PresseBLICK-Rezensionen Stromwirtschaft



Zander, Riedel, Held, Ritzau, Tomerius

Strombeschaffung im liberalisierten Energiemarkt - Leitfaden für die gewerbliche Wirtschaft

292 S., DM 69.-, Fachverlag Deutscher Wirtschaftsdienst, Köln 2000, ISBN 3-87156-222-X


Als der Verlag dieses Buch annoncierte, sollte es einen Umfang von ca. 200 Seiten haben. Das war Ende vorigen Jahres. Nun liegt es mit monatelanger Verzögerung endlich auf dem Tisch und hat einen Umfang von fast 300 Seiten. Der Grund für die Verzögerung und das Anschwellen der Seitenzahl ist die neue Verbändevereinbarung, deren Abschluss die Autoren vernünftigerweise abgewartet haben. Schließlich wäre weder dem Leser noch dem Verlag mit einem Buch gedient, das die Strombeschaffung im liberalisierten Energiemarkt aufgrund überholter Voraussetzungen beschreibt.

Das Warten hat sich gelohnt. Es dürfte momentan kein anderes Werk geben, das die neuen Bedingungen des liberalisierten Strommarktes derart umfassend, sachkundig und zugleich verständlich darlegt.

Die Sachkunde der Autoren, denen neun weitere Mitarbeiter zur Seite standen, kommt nicht von ungefähr. Sie sind durchweg auch sonst in dem Bereich engagiert, den sie hier beschreiben. Zum Teil haben sie sogar aktiv am energiepolitischen Geschehen mitgewirkt.

Das beginnt schon mit Kurt Markert, der das Vorwort verfasste und bis Juni 1998 die Abteilung Energiewirtschaft im Bundeskartellamt geleitet hat. Mit Freude stellt der Pensionär nun fest, dass seine anfängliche Skepsis hinsichtlich der praktischen Auswirkungen des neuen Energierechts unberechtigt war: Wie viele andere habe er angenommen, dass es zunächst nur zu einem "Randwettbewerb" weniger Außenseiter kommen werde. Stattdessen habe der Wettbewerb eine "teilweise geradezu dramatische Dynamik" entwickelt. Dies zeige etwa der Haushaltskundenbereich, wo es bereits im zweiten Halbjahr 1999 zu zahlreichen Lieferverträgen kam, obwohl die Konditionen der Durchleitung für Kleinkunden oder der ersatzweisen Strombeistellung noch gar nicht geklärt waren (dass der Pensionär Markert selbst zu diesem Durchbruch beigetragen hat, indem er schon Anfang 1999 als erster Berliner Tarifkunde den Wechsel zu einem anderen Anbieter durchsetzte, verschweigt er bescheidenerweise).

Die Ingenieure Wolfgang Zander und Michael Ritzau sind Geschäftsführer des Ingenieurbüros BET in Aachen und Leipzig, das Unternehmen, Verbände und Politiker in energiewirtschaftlichen Fragen berät. Beispielsweise hat BET am Entwurf einer Netzzugangsverordnung mitgewirkt, den einige Bundesländer über den Bundesrat in das neue Energiewirtschaftsgesetz einzubringen versucht haben. Erst vor kurzem erhielt das Expertenbüro zusammen mit einer anderen Institution vom Bundeswirtschaftsministerium den Auftrag, die Neufassung der Verbändevereinbarung zu begutachten.

Aus einem Stall alter Hasen kommen auch die Rechtsanwälte Christian Held, Martin Riedel und Carolyn Tomerius. Sie gehören zur Anwaltssozietät Becker-Büttner-Held, welche die Klage der ostdeutschen Kommunen vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat und die Revidierung des 1990 geschlossenen Stromvertrags erreichte. Eine weitere Trophäe, mit der sich das Anwaltsbüro schmücken kann, ist das Urteil des Landgerichts Mannheim im Fall Waldshut-Tiengen, mit dem vor einem Jahr die Bindungswirkung alter Lieferverträge aufgebrochen und so zahlreichen Stadtwerken der vorzeitige Lieferantenwechsel ermöglicht wurde.

Plädoyer für Regulierungsbehörde

Bei so viel Engagiertheit der Verfasser nimmt es nicht wunder, dass sie auch ein bisschen die Trommel in eigener Sache rühren: Wiederholt beklagen sie den ihrer Ansicht nach noch immer unzureichenden Stand der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland. Anstelle des verhandelten Netzzugangs, wie er derzeit mit der Verbändevereinbarung praktiziert wird, halten sie eine Regulierungsbehörde für erforderlich. Anstelle der derzeit acht Regelgebiete in Deutschland sähen sie lieber einen einzigen unabhängigen Systemoperator, der nicht nur für die Frequenz-Leistungsregelung zuständig ist, sondern auch das Engpassmanagement, den Ausgleich von Fahrplanschwankungen und die Abrechnung mit den Beteiligten übernimmt. Die Verbändevereinbarung könne nur bedingt eine Regulierung ersetzen. An der neuen Regelung missfällt ihnen vor allem die Einteilung Deutschlands in zwei Handelszonen, bei deren Überschreitung ein Transitentgelt fällig wird. Dieses Transitentgelt sei sachlich so fragwürdig wie die Entfernungskomponente der ersten Verbändevereinbarung, die ebenfalls unabhängig von der tatsächlichen Netzbelastung erhoben wurde.

In solchen Punkten wird sicher nicht jeder folgen wollen. Man kann eben verschiedener Meinung sein, wie ein liberalisierter Strommarkt auszusehen hat. In Deutschland stehen derzeit nur der verhandelte Netzzugang als Regelfall sowie auf besonderen Wunsch das Alleinkäufermodell zur Wahl. Das Prozedere des Netzzugangs und die grundsätzliche Berechnungsweise des dafür fälligen Entgelts regeln die Verbände der Stromwirtschaft auf freiwilliger Grundlage. Aber es kann nicht schaden, auch mal alternative Lösungen zu betrachten, zumal in anderen Ländern die Regulierungbehörde der Normalfall ist und auch das Energiewirtschaftsgesetz ersatzweise eine behördliche Regelung des Netzzugangs vorsieht.

Keinen Dissens dürfte es jedoch dort geben, wo die Autoren sich auf die Darlegung der technisch-wirtschaftlichen Sachverhalte beschränken, wie sie aus der Liberalisierung des Strommarktes resultieren. Auf diesem Gebiet ist ihr Buch eine wertvolle Hilfe für jeden, der sich in den großen Zügen wie im Detail mit den neuen Gegebenheiten vertraut machen will. Es kann nicht nur als "Leitfaden für die gewerbliche Wirtschaft" dienen, wie der Untertitel lautet, sondern auch vielen Beschäftigten der Stromwirtschaft die notwendigen Kenntnisse vermitteln. Denn sicher reicht es nicht aus, wenn bloß die Kollegen von der Stromhandelsabteilung oder sonstige Spezialisten über die Probleme des liberalisierten Strommarktes oder des Netzzugangs Bescheid wissen.

Die Autoren beschreiben zunächst auf sechzig Seiten die grundsätzliche "Funktionsweise eines voll entwickelten Strommarktes". Sie behandeln hier das technisch-wirtschaftliche Prozedere des Netzzugangs, die verschiedenen Varianten des Produkts Strom und die ganze Palette der Marktteilnehmer. Beispielsweise erläutern sie den Unterschied zwischen Vollversorgung, Band- und Programmlieferungen, Zusatzversorgung und Reservelieferungen. Recht anschaulich dargestellt werden auch Börsen-Begriffe wie Terminmarkt und Spotmarkt, einschließlich solcher Spezifikationen wie Forwards, Futures, Swaps, Optionen, Caps und Floors.

Es folgt auf rund fünfzig Seiten die Beschreibung der konkreten "rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen", wie sie sich für den deutschen Strommarkt aus den EU-Richtlinien und dem darauf basierenden neuen Energierecht ergeben. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die alte und die neue Verbändevereinbarung, die ausführlich dargelegt und miteinander verglichen werden. Nicht vergessen sind auch der GridCode, der Distribution Code und der Metering Code, welche die Verbändevereinbarung um netztechnische Standards ergänzen.

Ein dritter großer Abschnitt des Buches behandelt auf rund sechzig Seiten die "Handlungsmöglichkeiten für die gewerbliche Wirtschaft". Hier wird aus der Sicht des gewerblichen Kunden aufgezeigt, was bei der Strombeschaffung im liberalisierten Markt zu beachten ist: Wie etwa Lieferverträge zu gestalten sind, was der Netznutzungsvertrag regelt oder welche Möglichkeiten die Eigenerzeugung bietet.

Der Gebrauchswert des Buches erhöht sich noch durch den umfangreichen Anhang, der das neue Energiewirtschaftsgesetz sowie die beiden bisherigen Verbändevereinbarungen zur Netznutzung dokumentiert. Ferner findet man hier neben dem Stichwortverzeichnis ein ebenfalls hilfreiches Glossar von A wie Abrechnungsperiode bis Z wie Zusatzversorgung.

(PB März 2000/*leu)