Psychologie |
Ein moderner Mythos |
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Aus der nüchternen Sicht des Naturwissenschaftlers hat Max Planck 1946 den ganzen Mythos vom "Unbewußten", auf den sich die Psychoanalyse und eine Unzahl abgeleiteter Psychologismen berufen, in wenigen Sätzen zerpflückt und als Scheinproblem charakterisiert:
"Zwar spielen sich sicherlich viele Vorgänge, vielleicht sogar die ausschlaggebenden, in unserem Unterbewußtsein ab. Aber diese sind einer wissenschaftlichen Behandlung nicht fähig. Denn eine Wissenschaft des Unbewußten oder Unterbewußten gibt es nicht. Sie wäre eine contradictio in adjecto, ein Widerspruch in sich. Was unterbewußt ist, weiß man nicht. Daher sind alle Probleme, die sich auf das Unterbewußtsein beziehen, Scheinprobleme."(1)
Dennoch gilt Freud bis heute als der "Entdecker des Unbewußten". An dieser Phrase, die in unzähligen Feuilletons nachgeplappert wurde, ist gleich zweierlei fragwürdig: Zum einen gibt es nicht den geringsten Beweis für die Existenz eines solchen Unbewußten, wie es die Psychoanalyse unterstellt. Der Begriff ist nicht wissenschaftlich fundiert, sondern eine Phantasmagorie. Zum anderen kann Freud nicht einmal als Urheber dieser Phantasmagorie gelten, denn sie war zu seiner Zeit längst entdeckt worden: Zuerst von den Romantikern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann von den Neukantianern und der Fin-de-siècle-Philosophie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Schon der Spätromantiker Carl Gustav Carus
(1789 - 1869) entwarf ein Modell der Seele, das um den Begriff
des "Unbewußten" aufgebaut war.
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So veröffentlichte der Arzt und Schriftsteller Carl Gustav Carus 1846 ein Buch mit dem Titel "Psyche - Zur Entwicklungsgeschichte der Seele". Er entwarf darin ein Modell der Seele, das um den romantischen Begriff des "Unbewußten" aufgebaut war und diesem in der späteren psychologisch-philosophischen Literatur einen festen Platz sichern half.
Carus knüpfte an die jedermann geläufige Tatsache an, daß von der Gesamtheit der Fakten und Zusammenhänge, die im Bewußtsein gespeichert sind, nur ein ganz winziger Teil jeweils präsent sein kann. Er verglich deshalb das Leben der Seele "mit einem unablässig fortkreisenden großen Strome, welcher nur an einer einzigen kleinen Stelle vom Sonnenlicht - d.i. eben vom Bewußtsein - erleuchtet ist". Oder er stellte fest, "daß fortwährend der bei weitem größte Teil des Reiches unseres Seelenlebens im Unbewußten ruht". Carus gab diesem Unbewußten jedoch eine spiritualistische Deutung: "Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewußten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewußtseins", behauptete er schon im ersten Satz seines Buches. Damit stellte er den begrifflichen Inhalt des Bewußtseins auf den Kopf. Sein "Unbewußtes" war nicht ursprünglich Bewußtes, das dann der Abspeicherung im Gedächtnis, dem verallgemeinernden Denkprozeß oder der Vergessenheit anheimfiel, sondern es war der ursprüngliche Kern, von dem sich der präsente oder aktivierbare Bewußtseinsinhalt abgespalten hat. Dieses "Unbewußte" ist laut Carus göttlicher Natur. Es tritt, solange sich der Mensch noch in eiförmigem oder embryonalen Zustand befindet, nur als "absolut Unbewußtes" auf, das sich wiederum in ein "allgemeines Unbewußtes" und in ein "partielles Unbewußtes" gliedert. Letzteres steuere die vegetativen Funktionen des Nervensystems wie Wachstum, Atmung und Stoffwechsel. Mit der Geburt des "eigentlichen Menschen" spalte sich dann von diesem absoluten Unbewußten das "relative Unbewußte" ab. Dieses umfasse solche Bestandteile des Unbewußten, die bereits einmal zu Bewußtsein gelangt seien. Im Schlaf sieht Carus "das Wiedereinkehren in den Zustand des Unbewußtseins". Das Bewußtsein selbst kehre immer wieder periodisch in den Zustand des "relativen Unbewußten" zurück. (2)
Schon bei Carus zeigt sich somit die für die psychoanalytische Literatur typische Vermengung von empirischen Befunden mit idealistisch-spiritualistischen Spekulationen. Läßt man die göttliche Fundierung seines "Unbewußten" beiseite, hat man im Prinzip nichts anderes als das Seelen-Modell der späteren Psychoanalyse.
Der Modephilosoph Eduard von Hartmann
veröffentlichte 1869 eine voluminöse "Philosophie des
Unbewußten".
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1869 erschien Eduard von Hartmanns "Philosophie des Unbewußten", ein psychologisierendes Werk der Modephilosophie, das sich weniger durch philosophischen Gehalt als durch beträchtlichen Papieraufwand auszeichnete. Hartmann bekannte sich darin zu einer teleologischen Betrachtungsweise, der er wieder zur Geltung verhelfen wollte. Die Annahme eines "Unbewußten" diente ihm dazu, sämtlichen Vorgängen in der Natur einen metaphysischen, vorherbestimmten Zweck zu unterstellen. Der allwissende und allgegenwärtige Exekutor dieses Zweckes sei das "Unbewußte", das mit seiner "Allweisheit" den gesamten Weltprozeß leite. Die Befriedigung des Geschlechtstriebs dient demnach "unbewußt" dem Zweck der Zeugung; wenn Knaben mit Gewehren und Mädchen mit Puppen spielten, so täten sie dies ebenfalls unbewußt bzw. aufgrund eines "vorahnenden Instinkts". Als höchstes Ziel des Weltprozesses bezeichnete Hartmann die immer stärkere Entwicklung des Bewußtseins, die ihrerseits nichtsdestoweniger von der Allweisheit des Unbewußten geleitet werde. Dem Bewußtsein selbst bereite der kulturelle Fortschritt nur Pein. Es werde - wie Hartmann sich ausdrückte - mit Schmerzen geboren, friste mit Schmerzen sein Dasein und erkaufe mit Schmerzen seine Steigerung. - Die Parallelen zu Freuds späterer "Sublimierungs"-Theorie liegen auf der Hand. (3)
Auch für Nietzsche war das "Unbewußte" eine geläufige Vorstellung. Mit seiner Unterscheidung von "dionysisch" und "apollinisch", die der Romantik entlehnt war, nahm er den psychoanalytischen Dualismus vom "Es" und dem "Ich" kongenial vorweg. Den Begriff des "Es" will Freud sogar direkt "in Anlehnung an den Sprachgebrauch bei Nietzsche" übernommen haben (4)
Schon 1873 - Freud war damals 17 Jahre alt - schrieb Nietzsche sozusagen das Vorwort zur Psychoanalyse:
"Was weiß der Mensch eigentlich von sich selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt wie in einem erleuchteten Kasten, zu perzipieren? Verschweigt die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluß der Blutströme, den verwickelten Fasererzitterungen, in ein stolzes, gauklerisches Bewußtsein zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewußtseinszimmer heraus und hinab zu sehen vermöchte . . .". (5)
Vorspanndienste für die Psychoanalyse: Bei
Friedrich Nietzsche (rechts) hat Freud angeblich den Begriff
des "Es" gefunden. Die kapriziöse Dame, die auf diesem Foto
aus dem Jahre 1882 die Peitsche über Nietzsche und dessen
Freund Paul Ree schwingt, ist Lou Andreas-Salomé. Sie gehörte
später zu den Jüngerinnen Freuds.
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Der im Fin de siècle hereinbrechende Psychologimus war Bestandteil einer neu-idealistischen Wende. Er war eine Reaktion auf die Defizite des alten Vulgärmaterialismus und dessen Unvermögen, den "ungeheuren Andrang neuen Stoffs" (Lamprecht) geistig zu bewältigen. Das rationale, materialistische Denken wurde nun ins Ghetto der Wissenschaften, vor allem der Naturwissenschaften, verbannt. Friedrich Engels beschrieb die eigenartige ideologische Melange des Fin de sicle im Jahre 1875 mit folgenden Worten:
"Im Publikum grassierten seitdem einerseits die auf den Philister zugeschnittenen flachen Reflexionen Schopenhauers und später sogar Hartmanns, andrerseits der vulgäre Reiseprediger-Materialismus eines Vogt und Büchner. Auf den Universitäten machten sich die verschiedensten Sorten von Eklektizismus Konkurrenz, die nur darin übereinstimmten, daß sie aus lauter Abfällen vergangner Philosophien zusammengestutzt und alle gleich metaphysisch waren. Von den Resten der klassischen Philosophie rettete sich nur ein gewisser Neukantianismus, dessen letztes Wort das ewig unerkennbare Ding an sich war, also das Stück Kant, das am wenigsten verdiente, aufbewahrt zu werden. Das Endresultat war die jetzt herrschende Zerfahrenheit und Verworrenheit des theoretischen Denkens." (6)
Die wesentlichen Strömungen dieser ideologischen Melange benennt auch eine Kulturkritik aus der Feder des Arztes und Schriftstellers Max Nordau, der in den achtziger und neunziger Jahren zu den bekanntesten Publikumsautoren Deutschlands gehörte. Nordau vertrat ideologisch die Position des Vulgärmaterialismus. Von dieser Warte aus urteilte er bereits in seinem ersten Erfolgsbuch "Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit" aus dem Jahre 1883:
"In der Philosophie ist die Modeströmung der Pessimismus. Schopenhauer ist Gott und Hartmann sein Prophet. Der Positivismus August Comtes macht als Doktrin keine Fortschritte und breitet sich als Sekte nicht aus, weil selbst seine Anhänger eingesehen haben, daß seine Methode zu eng und sein Ziel nicht hoch genug ist. Die französischen Philosophen studieren fast nur noch die Psychologie oder genauer Psycho-Physiologie." (7)
Dies war der geistige Hintergrund, vor dem Freud seine angeblich wissenschaftliche Methode zur Seelen-Erforschung und Heilung von seelisch bedingten Leiden entwickelte. Freud war ideologisch naiv. Er verfügte über keine nennenswerten Kenntnisse der Geistesgeschichte. Ohnehin war ihm Philosophie ein Greuel. So blieben ihm auch die erkenntnistheoretischen Probleme der Psychologie fremd. Zum Teil übernahm er einfach die Borniertheit des Positivismus, der sich um die Jahrhundertwende ausbreitete. Freuds Wissenschaftsverständnis wurzelte aber noch mehr in der Beschränktheit der älteren vulgärmaterialistischen Betrachtungsweise, der er einen gewissen liberal-aufklärerischen Impetus verdankte.
So wurde Freud ein argloses Opfer der zeitgenössischen Ideologie. Die Psychoanalyse ist im wesentlichen und in vexierbildhafter Form nichts anderes als der Neu-Kantianismus und die Lebensphilosophie der Jahrhundertwende. An Freuds Theorien bewahrheitete sich in voller Schärfe, was der ungleich gewitztere Wilhelm Wundt über die "Vertreibung der Philosophie" aus den Wissenschaften prophezeit hatte: "Wer sie los zu sein glaubt, findet sich erst recht von ihren Netzen umsponnen." (8)