Udo Leuschner / Geschichte der FDP (52)

16. Bundestag 2005 - 2009


Lockerungsübungen

Westerwelle nimmt auch Kontakt zu SPD und Grünen auf, hofft aber vergebens auf ein vorzeitiges Ende der Großen Koalition

In seiner doppelten Eigenschaft als Partei- und Fraktionsvorsitzender konnte Westerwelle die FDP nun schneller auf den politischen Kurs bringen, der ihm in der jeweiligen Situation passend erschien. Der Beharrlichkeit, mit der er nach den Wahlen die Avancen der SPD abgelehnt und als "Stalking" verspottet hatte, folgte eine neue Wendigkeit. Die klare Entscheidung für die Oppositionsrolle war nicht als unverbrüchliches Verlöbnis mit der Union gedacht. Vor allem deshalb, weil kaum jemand glaubte, daß die Große Koalition tatsächlich vier Jahre Bestand haben würde. Westerwelle selbst rechnete mit einem Bruch der Großen Koalition "nicht in diesem Jahr, aber vielleicht schon 2007", wie er im Juli 2006 verlauten ließ. Um attraktiv zu bleiben und nicht plötzlich als politisches Mauerblümchen dazustehen, mußte die FDP mit anderen politischen Partnern zumindest kokettieren.

Westerwelle behielt sich aber vor, Zeitpunkt und Art dieses Kokettierens selbst zu bestimmen. Als im Dezember 2005 der schleswig-holsteinische Fraktionschef Kubicki vorsichtig anregte, die Distanz zu den Grünen zu verringern, wurde er unwirsch zurückgepfiffen: Es sei "nicht sinnvoll, die Grünen mit einer neuen Machtperspektive aus ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit herauszuführen", hieß es in einem Strategiepapier, das Westerwelle dem Parteivorstand vorlegte und von diesem einstimmig absegnen ließ.

Offen für "Jamaika" oder "Ampel"

Ein halbes Jahr später war es Westerwelle selber, der den Grünen Avancen machte: In einem Interview in der "Spiegel"-Ausgabe vom 31. Juli 2006 wollte er im Falle eines Scheiterns der Großen Koalition weder eine "Jamaika"- noch eine "Ampel"-Koalition ausschließen. Größere Chancen auf Übereinstimmung räumte er aber einen schwarz-gelb-grünen Bündnis ein. Schon nach den Bundestagswahlen hätten er und Angela Merkel ein solches Bündnis "ernsthaft sondiert". Es sei nur deshalb nicht zu Verhandlungen gekommen, weil die Grünen und die CSU ihrer Anhängerschaft einen solchen "Kultursprung" nicht hätten zumuten wollen.

Bei den Grünen erhoben sich ebenfalls Stimmen für eine Dreier-Koalition mit der FDP. Den Anfang machte Joschka Fischer, als er am 27. Juni 2006 in seiner Abschiedsrede vor der Bundestagsfrakion den Parteifreunden die Öffnung für eine solche Koalition nahelegte. Aus seiner Sicht hatte die Neuorientierung nichts mit neu entdeckter politischer Sympathie zu tun, sondern ergab sich zwingend aus der neuen Konstellation eines Fünf-Parteien-Systems: "Ich bin froh, daß das an mir vorübergeht", sagte der scheidende Parteimatador, der sich bisher nur verächtlich über die Westerwelle-Partei geäußert hatte. Die FDP griff den Ball bereitwillig auf und ließ verlauten, daß der Abgang Fischers das Klima für Gespräche mit den Grünen verbessert habe.

"Was Fischer gesagt hat, ist eine einfache Wahrheit" ließ sich die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt in der "Frankfurter Allgemeinen" vom 15. Juli vernehmen. Die Ablösung der großen Koalition gehe nur mit den Grünen und einer weiteren Partei. Eine schwarz-gelb-grünes Bündnis eröffne ihrer Partei die attraktive Möglichkeit, die Rolle des "sozialen Gewissens" einnehmen zu können.

Westerwelle und Künast posieren auf einem "Verlobungssofa"

Die Fraktionsvorsitzende Renate Künast zierte sich zunächst noch etwas: "Das artet ja langsam zu einer Schmuserei mit den Liberalen aus", meinte sie in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" vom 8. Juli 2006. Dann setzte sie sich aber für dieselbe Zeitung gemeinsam mit Westerwelle auf ein zweisitziges "Verlobungssofa" und füllte in der Ausgabe vom 26. August eine ganze Seite mit Überlegungen zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten beider Parteien. "Vor Jahresfrist wäre so ein Bild nur schwer vorstellbar gewesen", hieß es im Text dazu.

Dann hörte man nicht mehr viel von dem neuen Techtelmechtel. Anscheinend bangte der Führung der Grünen vor dem Unmut der Mitglieder und einer weiteren Verschlechterung der Wahlergebnisse, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck einer Orientierung auf "Jamaika" entstehen sollte. Die FDP und besonders Westerwelle lösten bei vielen Grünen noch immer allergische Reaktionen aus. Wenn sie schon bereit waren, einen solchen Kotzbrocken zu schlucken, dann am ehesten in einem Bündnis mit der SPD.

Während es um die "Schmuserei" mit den Grünen wieder still wurde, dehnte Westerwelle seine politischen Lockerungsübungen auf die SPD aus, deren Annäherungsversuche er in der Wahlnacht so entschieden zurückgewiesen hatte. Eine gute Begründung bot dafür der Wechsel an der Spitze der der SPD: Neuer Parteivorsitzender war seit Mai 2006 der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der in Mainz seit 1994 zusammen mit der FDP regierte. Seit den Landtagswahlen im März, bei denen die SPD die absolute Mehrheit errang, benötigte er die FDP nicht mehr. Dennoch hatte er ihr eine weitere Zusammenarbeit auf informeller Ebene angeboten und sich artig von dem langjährigen Koalitionspartner verabschiedet, als dieser es vorzog, lieber in die Opposition zu gehen.

Lambsdorff findet lobende Worte für die sozialliberale Koalition

Die ersten Avancen in Richtung SPD kamen ausgerechnet von Otto Graf Lambsdorff, der 1982 die treibende Kraft bei der Destruktion der sozialliberalen Koalition gewesen war. In einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" vom 22. September verklärte er das damalige Bündnis: "Wir haben in früheren Zeiten erlebt, daß wir in einer Koalition mit den Sozialdemokraten gut zusammenarbeiten konnten. Da haben wir uns jedenfalls besser zusammengerauft und bessere Koalitionsverträge zustande gebracht, als es Union und SPD uns mit der großen Koalition vormachen." Ein erneutes Zusammengehen mit der SPD sei deshalb grundsätzlich möglich: "Sozialliberal, das kann gehen. Eine Garantie gibt es nicht. Man muß aber offen dafür sein."

Als weiterer Minenhund für Westerwelle fungierte Rainer Brüderle, der stellvertretende Parteivorsitzende und Chef der rheinland-pfälzischen FDP, der in Mainz 15 Jahre lang mit der SPD koaliert hatte und dem deshalb ein Vorpreschen in dieser Richtung kaum schaden konnte. Im Interview mit dem "Spiegel" vom 25. September 2006 stellte Brüderle zunächst klar, daß die Koalitionsaussage zugunsten der Union nur für die zurückliegende Wahl gegolten habe. Ferner kündigte er einen Gedankenaustausch mit Vertretern der SPD an. Die Initiative zu diesem Treffen sei von jüngeren Abgeordneten ausgegangen. Wörtlich sagte er: "Die Große Koalition kann es nicht, wir brauchen eine andere Konstellation. Deshalb müssen wir jetzt ausloten, was geht."

Die SPD konnte allerdings kein Interesse daran haben, ihre Zuverlässigkeit als Koalitionspartner der Union durch solche Annährungsversuche in Frage gestellt zu sehen. Alle Spekulationen über eine andere Koalition bis zur Bundestagswahl 2009 seien überflüssig, beschied SPD-Generalsekretär Hubertus Heil anfragende Journalisten. Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Hermann Otto Solms, beruhigte die eigenen Reihen mit der Erklärung, daß er momentan keine Basis für derartige Gespräche sehe und es sich demzufolge nur um Sandkastenspiele handeln könne.

Beck lobt seinerseits die FDP und deren "Freiburger Programm"

Trotzdem war das Signal bei der SPD angekommen. Vier Wochen später bekundete der Parteivorsitzende Kurt Beck in der "Zeit" vom 26. Oktober ebenfalls seine Sympathien für die sozialliberale Koalition seligen Angedenkens. Im Unterschied zu Lambsdorff lobte er aber nicht nur die gute Zusammenarbeit. Zum offiziellen Anlaß seines Artikels nahm er den Freiburger Bundesparteitag der FDP vor 35 Jahren, auf dem das seit 1969 bestehende Bündnis mit der SPD programmatisch besiegelt worden war. Das Freiburger Programm von 1971 lese sich "über weite Strecken wie eine hochaktuelle Kritik am Neoliberalismus und seinem verengten Freiheitsverständnis". Auch nach dem Ende der sozialliberalen Koalition habe es immer wieder Versuche gegeben, die FDP nicht auf die Rolle einer "reinen Funktionspartei" und "bloßen Mehrheitsbeschaffterin der Union" zu beschränken. Hierfür stünden Namen wie Burkhard Hirsch, Gerhart Baum, Hildegard Hamm-Brücher und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die rheinland-pfälzische FDP habe unter der Führung von Rainer Brüderle ebenfalls sehr erfolgreich bewiesen, daß sie mehr zu sein vermöge als ein Anhängsel des konservativen Lagers.

In der "Zeit" vom 2. November erschien dann die Erwiderung Westerwelles. Mit den parteiüblichen Phrasen wies er Becks milde Kritik am "Marktradikalismus" und der liberalen "Engführung" zurück. Das Freiburger Programm sei weiterhin richtungsweisend für die Politik der Partei und durch die Wiesbadener Grundsätze von 1997 allenfalls weiterentwickelt worden. Es gebe auch keinen Gegensatz zwischen liberal und sozial, wie Beck ihn suggeriere. "Mit einer SPD, wie sie derzeit in Berlin regiert", wolle die FDP nicht koalieren. Aber: "Alles andere werden wir sehen. Panta rhei - alles fließt. Keiner kann heute vorhersagen, wohin die Programmdebatten von Union und SPD diese noch führen werden."

Beck wie Westerwelle schlossen also ein Bündnis nicht aus, falls es zum Zerfall der großen Koalition oder zu Neuwahlen kommen sollte. Und sei es nur, um den Preis für andere Koalitionspartner in die Höhe treiben zu können. Augenblicklich sah es allerdings nicht so aus, als ob das bestehende Regierungsbündnis zerbrechen würde. Zu einem ersten informellen Gespräch über eine eventuelle spätere Zusammenarbeit entsandten deshalb beide Parteien nur die zweite Garnitur. Es fand am 6. November in einem Berliner Restaurant statt. Für die SPD beteiligten sich die Abgeordeten Ulrich Kelber, Angelica Schwall-Düren, Elke Ferner und Thomas Oppermann. Die FDP entsandte Jan Mücke, Michael Kauch, Daniel Bahr und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Landtagswahlen stellen die Weichen in Richtung einer schwarz-gelben Koalition

Westerwelles Kokettieren mit anderen Bündnismöglichkeiten als schwarz-gelb mußte auch vor dem Hintergrund der bisherigen Landtagswahlergebnisse gesehen werden: Die drei ersten Urnengänge am 26. März 2006 ließen noch keine eindeutige Tendenz erkennen. Die FDP konnte zwar in Baden-Württemberg zulegen, was sie hauptsächlich den Stimmen vorheriger CDU-Wähler verdankte. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt fiel sie dagegen hinter ihre letzten Ergebnisse zurück, wobei die Wahlforscher den Saldo der Wählerwanderung aus und in Richtung CDU mit Null bezifferten. Durchwachsen blieb auch das Ergebnis der zweiten Landtagswahlrunde am 17. September 2006: Der erhebliche Stimmengewinn in Mecklenburg-Vorpommern, der eindeutig früheren CDU-Wählern zu verdanken war, kontrastierte hier mit dem Abstieg in Berlin, wo die FDP sogar ein paar Wähler an die CDU abgeben mußte.

Noch im Sommer 2007 ergaben Umfragen keine Mehrheit für eine schwarz-gelbe Regierung. Allerdings auch nicht für rot-grün. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck sah deshalb in der Zusammenarbeit mit der FDP weiterhin "eine Möglichkeit, die man sich offenhalten muß".

Wenig später trafen sich dann aber am 11. September im Konrad-Adenauer-Haus jeweils acht Abgeordnete von CDU und FDP zum ersten Kontaktgespräch seit der Bundestagswahl. Die Initiative ging von den beiden Generalsekretären Ronald Pofalla und Dirk Niebel aus. Pofalla berichtete anschließend von einem "harmonischen Treffen", bei dem man große Übereinstimmung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik festgestellt habe. Der SPD-Abgeordnete Ottmar Schreiner sprach dagegen von einem "sonderbaren Vorgang" und einer "Provokation". Der CSU-Generalsekretär Söder, dessen Partei nicht in das Treffen einbezogen worden war, äußerte öffentlich Zweifel daran, "ob solche Wechselgipfel lange vor der Wahl wirklich klug sind".

Am 14. Januar 2008 kam es in der Parteizentrale der FDP zu einem erneuten Strategietreffen, an dem sich insgesamt 25 Abgeordnete beider Seiten beteiligten. Auch die CSU war dieses Mal mit von der Partie. Angeblich hatte man sie beim ersten Mal schlicht vergessen. Als Wiedergutmachung wurde vereinbart, die nächste Zusammenkunft im Haus der Bayerischen Landesvertretung stattfinden zu lassen.

Den Hintergrund dieser Treffen bildete, daß Schwarz-Gelb inzwischen bei Meinungsumfragen knapp führte. Die Präferenz für ein Zweierbündnis mit der Union, die Westerwelle schon Ende April in einer Grundsatzrede vor der Fraktion ausgesprochen hatte, brauchte damit nicht länger versteckt zu werden. Vor allem aber ging es nun bei den Landtagswahlen für die FDP steil aufwärts. Die Ergebnisse sämtlicher elf Wahlen, die jetzt noch bis Ende 2009 stattfanden, setzten den Erfolg von Mecklenburg-Vorpommern nahtlos fort. Und in allen Fällen gingen die ungewöhnlich hohen Stimmengewinne der FDP zu Lasten der Unionsparteien. Eine Abwendung von der Union, von der bis zu 35 Prozent ihrer Wähler kamen, verbot sich damit für die FDP von selbst. Auch deshalb war mit dem Jahr 2006 die Zeit des Lavierens vorbei. Für die FDP kam jetzt nur noch eine schwarz-gelbe Koalition in Frage.

Bis kurz vor den Bundestagswahlen 2009 traf die FDP jedoch keine förmliche Koalitionsaussage zugunsten der Union. Das wäre unklug gewesen, zumal bei den "Sonntagsfragen" die schwarz-gelbe Mehrheit noch immer schwach fundiert war und eine erzwungene Fortführung der Großen Koalition mitunter fast wahrscheinlicher erschien. Auch den Weg zu einer "Ampel" mit SPD und Grünen hielt sich die Partei grundsätzlich offen. Ihre anfängliche Sympathie für den neuen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck hatte inzwischen deutlich nachgelassen. Mit einem Partner, der sie so penetrant an das eigene "Freiburger Programm" erinnerte, sah sie wenig Gemeinsamkeiten. Und als Beck der Union einen "Neoliberalismus ohne Erdung" vorwarf, hatte er eigentlich noch mehr die FDP getroffen. Da paßte es ganz gut, daß Beck im September 2008 aus dem Amt gemobbt wurde und die alten Schröder-Vertrauten Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier die Zügel der Parteiführung in die Hand nahmen. Mit "Frank und Franz" habe die SPD die Chance, "wieder in die Mitte zu rücken, zu uns", schrieb Generalsekretär Niebel in einem Gastbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel" (11.9.). Die SPD lud ihrerseits Niebel ein, für das Parteiorgan "Vorwärts" einen Gastbeitrag zu Ehren des SPD-Reichspräsidenten Friedrich Ebert zu verfassen. Außerdem stellte Frank-Walter Steinmeier am 13. September zusammen mit Westerwelle dessen Biographie "...und das bin ich" vor, die der FAZ-Redakteur Majid Sattar verfaßt hatte. Der Kanzlerkandidat der SPD lobte dabei Westerwelle als "gewieften Taktiker", "Vollprofi" und "Inventar der Berliner Republik". Unter Anspielung auf Westerwelles Verhalten gegenüber der SPD unmittelbar nach der Bundestagswahl meinte er dann, nun müsse es genug der Freundlichkeiten sein, um sich nicht den Vorwurf des "Stalkings" einzuhandeln...

Seit 2008 ist die Große Koalition im Bundesrat auf das Entgegenkommen der FDP angewiesen

Die andauernden Erfolge bei den Landtagswahlen verstärkten den Einfluß der FDP im Bundesrat, der als eigenständiges Verfassungsorgan neben dem Bundestag an der Gesetzgebung mitwirkt. Mit dem Amtsantritt der neuen hessischen Landesregierung im Februar 2008 verfügten die schwarz-gelb regierten Länder Hessen, Baden, Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen über 29 der insgesamt 69 Sitze im Bundesrat. Die Große Koalition verlor dadurch ihre bisherige Mehrheit von 35 Stimmen im Bundesrat und war fortan auf das Entgegenkommen der FDP angewiesen, wenn die Grünen oder die Linkspartei einem zustimmungspflichtigen Gesetz die Stimmen von Hamburg, Bremen oder Berlin verweigerten. Beispielsweise fand die schwarz-rote Regierung Anfang 2009 für ihr zweites Konjunkturpaket zunächst keine Mehrheit im Bundesrat, da FDP, Grüne und Linkspartei ihre Zustimmung von unterschiedlichen Gegenleistungen abhängig machten. Die FDP verlangte zunächst mal wieder irgendwelche Steuersenkungen. Am Ende vermied sie dann aber doch eine Brüskierung der regierenden Union, mit der sie ja noch im selben Jahr eine neue Koalition zu schmieden gedachte, so daß das Gesetz mit den Stimmen der schwarz-gelb regierten Länder verabschiedet werden konnte. Um das Gesicht zu wahren, verpackte die FDP ihre Forderung nach Steuersenkungen in einen unverbindlichen Entschließungsantrag des Landes Niedersachsen, den der Bundesrat gemeinsam mit dem Konjunkturpaket durchwinkte.

Mit dem Amtsantritt der neuen Koalitionsregierungen in Sachsen und Schleswig-Holstein Ende 2009 erlangten die schwarz-gelb regierten Bundesländer im Bundesrat sogar eine klare Mehrheit aus 37 Stimmen. Das paßte hervorragend zur Bildung der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene, die soeben die Regierung übernommen hatte. Union und FDP verfügten nun in beiden Verfassungsorganen über die Majorität. Sie konnten damit jedes im Bundestag beschlossene Gesetz auch in der Ländervertretung einfach durchwinken. Einzige Ausnahme waren verfassungsändernde Gesetze, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig blieb.

Union und FDP sorgen für die Wiederwahl Köhlers als Bundespräsident

Eine weitere Weichenstellung in Richtung der schwarz-gelben Koalition erfolgte am 23. Mai 2009 mit der Wiederwahl Horst Köhlers zum Bundespräsidenten. Köhler war schon 2004 mit den Stimmen von Union und FDP gewählt worden, was damals als Vorgriff auf eine entsprechende Regierungkoalition nach den Bundestagswahlen 2005 verstanden wurde. Wegen des Einzugs der Linken in den Bundestag reichte es dann aber nicht zu dem schwarz-gelben Bündnis. Bis zur zweiten Hessen-Wahl Anfang 2009 mußte es auch als sehr fraglich gelten, ob Köhler bei der Neuwahl des Bundespräsidenten am 23. Mai 2009 wiedergewählt weden würde. Seitdem waren die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung so beschaffen, daß zumindest mit einem knappen Ausgang der Abstimmung gerechnet werden mußte.

Schon im März 2008 hatte sich Westerwelle, als erster der Parteivorsitzenden, für die Wiederwahl Köhlers ausgesprochen. Kurz darauf folgte ihm einstimmig die Bundestagsfraktion der FDP. Die Union bekräftigte ebenfalls ihre Unterstützung. Die SPD nominierte dagegen am 26. Mai wieder die Politologin Gesine Schwan, die schon 2004 gegen Köhler angetreten war. Chancen hatte Schwan nur, wenn auch die Vertreter der Linken für sie stimmen würden. Union und FDP zeigten sich deshalb höchst empört über eine solches Stimmenbündnis. Nachdem der SPD-Vorsitzende Kurt Beck Anfang September 2008 zurückgetreten war, forderte Westerwelle dessen Nachfolger auf, "diese Fehlentscheidung von Herrn Beck, nämlich den Bundespräsidenten mit einem Linksbündnis abzuwählen, zu korrigieren". Im folgenden Monat stellte dann die Linke mit dem 72-jährigen Schauspieler und "Tatort"-Kommissar Peter Sodann noch einen eigenen Kandidaten auf, doch war klar, daß dieser nur als Zählkandidat diente und seine Partei in einer Stichwahl für Gesine Schwan stimmen würde.

Zur Stichwahl kam es jedoch nicht, weil Köhler schon in der ersten Abstimmung mit der hauchdünnen Mehrheit von 613 Stimmen gewählt wurde. Gesine Schwan erhielt 503 und Peter Sodann 91 der insgesamt 1223 abgegeben Stimmen. Der Rest entfiel auf Enthaltungen (10), ungültige Stimmen (2) und einen Kandidaten der neonazistischen NPD (4).

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