PresseBLICK-Rezensionen Energie und Umwelt



Ulrich Steger, Adolf Hüttl (Hg.)

Strom oder Askese? - Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Strom- und Energieversorgung

Frankfurt/Main 1994: Campus Verlag, 268 S., DM 36.-


Der vorliegende Band umfaßt Beiträge eines Workshops, den das "Institut für Umweltmanagement" auf Veranlassung der Firma Siemens durchgeführt hat. Der Titel "Strom oder Askese?" wurde von diesem Workshop übernommen. Er klingt so provozierend, wie er gemeint ist, nämlich als Seitenhieb auf Öko-Fundis, die von heute auf morgen mit einem Solargenerator auf dem Dach auskommen möchten. Dieser Standpunkt wurde natürlich von keinem der Teilnehmer vertreten. Überhaupt: Wer will sich schon das härene Gewand der Askese anziehen? Selbst die Verfechter einer radikalen "Energiewende" pflegen im allgemeinen differenzierter zu argumentieren (siehe die obige Rezension). Insofern ist der Titel "eher als Startpunkt der Diskussion, denn als Hauptthema zu sehen", wie die Herausgeber einräumen.

Adolf Hüttl leitet im Siemens-Konzern den Bereich Energieerzeugung (KWU). Sein Mitherausgeber Ulrich Steger dürfte vielen noch als SPD-Politiker und hessischer Wirtschaftsminister bekannt sein. Er ist heute Professor an der European Business School in Oestrich-Winkel und Geschäftsführer des dort angegliederten "Instituts für Umweltmanagement", das den Workshop durchführte.

Die drohende Erschöpfung der Ressourcen wird inzwischen vom Klima-Problem überlagert

Die beiden Herausgeber verweisen eingangs auf die Verpflichtung zu einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development), die 1992 auf dem Umweltgipfel von Rio beschlossen wurde und am 21. März dieses Jahres als völkerrechtlich bindendes Abkommen in Kraft getreten ist. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, daß die Energie- und Rohstoffprobleme von heute nicht zu Lasten von kommenden Generationen gelöst werden dürfen. Lange Zeit sah man das Hauptproblem in der Endlichkeit der fossilen Energieträger. Heute steht im Vordergrund eher die Befürchtung, daß es bereits vor der Erschöpfung der fossilen Energieträger zu irreparablen Schäden für Klima und Umwelt kommen könnte - nämlich durch das Kohlendioxid, das bei ihrer Nutzung freigesetzt wird.

Wie aber läßt sich "der steinige Pfad zu einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung", von dem Hüttl und Steger in ihrem einleitenden Beitrag sprechen, in der Praxis am besten bewältigen? - Einige ihrer Ratschläge lauten: Die Entkopplung von Wirtschaftsentwicklung und Energieverbrauch sowie der Einsatz umweltverträglicher Energiequellen müssen in den hochentwickelten Industrieländern vorangetrieben werden. So können dann auch die Entwicklungsländer veranlaßt werden, ihren enormen Hunger nach Energie auf weniger umweltschädliche Weise zu stillen. Der Wohlstand wird künftig durch weniger Energie, aber hocheffizienten Technologie-Einsatz bestimmt sein. Der Energieträger-Mix wird "ein breit diversifiziertes Portfolio an Energietechniken" enthalten, aber dennoch von der "Priorität der Energieeffizienz" geprägt sein. Die Kernenergie wird weltweit "nicht verschwinden, aber längst nicht die herausragende Rolle spielen, wie früher erwartet worden war". Die Energiewirtschaft braucht mehr Marktwirtschaft und weniger Regulierung, damit sie flexibler, kundennäher und innovationsfähiger wird.

Vierzig Experten an einem Tisch

Die Teilnehmer des Workshops waren überwiegend ähnlicher Ansicht, doch setzten manche auch andere Akzente. Insgesamt waren vierzig Experten zugegen: Sieben Energiewissenschaftler, sechs Manager aus der Energiewirtschaft, sechs Vertreter aus Regierungskreisen, fünf "Generalisten", vier Journalisten sowie die beiden Herausgeber mit zehn ihrer Mitarbeiter. Der vorliegende Band enthält nur die schriftlichen Referate und Stellungnahmen. Ein weiteres Kapitel faßt die mündliche Diskussion zu diesen Beiträgen zusammen. Zum Schluß wird noch über das Arbeitsergebnis von drei Diskussionsgruppen berichtet, die sich mit der Gestaltung und den Möglichkeiten zukünftiger Energiepolitik befaßten.

Unter den insgesamt 15 Beiträgen haben die der Energiewissenschaftler mit durchschnittlich 26 Seiten den größten Umfang. Sie stammen von Eberhard Jochem (ISI, Karlsruhe), Jørgen S. Nørgård (Lyngby/Dänemark), C. Christian von Weizsäcker (Energiewirtschaftliches Institut, Köln), Robert H. Williams (Princeton/USA) und Hans-Joachim Ziesing (DIW, Berlin). Mit durchschnittlich acht Seiten begnügen sich die Vertreter aus Regierungskreisen: Klaus Flath vom Bundeswirtschaftsministerium, Samuele Fufari von der EU-Kommission, Reinhard Störmer vom saarländischen Wirtschaftsministerium und Srinivas Rajgopal vom indischen Energieministerium. Ebenso knapp fassen sich die Manager aus der Energiewirtschaft: Irene Aegerter vom Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke, Hans-Dieter Harig von PreussenElektra und Eberhard von Perfall von der Ruhrkohle Umwelt GmbH. Schließlich ist noch Klaus Mehrens von der IG Metall mit einem kurzen Beitrag vertreten.

"Mehr Szenario-Denken nötig"

Hans-Joachim Ziesing vom DIW deutet die bisherige Energiekontroverse, wie sie vor allem zwischen Befürwortern und Gegnern der Kernenergie zum Ausdruck kam, als "Kontroverse zwischen einer eher prognosenachvollziehenden und einer szenarioorientierten Sicht". Die Prognostiker verlängerten sozusagen die Gegenwart in die Zukunft, während die Szenario-Anhänger nach der ganzen Bandbreite der künftig möglichen Entwicklungen sowie nach den Chancen zielorienterten Handelns fragten. Letzten Endes verbärgen sich dahinter "unterschiedliche Werthaltungen sowie ein unterschiedliches Markt- und Politikverständnis". Ziesing neigt zu der Ansicht, daß es mehr des Szenario-Denkens bedürfe. Entsprechend hält er es für "wenig hilfreich, wenn die Kernenergiebefürworter schon von Anfang an die Behauptung aufstellen, es ginge in keinem Fall ohne die Kernenergie". Eher skeptisch sieht er auch die Hoffnungen auf einen Ausbau des nuklearen Exportgeschäfts. Der künftige Markt werde vor allem den verbesserten konventionellen Stromerzeugungstechniken gehören, wobei Gas eine besondere Rolle spiele.

"Mehr Energie-Effizienz allein genügt nicht"

Der dänische Energiewissenschaftler Jørgen S. Nørgård will zwar "nicht irgendetwas wie Askese" predigen, hält es aber doch für falsch, allein auf höhere Energie-Effizienz zu setzen. Es nütze nichts, wenn Motoren weniger Benzin verbrauchen, Häuser besser isoliert sind und Kühlschränke sparsamer werden, wenn der Nutzer gleichzeitig mehr fährt, ein größeres Haus bezieht oder einen größeren Kühlschrank anschafft. Die Effizienz müsse deshalb mit Suffizienz (Genügsamkeit) kombiniert werden. Es sei auch lächerlich, "Wachstum nach dem abstrakten Ziel des Bruttosozialprodukts als oberstes und überragendes Ziel aufrecht zu erhalten". Ferner warnt er vor einer Verabsolutierung des freien Marktes, wie sie nach dem Zusammenbruch des östlichen Systems in Mode gekommen sei. Für ihn "gibt es keinen Grund zu glauben, daß der Bedarf einer demokratischen Regulierung der Märkte geringer als in der Vergangenheit sein sollte".

"EVU müssen sich grundlegend umstellen"

Daß eine derartige Regulierung nicht unbedingt auf die Erhaltung bisheriger Monopolstellungen hinauslaufen muß, verdeutlicht der amerikanische Energieexperte Robert H. Williams am Beispiel der USA: Dort seien die EVU schon 1978 durch den "Public Utility Regulatory Policies Act" (PURPA) verpflichtet worden, den Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung und kleinen Stromerzeugungsanlagen zu attraktiven Preisen anzukaufen, die nach dem Schema "avoided costs" ermittelt wurden. Dadurch seien die unabhängigen Stromerzeuger so stark geworden, daß inzwischen der größte Teil der Kraftwerksneubauten auf ihr Konto geht und ein EVU sogar zum Rückzug von der Stromerzeugung gezwungen wurde. Für Williams "ist klar, daß die EVUs sich grundsätzlich werden verändern müssen, wollen sie überleben". In einer Zukunft mit einer nachhaltigen Weltenergieversorgung werden sie "Energiedienstleistungen anstelle von Elektronen verkaufen".

"Eine CO2-Steuer könnte vorteilhaft sein"

Als weiterer Energieexperte skizziert C. Christian von Weizsäcker die mögliche Entwicklung der Weltenergieversorgung aus der Sicht des Weltenergierats sowie das CO2-Problem als eine der potentiell bedeutsamsten Determinanten der künftigen Energieversorgung. Er teilt die zunehmend vertretene Auffassung, daß eine CO2-Energiesteuer bei geeigneter Ausgestaltung gesamtwirtschaftlich durchaus vorteilhaft sein könne. Allerdings müsse man sich darüber im klaren sein, daß der Klimaschutzeffekt eines deutschen Alleingangs "nahezu Null ist".

"Stromerzeugung ein Jedermann-Recht"

PreussenElektra-Chef Hans-Dieter Harig - wegen Verhinderung wurde sein Referat durch einen Mitarbeiter vorgetragen - hält es für überholt, die Stromversorgung als "Institut staatlicher Daseinsfürsorge" zu sehen. Für ihn ist die Stromversorgung "ein Jedermann-Recht und möglichst ein Geschäft wie jedes andere". Da sich die Zukunft nicht vorhersagen lasse, müsse man versuchen, das Optimale aus heutiger Sicht anzustreben. Unstrittig sei, "daß in Zukunft Energie weiterhin und überall effizienter eingesetzt werden muß". Ein höherer Anteil der regenerativen Energieträger am Energie-Mix sei dabei wohl wünschenswert, doch dürfe er nicht - ohne Rücksicht auf Wirtschaftlichkeit - zum Selbstzweck erhoben werden.

Energiehunger kennt keine Rücksichtnahme

Als ernüchternder Zwischenruf der Dritten Welt liest sich der Beitrag aus dem indischen Energieministerium: Srinivas Rajgopal läßt keinen Zweifel daran, daß "energiehungrige Länder" wie Indien, China oder Brasilien sich von den "energiegesättigten" OECD-Staaten nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie ihren Nachholbedarf an Energie decken. Für sie bestehe "die Notwendigkeit einer aggressiven Strategie zur Entwicklung der Energieinfrastruktur". Umweltgesichtspunkte und Menschenrechte würden von den Regierenden als so hinderlich empfunden wie die steigenden Investitionskosten für Energieprojekte. Falls die westlichen Staaten eine nachhaltige Entwicklung in Ländern wie Indien durch Sanktionen erzwingen wollten, werde es "Unruhen wegen der Energieversorgung geben".

Der Pfad zu einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung ist offenbar nicht nur sehr steinig, sondern führt auch an Abgründen vorbei. Um ihn begehbar zu machen, ist noch viel Arbeit zu leisten. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes zeigen, wo Schwierigkeiten liegen und wie Lösungen aussehen könnten. Allerdings darf der Leser keine einfache Lektüre erwarten. Das liegt zum einen an der Materie: Man sollte mit den wichtigsten Aspekten der Energie-Debatte bereits vertraut sein. Das liegt zum anderen aber auch am disparaten Charakter dieses Konvoluts und dem staubtrocken-abstrakten Stil der meisten Referate und Statements. Wer beide Hürden nicht scheut, kann bei der "Nachlese" dieses Workshops manchen Fund machen.

(PB November 1994/*leu)