätzen angerissen. Beispielsweise fühlt sich der Verfasser durch eine Schaltwand "an einen gotischen Altar" erinnert. Er stellt fest, daß man "die neue Technik sakralisiert" habe oder daß die neugotische Architektur der neuen Technik ein "vertrautes Äußeres" vermitteln sollte, um "zwischen dem skeptischen Menschen und der neuen Technik" zu vermitteln. Sicher nicht falsch ist es auch, wenn er die sauber gefliesten Hallen der Elektrizitätswerke in die "vielfältigen Bestrebungen für Licht, Luft und Hygiene des ausgehenden letzten Jahrhunderts" einreiht oder in der Verwendung des unverputzten Backsteins für neugotische Bauten eine "Vorstufe der Sachlichkeit und des späteren Funktionalismus" sieht.
Das eigentlich spannende Moment der ästhetischen Rezeption von Technik wird damit aber noch nicht erfaßt. Hierfür müßte das Thema tiefer ausgelotet werden. Es müßte die Ambivalenz sichtbar werden, die alle ästhetischen Erzeugnisse einerseits auf das Bestehende verpflichtet und andererseits auf das Neue verweisen läßt. Dies gilt auch und gerade für die Architektur als die öffentlichste aller Künste.
Die Rolle der Neugotik und des gesamten Historismus im 19. Jahrhundert läßt sich nicht außerhalb eines geistesgeschichtlichen Kontextes verstehen, der im Grunde schon mit dem englischen "gothic revival" begann, in Deutschland aber eine durchaus eigene Ausprägung fand. Schon die neugotischen Entwürfe und Projekte Schinkels waren Fluchtbewegung und Tribut zugleich. Sie verwiesen auf das restaurative Klima nach den Befreiungskriegen. Später, nach der gescheiterten Revolution von 1848/49, verlor die Neugotik allen romantisch-idealistischen Schwung. Sie wurde zum offiziösen Stil des erneuerten Herrschaftsanspruchs von Thron und Altar, dem auch ein politisch entmündigtes Bürgertum huldigte.
Als herrschaftliches Dekor eines halbfeudalen Systems trat die Neugotik in wachsenden Widerspruch zur technisch-wirtschaftlichen Entwicklung des von Bismarck gezimmerten Reiches. Am bizarrsten gestaltete sich dieser Widerspruch in der jungen, modernen Elektrizitätswirtschaft - eben in solchen Schalttafeln, die als Hochaltäre der Technik gestaltet waren und das High tech der Jahrhundertwende mit mittelalterlichem Gesims umrahmten. Dagegen widersetzten sich die eigentlichen technischen Elemente, vom Leistungsschalter über den Generator bis zur Turbine, erfolgreich einer disfunktionalen Einkleidung. Es war auch kein Zufall, daß ein Elektrounternehmen, nämlich die AEG, den Architekten und Maler Peter Behrens 1907 zu ihrem künstlerischen Beirat berief, der dann als eine Art Chefdesigner die alten Zöpfe abschnitt.
Als die hier beschriebenen "Kathedralen der Electricität" errichtet wurden, bahnte sich diese ästhetische Revolution schon an. Vor allem unter der jungen Generation regte sich Widerwillen gegen die "kalte Pracht" des Historismus. In der Philosophie hatte sich die Wende vom Vulgärmaterialismus zum Neu-Idealismus vollzogen. In der Malerei rebellierten die "Sezessionisten" gegen den obrigkeitlich protegierten Akademiestil. In der Architektur dauerte alles etwas länger. Aber auch hier ließen sich schließlich Architekten wie Behrens, Poelzig oder auch Carl G. Bensel mit seinem Entwurf für das neue Großkraftwerk Tiefstack von der reformgeistigen Aufbruchstimmung inspirieren. Das Ergebnis war die dem Jugendstil verpflichtete Architektur der Jahrhundertwende - wiederum eine durchaus ambivalente Ästhetik, die nicht etwa ausschließlich und geradlinig in die funktionale Sachlichkeit des Bauhauses mündete, sondern von der auch einige Wege zur prätentiösen Schlichtheit und pseudo-sakralen Monumentalität der Nazi-Bauten führen.
Der Historismus wurde von der siegreichen Moderne lange Zeit verfemt. Beim Interieur war er als "Makart-Stil" verschrien. Die volkserzieherischen Ambitionen des "Werkbundes" lebten geradezu von seiner Ablehnung. Inzwischen läßt sich, wie zuvor schon beim Jugendstil, eine Rehabilitierung und die Suche nach einem neuen Verständnis beobachten. Es wächst in jedem Falle das Unbehagen an der Moderne. Die Makart-Palme feiert fröhliche Urständ in allerlei Plastikpflanzen. Ehemalige Todsünden des guten Geschmacks werden als liebenswerter Kitsch genossen. Die Schaltzentrale im 1917 vollendeten Großkraftwerk Tiefstack - ein funktionaler Kommandoraum mit Oberlicht - wirkt heute gerade wegen ihrer relativen Modernität schon wieder ein bißchen bieder, verstaubt und langweilig. Die postmoderne Architektur findet hier kein Vorbild mehr. Sie hat die absolute Beziehungslosigkeit von Form und Inhalt in einem neuen Sinne wieder zum Programm erhoben. Ihrem ästhetischen Gusto entspricht es deshalb schon wieder weit mehr, eine Schalttafel als neugotisches Triptychon zu gestalten...
(PB 12/91/*leu)