PresseBLICK-Rezensionen Erneuerbare Energien



Stratis Karamanolis

Phänomen Energie

Neubiberg b. München 1993: Elektra Verlags-GmbH, 180 S., DM 29.80


Das "Phänomen Energie" hat viele Aspekte. Zum Beispiel kann man es wirtschaftlich-technisch sehen: Wie groß ist der Energiebedarf? Wie läßt er sich decken? Wie rentabel ist die jeweilige Art der Energiegewinnung? Der Blickwinkel beschränkt sich dabei auf die Primärenergien und deren Umwandlung in Nutzenergie. Aus etwas größerem Abstand treten andere Aspekte in den Vordergrund: Die Unzerstörbarkeit von Energie, der Entropie-Satz oder die Äquivalenz von Energie und Masse. Für Naturwissenschaftler und Philosophen ein faszinierendes Gebiet: Energie wird für sie zum wichtigsten aller Begriffe, der Aufschluß über die Rätsel des Universums und unserer irdischen Lebenswelt zu geben verspricht.

Das vorliegende Buch will beide Sichtweisen verbinden. Es handelt ebenso vom Urknall wie von der Funktionsweise eines Kraftwerks. Es beschreibt auf den ersten 32 Seiten zunächst, wie sich aus der sogenannten Urenergie das Raum-Zeit-Kontinuum samt der Urkraft in Gestalt der uns bekannten vier Naturkräfte (starke Kraft, schwache Kraft, elektromagnetische Kraft und Gravitationskraft) entwickelt habe. Davon sei die elektromagnetische Kraft die einzige, deren Wesen als erschlossen gelten könne. Sie bilde die Grundlage der gesamten Elektrizitätswirtschaft. Die für die Energiegewinnung wichtigste Naturkraft sei ohne Zweifel die Kernkraft. Dies dürfe aber nicht als Plädoyer für die "irdische Kernenergiewirtschaft" mißverstanden werden. Vielmehr liege die Zukunft der Energiegewinnung in der Nutzung jener kernphysikalischen Vorgänge, die sich auf der Sonne vollziehen.

Auf den folgenden 18 Seiten behandelt das Buch die diversen Erscheinungsformen von Energie: Mechanische Energie, Wärme, Elektrizität, Strahlung, Masse und Kernenergie. Das anschließende Kapitel über "Energiequellen und Energiegewinnung" ist mit 60 Seiten am umfangreichsten. Hier wird relativ detailliert geschildert, wie sich nutzbare Energie aus Kohle, Öl und Gas, durch Kernspaltung oder Kernfusion sowie aus Sonnenlicht, Wasserkraft, Wind, Erdwärme und Biomasse gewinnen läßt. Es folgen 24 Seiten zu "Energieumwandlungen in der Natur" (Materiebildung, Antimaterie, Vorgänge auf der Sonne, Photosynthese). Sechs Seiten sind dem "Energietransport" gewidmet. Auf jeweils 12 Seiten werden "Energiespeicherung" sowie "Energieverbrauch und Umwelt" behandelt. Zum Schluß werden auf sechs Seiten der weltweite Energiebedarf und die Möglichkeiten seiner Deckung gestreift.

Der Autor läßt bei alledem immer wieder anklingen, daß er ein entschiedener Gegner von Kernkraftwerken und glühender Anhänger der solaren Stromerzeugung ist. Es geht ihm nicht um eine leidenschaftslose Erörterung des Themas, sondern ? wie er in einem "Epilog" erklärt - um eine Darlegung "sowohl aus kosmologischer, als auch aus irdischer und damit praktischer Sicht". Es scheint allerdings, als sei ihm dieser Spagat zwischen kosmischer und praktischer Sicht nicht immer geglückt. Als Beispiel kann die zweiseitige Passage über "Kernenergie und ihr Gefährdungspotential" dienen. Daraus geht hervor, "daß radioaktive Strahlen mit Gefahren für Mensch und Tier verbunden sind". Im Prinzip eine unumstrittene Tatsache. Für den Autor aber Anlaß zu einem unvermittelten pauschalen Verdammungsurteil: "Wer also die Kernenergie weiter unterstützt, kann echt als Verbrecher bezeichnet werden." - Man fragt sich, ob derartige Polemik nicht den Autor selber disqualifiziert statt der aufs Korn genommenen Befürworter der Kernkraft.

Hinkender Vergleich Solarzellen - Wärmekraftwerke

Auf der anderen Seite bleibt unklar, woher der Autor die Gewißheit nimmt, daß sich der gegenwärtige Energie-Mix so schnell und so einfach durch Solarenergie ersetzen lassen werde. Er hat in dieser Hinsicht nur schiefe Vergleiche anzubieten: So verweist er auf experimentelle Solarzellen-Kraftwerke in Kalifornien, die bereits Leistungen von 1 MW bzw. 6,5 MW erbrächten (Hesperia bzw. Carrisa Plains). In Sacramento solle gar eine bestehende Solarzellen-Anlage von 1,2 MW auf 100 MW erweitert werden. Zehn Solarkraftwerke des Sacramento-Typs seien also in der Lage, die Leistung eines mittelgroßen Kernkraftwerks (ca. 1 GW) zu erbringen. - Das klingt eindrucksvoll. Dabei läßt der Autor aber einiges völlig unter den Tisch fallen: Erstens herrschen in Kalifornien optimale Verhältnisse für die photovoltaische oder solarthermische Nutzung der Sonnenenergie, wie man sie sonst selten und bei uns schon gar nicht antrifft; zweitens liegt die tatsächlich Leistungsabgabe der genannten Kraftwerke weit unter ihrer imposanten Nennleistung; und drittens können sie hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit gar nicht mit einem Kernkraftwerk oder einem konventionellen Wärmekraftwerk gleichgesetzt werden. Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen.

Fragwürdige Formulierungen finden sich auch an anderen Stellen des Buches. Das beginnt schon auf der ersten Seite, wo es heißt, daß "Galileo Galilei (1564-1642) und andere den Begriff 'Energie' als naturwissenschaftlichen Terminus einführten". Galilei hat zwar sicher einiges für die Physik und für die Herausbildung des späteren Energie-Begriffs getan. Er hat aber diesen Begriff nicht geprägt, verwendet oder auch nur gekannt. Erst Thomas Young hat 1802 vorgeschlagen, die ursprünglich als spirituelle Kraft gedachte "energeia" des Aristoteles zur Bezeichnung des Arbeitsvermögens von Maschinen zu verwenden. Als Fähigkeit zur Verrichtung physikalischer Arbeit definierte den Begriff erstmals 1829 der Franzose Jean V. Poncelet.

Schlicht falsch ist es, wenn der Autor im Abschnitt über Windenergie schreibt: "Der Umstand, daß Windgeschwindigkeiten nicht konstant sind, hat zur Folge, daß hier keine Wechselstromgeneratoren eingesetzt werden können, die auf konstante Drehzahlwerte angewiesen sind. Es müssen daher Gleichstromgeneratoren in Verbindung mit Wechselrichtern verwendet werden, die den erzeugten Gleichstrom anschließend in Wechselstrom umwandeln." - In Wirklichkeit sind Gleichstromgeneratoren bei Windkonvertern eher die Ausnahme. In der Regel nimmt man Asynchrongeneratoren, die zum Teil sogar direkt ans Netz gekoppelt werden, wobei die Netzfrequenz die Drehzahl vorgibt und die Größe des "Schlupfes" der Leistung entspricht.

Düstere Ausblicke in die Zukunft

Naturgemäß nicht überprüfbar sind die Zukunftsausblicke des Autors. Es klingt aber doch reichlich kühn - mehr schauerlicher Bänkelgesang als fundierte Prognose - wenn er am Ende des kurzen Kapitels "Energieverbrauch und Umwelt" verheerende Umweltkatastrophen prophezeit, welche "die meisten Erdteile unbewohnbar machen" werden. Am Ende blieben lediglich "einige Oasen des Reichtums" übrig, bei denen es sich wahrscheinlich "um isolierte Städte mit autonomer Atmosphäre" handeln werde. Es sei auch denkbar, daß diese Wohlstandsinseln ihre landwirtschaftliche Produktion unter die Erdoberfläche verlegten, indem sie sie notwendige Photosynthese mit Hilfe künstlichen Lichts bewerkstelligen und die dafür erforderliche Energie wiederum mittels Sonnen- oder Fusionsenergie gewinnen.

Der Verfasser wurde 1934 in Griechenland geboren und hat in Athen Elektrotechnik studiert. Er kam Ende der fünfziger Jahre als Diplom-Ingenieur nach Deutschland und hat sich hier als Autor und Verleger populärwissenschaftlicher Bücher selbständig gemacht. Inzwischen haben seine Publikationen, wie sich dem Umschlagtext entnehmen läßt, "die Vier-Dutzend-Grenze bei weitem überschritten". Wer andere Bücher von ihm kennt, wird einiges davon in der vorliegenden Neuerscheinung wiederfinden. Durchgängig verrät der Verfasser ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein. So hat er in seinem "ABC der Sonnenenergie" in aller Bescheidenheit mitgeteilt: "Auszeichnungen und Berufungen ist der Autor bisher prinzipiell aus dem Weg gegangen." In dem neuesten Buch bezeichnet er sich als "Erfolgsautor" und "Systemdenker".

Fazit: Der Verfasser hat sicher ein "Händchen" für die populäre Darstellung wissenschaftlich-technischer Sachverhalte. Man darf aber nicht alles auf die Goldwaage legen, was er schreibt. Vorsicht ist schon bei schlichten Fakten geboten - und erst recht, wenn er sich als "Systemdenker" auf das Gebiet der Gesellschaftskritik begibt.

(PB 8/93/*leu)