PresseBLICK-Rezensionen | Stromwirtschaft |
Der in vielen Jahrzehnten gewachsene rechtliche Rahmen der Energieversorgung wird derzeit radikal in Frage gestellt. Auf europäischer Ebene verlangt die EU-Kommission beharrlich eine Öffnung der nationalen Energiemärkte. Auf nationaler Ebene will die Bundesregierung unterdessen nicht untätig bleiben und die geschützten Versorgungsgebiete beseitigen. Die Demarkationsverträge sollen nicht länger vom Kartellverbot ausgenommen werden. Aus den Konzessionsverträgen soll zumindest die Einräumung des exklusiven Wegerechts verschwinden. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt will die Reform des Energiesektors sogar bereits bis Ende dieses Jahres "unter Dach und Fach" haben. Damit dürfte er den Mund ein bißchen voll genommen haben. Aber sicher ist, daß in der Energiepolitik ein zugiger oder auch frischer Wind weht - in der Wertung sind sich die EVU bekanntlich nicht ganz einig.
Für die Autoren des vorliegenden Buches handelt es sich fraglos um einen frischen Wind. Eine Liberalisierung des Energiemarktes ist für sie schon deshalb überfällig und notwendig, um der zunehmenden Internationalisierung der Märkte gerecht werden zu können.
Das Buch beginnt mit einem Blick auf die Geschichte der leitungsgebundenen Energieversorgung in Deutschland. Sachkundig und prägnant legt es dar, wie es zur Sonderrolle der Energiewirtschaft und der Robustheit ihres Ordnungsrahmens kam. Das zweite Kapitel wirft die Frage auf, ob dieser Ordnungsrahmen noch in der Lage ist, einem gesellschaftlichen Umfeld gerecht zu werden, das von der "Weltgesellschaft" und vom "Wissen als neue Leitidee" geprägt werde. Das dritte Kapitel untersucht den Zusammenhang von Energie und Wohlstand unter besonderer Berücksichtigung von Ressourcen, Emissionen, Risiken und Bevölkerungswachstum. Im vierten Kapitel begeben sich die Autoren auf "die Suche nach der besseren Lösung", die sie in einer möglichst weitgehenden Liberalisierung des Energiemarktes sehen. Zum Schluß beleuchten sie die Perspektiven, die sich daraus für die einzelnen Energieversorger ergeben. Dazu gehören der "Wandel vom Versorger zum Unternehmer" und das Bemühen um verstärkte Kundenorientierung.
Die Autoren verschließen sich bei ihrem Plädoyer für die Liberalisierung nicht der Einsicht, daß es auch innerhalb "offener Gesellschaften" Probleme gibt, die sich nicht mit Marktprozessen lösen lassen. Insofern unterscheidet sich ihre Sichtweise, die sich explizit auf Poppers kritischen Rationalismus stützt, von einem platten Neoliberalismus, der in den Gesetzen des Marktes ein schlechthin alleinseligmachendes Patentrezept gefunden zu haben vermeint. Zum Beispiel ist für sie die Frage der Einkommensverteilung bei jeglichem staatlichem Handeln zu beachten. Im Rahmen der Energiepolitik spiele die soziale Frage aber keine sonderliche Rolle, so daß nicht weiter darauf eingegangen werden müsse. Anders verhalte es sich mit der Frage der externen Effekte, weil die Energiewirtschaft nun mal einer der Hauptverursacher der heutigen Umweltprobleme sei. Aber auch hier können sie letztlich keine triftigen Einwände finden, die gegen eine Liberalisierung sprechen.
Ins hoffentlich geneigte Ohr so manches Managers wünscht man sich, was die Autoren über den notwendigen Stil der Zusammenarbeit im Unternehmen schreiben: Aufgrund der sich ständig beschleunigenden Innovationen sei die "Lernfähigkeit zur eigentlichen Existenzfrage geworden". Alle Mitarbeiter bis hinauf zur Chefetage müßten bereit sein, "zu kritisieren und sich kritisieren zu lassen", denn ohne Rückmeldungen gehe der Kontakt zur Realität verloren.
Ein Buch mit intelligenten Argumenten, die manchen Widerspruch herausfordern werden, aber zumindest die Auseinandersetzung lohnen.
(PB 5/95/*leu)