PresseBLICK-Rezensionen | Kernenergie |
Jay M. Gould, der Hauptautor dieses Buches, ist Statistiker. Als solcher glaubt er hinreichend Anhaltspunkte dafür gefunden zu haben, "daß Niedrigstrahlung aus Fallouts und Kernkraftwerken den Menschen und anderes Leben weit mehr geschädigt hat als bisher angenommen und daß der weitere Betrieb ziviler und militärischer Atomkraftwerke auch zukünftigen Generationen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügt".
Was Gould und seine Ko-Autoren dann berichten, klingt in der Tat alarmierend: Zum Beispiel, daß der radioaktiven Strahlung von Tschernobyl, als diese im Mai 1986 die USA erreichte, fast augenblicklich eine ungewöhnlich hohe Sterblichkeitsrate gefolgt sei, und zwar hauptsächlich unter ganz jungen und ganz alten Menschen. Nach Unfällen in der US-Atomwaffenfabrik am Savannah 1970 und im Kernkraftwerk Harrisburg 1979 seien 50 000 bis 100 000 Tote zusätzlich zu verzeichnen gewesen. Des weiteren bestehe eine signifikante Korrelation zwischen den normalen Emissionen von Kernkraftwerken und erhöhter Sterblichkeit in der Umgebung.
Die Autoren sehen die radioaktive Niedrigstrahlung im Bunde mit Aids und anderen bösartigen Infektionskrankheiten. Sie sind der Meinung, daß die Wirkung radioaktiver Stoffe, die eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen werden, bisher völlig unterschätzt und vorsätzlich bagatellisiert worden sei. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf den sogenannten Petkau-Effekt, demzufolge eine niedrige, aber langandauernde Strahlendosis weit schädlicher sein kann als eine kurzzeitige hohe Dosis.
Das Buch ist erstmals 1990 in den USA erschienen. Nach der Lektüre würden "beim kritischen Leser sehr viele Fragen unbeantwortet bleiben", schreibt Wolfgang Köhnlein im Vorwort zur deutschen Ausgabe. Damit hat er wohl recht: Statistische Korrelationen sind eben, so signifikant sie sein mögen, noch kein Beweis für ursächliche Zusammenhänge. Vor allem aber vermag die Art, in der die Verfasser ihr Material präsentieren, einen kritischen Leser nicht zu überzeugen. Zum Beispiel wird neben bedenkenswerten Überlegungen wie dem "Petkau-Effekt" die Studie eines Soziologen kolportiert, der den Anstieg an Morden und Vergewaltigungen in der US-amerikanischen Gesellschaft der siebziger Jahre kurzerhand auf die Belastung der geburtenstarken Jahrgänge der fünfziger Jahre mit radioaktivem Fallout zurückführt. Spätestens an solchen Stellen beschleicht den Leser das Gefühl, daß den Autoren auch windige Argumente willkommen sind, um einen mediengerechten Trip durch den Bereich der Niedrigstrahlung zu inszenieren.
(PB 10/92/*leu)