Psychologie

 

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Hitler als Seelen-Heiler

Der braune Massenwahn duldete keine neurotischen "Unpäßlichkeitsschwächlinge"

"Der Nationalsozialismus als Überwinder des Zeitalters der Neurose" war ein Aufsatz aus dem Jahre 1934 überschrieben, in dem sich ein gewisser J. Hobohm darüber ausließ, wie "das bisher innerlich kranke deutsche Volk" am Nationalsozialismus genesen werde: "Nach einem groß angelegten psychotherapeutischen Heilplan wird vorgegangen. Die Auseinandersetzungen Adolf Hitlers, des Meisters der Suggestion, über die Suggestivkraft der Propaganda (siehe 'Mein Kampf'), die Tätigkeit des Propaganda-Ministeriums, der täglich mit Händen zu greifende Einfluß der Presse, der Redner, der festlichen, sinnvollen Veranstaltungen etc. lassen die Planmäßigkeit erkennen, mit der dem Volke die Wahrheit eingehämmert wird. Die angewandte therapeutische Methode ist die der Suggestion." (1)

Der Begründer des "autogenen Trainings", J. H. Schultz, fühlte sich und sein therapeutisches Konzept ebenfalls in bemerkenswerter Übereinstimmung mit den faschistischen Zielen, als er 1937 schrieb: "Die große Mehrheit aller Lebensleistungen kann mit gutem Erfolge nicht nur aus dem klar bewußten Wollen geschehen; das eigentlich Schöpferische im Menschen, das Unbewußte, muß mitschwingen, wenn etwas Gutes entstehen soll." Sein Fazit: "Psychotherapie und Leistungssteigerung stehen somit in naher Beziehung, und es ist zu hoffen, daß in unserem erlösten neuen Deutschland die Sorge um Blut und Leben deutscher Jugend auch hier zu fruchtbarer gemeinsamer Aufbauarbeit führen mögen!"(2)

Diese und andere Beispiele belegen, daß der Nationalsozialismus den spekulativ-ideologischen Richtungen der Psychologie keineswegs so feindselig gegenüberstand, wie aus seiner bekannten Ablehnung der "jüdischen Psychoanalyse" in der Regel geschlossen wird. Vielmehr bildeten die Prinzipien des Psychologismus - vom Primat des "Geistes" über eine voluntaristische Lebenshaltung bis zum Gemunkel vom "Unbewußten" - auch und gerade die Grundlagen der nationalsozialistischen Ideologie. Die Polemik der NS-Propaganda gegen neurotische "Unpäßlichkeitsschwächlinge"(3) oder die Parole "Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens - für den Adel der menschlichen Seele" (8), mit der die Schriften Sigmund Freuds dem Feuer übergeben wurden, hatten einen anderen Grund. Sie entsprangen nicht einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit, sondern vielmehr gerade der Wesensverwandtschaft und damit verbundenen Rivalität des Faschismus als kollektiver Neurose mit Erscheinungsformen des individuellen Neurotizismus.

Hier liegt auch der Hauptgrund - noch vor der jüdischen Abstammung Freuds und der meisten seiner Schüler - für die Verdammung des "jüdischen Machwerks der Psychoanalyse" als "schamloser seelischer Nacktkultur". Als Ausgeburt der "liberalistischen" Epoche mußte die Psychoanalyse unweigerlich solcher Verurteilung anheimfallen. Im Unterschied zur "Analytischen Psychologie" des Freud-Schülers Carl Gustav Jung, dessen mythologisierende Lehre von den "Archetypen" und dem "kollektiven Unbewußten" sich recht gut mit der nazistischen Ideologie vereinbaren ließ, huldigte die orthodoxe Psychoanalyse einem ausgesprochen individualistischen Menschenbild mit liberalen Residuen. Sie war deshalb ideologisches Sperrgut, das sich nicht ohne weiteres im Marschgepäck des Faschismus unterbringen ließ.

Offiziell wurde der Psychoanalyse freilich nicht ihr Individualismus, sondern ihre Betonung der individuellen Sexualität vorgeworfen. In einem Traktat aus dem Jahr 1933 polemisierte ein gewisser M. Staemmler:

"Daß manche körperliche Leiden und Störungen auf seelische Unstimmigkeiten zurückzuführen sind, von denen der Kranke meist keine Vorstellung hat, daß Vorgänge im Unterbewußtsein ihren verderblichen Einfluß auf die Funktion der Körperorgane auszuüben imstande sind; daß diese Komplexe erkannt werden müssen, daß man bemüht sein muß, sie zu beseitigen, das ist alles durchaus anzuerkennen. Daß aber alle diese Störungen im Unterbewußtsein sexueller Art sind, daß alles und jedes in die Sphäre des Geschlechtlichen ausmünden oder von ihr ausgehen muß, das ist etwas, was dem Deutschen fremd ist und was ihn auf den Weg führt, der für ihn keine Heilung von Leiden bedeutet. Und wenn man dann weiter geht und jede geistige Regung, jede Ungezogenheit des Kindes in die sexuelle Sphäre hineinzieht, [. . .] so müssen wir den Mut haben, uns für diese Deutungen der deutschen Seele zu bedanken und den Herren um Freud zu sagen, sie sollen ihre psychologischen Experimente an einem Menschenmaterial machen, das rassenmäßig zu ihnen gehört." (4)

Allgemein war es Ziel des Nationalsozialismus, die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft bei einem Mindestmaß an materiellem und geistigem Aufwand zu gewährleisten. Deshalb ging die Demagogie der "Leistungsgemeinschaft"(5) mit dem Abbau sozialer Leistungen und Rechte einher. In der Medizin wurden "deutsche Heilkräuter" anstelle teurer Medikamente und vegetarische Ernährung anstelle des immer knapper werdenden Fleisches propagiert (6). Auf Neurosen und Psychotherapie wollte sich der Faschismus schon gar nicht einlassen. Er war schließlich angetreten, um alles "Schwächliche" auszumerzen. Wer in dieser massenneurotischen "Leistungsgemeinschaft" längere Zeit außer Tritt geriet - politisch, sozial oder gesundheitlich -, verfiel der Ächtung und Vernichtung. "Neurotiker und Psychopathen" - soweit sie "infolge dieses Mangels gemeinschaftsfeindlich, gemeinschaftsstörend oder auch nur gemeinschaftsgleichgültig" erschienen - wurden der Polizei, der SS und den Konzentrationslagern überantwortet. Das braune Heer aus Psychopathen und Neurotikern war sogar fest entschlossen, den Begriff der Neurose auszumerzen: Nazi-Mediziner waren "selbstverständlich der Meinung, daß das Wort 'Neurose' nicht nur für die Kriegsdauer und aus der Wehrmedizin ausgerottet werden muß, sondern aus der Medizin überhaupt; denn es ist nun einmal ein Deckmantel für unscharfes Denken, vor allen Dingen hat es den großen Nachteil, daß es den psychologisch und psychiatrisch nicht genügend Geschulten allzu leicht verleitet, eine Krankheit da anzunehmen, wo in der erdrückenden Mehrheit der Fälle keine vorliegt".

Dennoch auftauchende neurotische und psychopathische Reaktionen - wie sie besonders unter Soldaten als Folge der Kriegserlebnisse zu erwarten waren - sollten "restlos aufgefangen und in ein sicheres Kanalsystem geleitet werden, welches zwar genügend Schleusen zum Durch laß in die Bewährung des normalen Lebens hat, im übrigen aber ausnahmslos in einen großen See mündet, der alles für die Gemeinschaft dauernd Unbrauchbare gleichsam als Schlammfang endgültig zurückbehält und bewahrt" (7).

Mit diesem "Schlammfang" waren die Konzentrationslager gemeint.