Udo Leuschner / Geschichte der FDP (43) |
15. Bundestag 2002 - 2005 |
Im Oktober 2004 erschien ein Buch, in dem der frühere FDP-Funktionär Fritz Goergen eine ergrimmte Grabrede auf die Partei hielt, der er vier Jahre als Bundesgeschäftsführer und anschließend 13 Jahre als Geschäftsführer der Friedrich-Naumann-Stiftung gedient hatte. Der reißerische Titel "Skandal FDP - Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee" ließ einige Enthüllungen erwarten, zumal Goergen längst aus den Diensten der Partei ausgeschieden und inzwischen auch ausgetreten war.
Das "Projekt 18" sei von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, weil ihm die inhaltliche Grundlage in Form eines politischen Programms gefehlt habe, schrieb Goergen einleitend. Anfangs hätten herausragende Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Thomas Dehler und Reinhold Maier das Bild der FDP geprägt. Nach Ralf Dahrendorf und Werner Maihofer habe die FDP jedoch keine großen Köpfe mehr angezogen. Auch an "Machern" habe sie nach Hans-Dietrich Genscher nur noch Jürgen W. Möllemann hervorgebracht. Der Anspruch der FDP, die politische Organisation des geistigen Liberalismus in Deutschland zu sein, stehe auf mehr als schwachen Füßen: Sie sei "personell ausgezehrt, programmatisch entleert, ohne ideelle Heimat und bar jeder Vision". Statt für die Herrschaft des Rechts und die strenge Trennung der Gewalten einzutreten, wie dies einer liberalen Partei anstünde, führe sie "die Hitliste der Vermengung von Lobbyismus und Politik" an.
Rund ein Viertel der 286 Seiten verwendete Goergen, um aus seiner Sicht das Zusammenspiel von Möllemann und Westerwelle und das Scheitern des "Projekt 18" zu beschreiben. "Castor und Pollux", wie er die beiden nennt, hätten Ende 2000 verabredet, daß der eine Kanzlerkandidat und der andere Bundesvorsitzender der FDP werden würde. So habe ihm das jedenfalls Möllemann erzählt. Als Westerwelle dann jedoch Bundesvorsitzender geworden war, habe er den anderen Dioskuren "am ausgestreckten Arm verhungern" lassen. Möllemann habe "wie ein geprügelter Hund" unter Westerwelles Verhalten gelitten und sich nach einem "Befreiungsschlag" gesehnt. Dies habe ihm manchen klaren Gedanken verstellt und seine so sonst ausgeprägte Vorsicht vergessen lassen. So habe das Verhängnis seinen Lauf genommen, von der Affäre Karsli bis zu der blindwütigen Attacke auf Michel Friedman.
Auf den restlichen Seiten plauderte Goergen aus dem Nähkästchen seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Parteifunktionär. Er enthüllte dabei etliche pikante Details, etwa zum Finanzgebaren der FDP, zum Verhältnis zwischen Partei und Friedrich-Naumann-Stiftung oder zum Bruch der sozialliberalen Koalition.
Die Geschichte der FDP mußte indessen nicht umgeschrieben werden. Goergens Buch demonstrierte vielmehr, daß es in der Partei etwa so zuging, wie man sich das bisher vorgestellt hatte. Vor allem galt das für die Kernthese seines Buches, daß der FDP die liberale oder eine sonstwie geartete politische Substanz abhanden gekommen sei; daß sie zum großen Teil aus Selbstdarstellern bestehe, die nicht über den Tellerrand ihres Karrieristen-Ehrgeizes hinauszublicken vermögen und deshalb eher Getriebene als Gestalter des politischen Geschehens sind.
Das galt nun allerdings auch für den Autor, der wie kaum ein anderer innerhalb der Partei den Ruf eines zynischen Karrieristen genoß und mit Möllemann den wohl substanzlosesten aller FDP-Politiker gefördert hatte. Und was er jetzt der FDP zur Genesung von ihrer Substanzlosigkeit empfahl, war auch nur geeignet, diese noch zu vergrößern. Denn Goergens Rezept bestand in einem "libertär" übersteigerten Neoliberalismus. Schon 1992 hatte er mit seiner Frau Barbara und drei anderen Autoren ein Manifest unter dem Titel "Bürger zur Freiheit" veröffentlicht, das mit anarchistisch anmutendem Gestus die weitgehende Abschaffung des Staates forderte. Zum Beispiel wollten sie dem Staat jede wirtschaftliche Betätigung verbieten, die Sozialversicherung völlig privatisieren und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerschlagen. Sogar Polizei und Strafvollzug sollten privatisiert werden. Etliches aus dem Papier fand Eingang in die "Wiesbadener Grundsätze für die liberale Bürgergesellschaft", die der Bundesparteitag 1997 offiziell verabschiedete. In ihrer fast schon satirisch wirkenden Überspitzung gingen Goergens Thesen aber selbst dem tonangebenden neoliberalen Flügel der Partei zu weit. Ausgerechnet ein Zerwürfnis mit dem Neoliberalen Lambsdorff führte dann dazu, daß Goergen 1996 aus den Diensten der Partei ausschied, um eine Agentur für Trendanalysen und Prognosen zu gründen.
Fritz Goergen, der bis dahin Fritz Fliszar hieß, nahm 1998 den Nachnamen seiner zweiten Frau an. Unter dem neuen Namen wurde er zum wichtigsten Wahlkampfhelfer des nordrhein-westfälischen Landesfürsten Jürgen Möllemann und entwickelte jenes Rezept, das bei den Landtagswahlen im Januar 2000 den Stimmenanteil der FDP von 4,0 auf 9,8 Prozent fast verdoppelte. Anschließend bekam er auch noch vom FDP-Bundesvorsitzenden Westerwelle einen Beratervertrag. Er wirkte maßgeblich an der Entwicklung und Umsetzung des Strategiepapiers "18 Prozent" mit, das die FDP in bislang unerreichte Höhen der Wählergunst katapultieren sollte. Die Idee mit der Kanzlerkandidatur - die ursprünglich nicht auf Westerwelle, sondern auf Möllemann zugeschnitten war - soll ebenfalls von ihm gekommen sein. Für den "Spaßwahlkampf" will er dagegen nicht verantwortlich gewesen sein. Diese Idee sei dem Geschmack von Westerwelles altem Team entsprungen und dem 18-Prozent-Ziel hinzugefügt worden, schreibt er in seinem Buch.
Als Möllemanns Stern zu sinken begann und die Bundestagswahlen im September 2002 nur ein mageres Ergebnis erbracht hatten, trat Goergen im November 2002 aus der FDP aus. Kurz nach Möllemanns Tod wurde er als jener Geldbote enttarnt, der von einem Konto in Luxemburg eine Million Euro abgehoben hatte, mit der das Faltblatt gegen Friedman finanziert worden war. Eine schillernde Figur also.
Bemerkenswert dabei ist, daß Goergen alias Fliszar auf dem linken Flügel der Partei begonnen hatte. Der gebürtige Österreicher war Ende der sechziger Jahre den Jungdemokraten beigetreten, die damals erklärtermaßen das Ziel verfolgten, die FDP zum parlamentarischen Arm der Außerparlamentarischen Opposition (APO) zu machen. "Als Judos waren wir in unserem Selbstverständnis die Elite, welche sich eine FDP nach ihrer Vorstellung schuf", charakterisiert er zutreffend die Haltung der Jungdemokraten gegenüber der alten FDP, wie sie durch den Ritterkreuzträger Erich Mende verkörpert worden war. "Mit den anderen, den Gestrigen, sprachen wir kaum. Über sie machten wir uns allenfalls lustig."
Auch später, als hauptamtlicher Parteifunktionär, vertrat er den linksliberalen Flügel. Bei Parteitagen saß er unter den Delegierten aus dem Südwesten, obwohl er formal im Landesverband Nordrhein-Westfalen Mitglied war. Die konservative Düsseldorfer FDP empfand er "von Anfang an als Bremsklotz und Stolperstein auf dem Weg zu einer modernen, wirklich liberalen FDP".
Seine Parteikarriere begann Fritz Fliszar, wie er damals noch hieß, 1968 als Referent des Bundesgeschäftsführers Hans Friderichs. Ab 1972 assistierte er dem Parlamentarischen Staatssekretär Karl Moersch, wurde 1974 Stellvertreter des Bundesgeschäftsführers Verheugen und übernahm nach Verheugens Wahl zum Generalsekretär diesen Posten von 1979 bis 1983.
Er gehörte somit zum sozialliberalen Flügel der Partei, der die von Genscher, Scheel und Friderichs betriebene Orientierung auf eine Koalition mit der SPD unterstützte. Als Verheugen 1975 im Auftrag Genschers ein Papier für eine "Strategie der Eigenständigkeit" entwarf, wonach die FDP prinzipiell auch für andere Koalitionen offen bleiben müßte - eigentlich eine Selbstverständlichkeit - , empfand Goergen dies als Sakrileg. Zum einen kam für ihn etwas anderes als eine Koalition mit der SPD nicht in Frage. Zum anderen hielt er es für falsch, vermehrt auf Stammwähler statt auf Zweitstimmen zu setzen.
Daß Genscher und Scheel 1982 den Bruch der sozialliberalen Koalition herbeiführten, hält Goergen noch heute für verfrüht und deshalb für falsch: "Die sozialliberalen Wähler wurden verjagt, ohne daß christlich-liberale hinzukamen. Die einen trauten der FDP nicht mehr, die anderen noch nicht." Genschers Taktik habe auch nicht zu der angestrebten Eigenständigkeit der FDP geführt, sondern in eine neue Abhängigkeit von der Union.
Dennoch wechselte er nun die innerparteilichen Fronten: Er mied fortan den linksliberalen "Sylter Kreis" und unterstützte Scheel und Genscher bei der erneuten Hinwendung der FDP zur Union. Zum Dank durfte er Geschäftsführer der Friedrich-Naumann-Stiftung werden. Allerdings war seitdem sein Ruf ramponiert: Zumindest bei den Linksliberalen, die größtenteils die Partei verließen oder resignierten, galt er fortan als zynischer Karrierist.
Goergen weiß um seinen Ruf und macht dafür Journalisten verantwortlich, die ihn zuvor wegen seines linken Standortes in der FDP hofiert und gehätschelt hätten: "Solange ich ihr linker Bruder war, fanden sie mich weder hart noch zynisch. Dieses Profil verpaßten sie mir erst, als ich für sie kein Linker mehr war."
Den Wechsel vom linken zum rechten Parteiflügel begründet er in seinem Buch damit, daß ihn "die Arroganz der SPD-Linken unsereins gegenüber" abgestoßen habe. Allein die Anrede "Genossinen und Genossen" wäre ihm nie über die Lippen gekommen. Außerdem habe ihn ein allgemeiner Degout vor dem Parteibetrieb gepackt: "Eigentlich paßte ich in keine Partei, das Gefühl ergriff seit Jahren Besitz von mir. Die spießbürgerlichen Abläufe und Rituale des Parteilebens stießen mich von Jahr zu Jahr noch mehr ab."
Noch nach dem Frontenwechsel sei er von Günther Verheugen freundschaftlich aufgefordert worden, ihm zur SPD zu folgen: "Für Dich finden wir auch etwas Passendes." Aber sein Entschluß habe festgestanden.
Goergen läßt ferner anklingen, daß auch Eheprobleme seinen politischen Farbwechsel beeinflußt haben könnten: Seine erste Frau hatte ihn zum Auszug aus dem gemeinsamen Bungalow aufgefordert, um mit einem sozialliberalen Parteifreund zusammenleben zu können. "Daß ich dem sozialliberalen Nachbarn wich, nagte in mir, auch wenn ich es nicht zugab", schreibt er. "Wahrscheinlich machte mich dieser erste wirkliche Bruch in meinem Leben noch verschlossener, als ich ohnedies bin. Aber wie es drinnen aussieht, geht ja niemand etwas an."
Was auch der Grund gewesen sein mag: Der ehemalige Sozialliberale wandelte sich zum Unterstützer der neo-konservativen Marschrichtung, die Genscher, Scheel und Lambsdorff mit dem Bruch der Koalition eingeschlagen hatten. Und er begnügte sich nicht damit, als Parteisoldat die von oben kommenden Befehle auszuführen, sondern entwickelte den Ehrgeiz, den neoliberalen Markradikalismus ideologisch zu unterfüttern und zu jenem Amoklauf zu steigern, wie er in dem Manifest "Bürger zur Freiheit" zum Ausdruck kam. Vermutlich griff Goergen dabei - ohne daß ihm dies bewußt war - auf anarcho-libertäre Vorstellungen zurück, wie sie schon vor dreißig Jahren unter den Jungdemokraten im Schwange waren. Während sich damals diese Ideen mit marxistischen Thesen verbanden oder zumindest von diesen kompensiert wurden, koppelte Goergen sie nun mit dem Credo des Neoliberalismus, der einen zügellosen Kapitalismus und die Vermarktung sämtlicher Lebensbereiche predigt.
Goergen schloß damit wohl seinen individuellen Kompromiß zwischen der schmerzhaft empfundenen "déformation professionelle" als Parteifunktionär und früherem Idealismus, der ihn einst in die Reihen der Jungdemokraten geführt hatte. Typisch für diesen Konflikt sind etwa die folgenden Stellen seines Buches:
Von der ersten Stufe an erweisen sich die Beherrschung von Parteitagen durch die trickreiche Anwendung der Geschäftsordnung, die Inszenierung von Intrigen, das Bilden von Seilschaften und Einfügen in überkommene Rituale dem Wettstreit der Ideen und Meinungen als überlegen auf dem Weg nach oben. Idealisten stößt das System ab und sortiert es aus. (S. 20)
Wir, Generationen von Funktionären und Politikern, lernten in jungen Jahren, vor Beginn unseres eigentlichen Weges, daß Regeln für die Regelmacher nicht gelten: Wir lernten in kleinen, unmerklichen Dosen, Politik darf alles. Unsere politische Moral wurde vergiftet - nachhaltig. (S. 149)
Ob Politiker von Strategie reden oder von Taktik, spielt keine Rolle. Sie meinen immer Taktik. (S. 175)
Die Hälfte meiner Zeit brauch ich, um Intrigen abzuwehren, 40 Prozent für eigene Intrigen und die restlichen 10 Prozent für die politische Arbeit in der Sache. (S. 214)
Wer im Hamsterrad der Politik läuft und läuft und läuft, kommt einfach nicht mehr zum Nachdenken. (S. 220)
In diesen Kreisen ist jeder jedes Feind. (S. 19)
Der wahre Grund, weshalb Erich Mende 1968 zurücktreten mußte, sei deshalb auch nicht ein parteiinterner Meinungsumschwung gewesen, der die FDP aus der nationalkonservativen Ecke herausführte und zum Bündnispartner der SPD machte. "Mende stand den Wünschen der Ruhrindustrie bei den Ostgeschäften im Wege", habe ihn Alfred Rieger aufgeklärt, der frühere Hauptgeschäftsführer des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, der noch etwas früher NSDAP-Kreisleiter war. Die Stahlindustrie habe auf eine neue Ostpolitik gedrängt, um den Weg zum sowjetischen Markt freizumachen. Da Erhards CDU und Mendes FDP zum Röhrenembargo der USA gegenüber der Sowjetunion standen, habe die Industrie auf SPD-FDP-Koalitionen in Bonn und Düsseldorf gesetzt, um das Embargo zu unterlaufen.
Die erneute Wende der FDP zurück in die Arme der Union wäre nach Goergens Darstellung schon früher erfolgt, wenn nicht Franz-Josef Strauß zum Kanzlerkandidaten der Union für die Bundestagswahl 1980 aufgestellt worden wäre und damit die sozialliberale Koalition nochmals zusammengeschweißt hätte. Scheel habe schon seit 1974 in diesem Sinne die Fäden gezogen. Auch Bangemann - damals noch "der Mann mit dem Image des Oberlinken" - habe schon 1974 Pläne für einen Koalitionswechsel in Bonn und anderswo entwickelt.
Im übrigen sei der Kurswechsel im Jahr 1982 keineswegs strategischem Weitblick, sondern vielmehr der Kurzsichtigkeit der Parteioberen entsprungen, die im Hamsterrad der Politik das Gespür für die Stimmung im Wählervolk verloren hatten. So habe Genscher einfach nicht verstehen wollen, daß sein Gerede von der "Äquidistanz" der FDP zu den beiden großen Parteien von den Wählern genauso aufgefaßt wurde, wie es gemeint war, nämlich als Signal zum Koalitionswechsel.
Nachdem die Wähler den Bruch der Koalition mit vernichtenden Landtagswahlergebnissen für die FDP bestraften, sei Genscher völlig diskreditiert gewesen und habe die nächsten Bundestagswahlen innerlich bereits für verloren gehalten. In äußerster Not habe er geplant, die Ämter des Außenministers und des Parteivorsitzenden an den aus England herbeigeholten Ralf Dahrendorf abzugeben: Zunächst sollte Dahrendorf den Vorstandsvorsitz der Friedrich-Naumann-Stiftung übernehmen und die intellektuelle Lücke überstrahlen, die durch den Austritt der Sozialliberalen entstanden war. Dann, wenn das erwartete Wahldebakel unter oder knapp über fünf Prozent feststand, sollte er demonstrativ Genscher ablösen und so der Partei über die neuerliche Krise hinweghelfen.
Verwirklicht worden sei dann nur der erste Teil dieses Programms, weil das FDP-Ergebnis bei der Bundestagswahl im März 1983 wider Erwarten doch bei sieben Prozent lag. Genscher sei deshalb im Amt geblieben und Dahrendorf als sein Nachfolger nicht mehr gefragt gewesen. 1987 habe Dahrendorf auch den Vorsitz der Friedrich-Naumann-Stiftung wieder aufgegeben.
Über Günther Verheugen weiß Goergen zu berichten, daß er auf dem Bundesparteitag im November 1978 in Mainz nur deshalb mit knapper Mehrheit zum Generalsekretär gewählt worden sei, weil Gefolgsleute in der Zählkommision die Auszählung der Stimmen manipuliert hätten. Verheugen habe es selber mit der Korrektheit auch nicht so genau genommen und schon mal Spendenquittungen blanko unterzeichnet. Er sei keineswegs jener lupenreine Sozialliberale gewesen, wie es nach seinem Übertritt zur SPD den Anschein hatte. So habe er jenen "Wendebrief" verfaßt, mit dem Genscher schon im August 1981 die Mitglieder auf einen Koalitionswechsel einstimmte. Als es dann zum Bruch der Koalition kam, habe er den Übertritt zur SPD erst vollzogen, nachdem es Genscher abgelehnt habe, ihn zum hauptamtlichen Chef der Friedrich-Naumann-Stiftung zu machen.
Über die Naumann-Stiftung, deren Geschäftsführer er von 1982 bis 1992 war, weiß Goergen auch sonst einiges zu erzählen. Zum Beispiel, daß sie zeitweise mit der Parteizentrale der FDP weitgehend identisch gewesen und erst mit Rücksicht auf verschärfte gesetzliche Bestimmungen räumlich und personell getrennt worden sei. Auf seinen Vorschlag hin habe sich die gemeinsame Telefonzentrale mit "Friedrich-Naumann-Haus" gemeldet, bis Genscher die Bezeichnung "Thomas-Dehler-Haus" durchgesetzt habe. Bei diesem Namen für die Parteizentrale der FDP sei es bis heute geblieben.
Goergens Darstellung bestätigt den Eindruck, daß die Parteistiftungen hauptsächlich dem Zweck dienen, den Parteien unter dem Deckmantel der politischen Bildung noch mehr Geld zukommen zu lassen, als sie bereits auf direktem Wege aus Steuergeldern erhalten. So profitierte auch die FDP kräftig vom neunstelligen Etat der ihr "nahestehenden" Friedrich-Naumann-Stiftung. Beispielsweise wurden vor der Bundestagswahl 1976 vierzig Fahrzeuge der Stiftung einfach umlackiert und als fahrbare Infostände für die FDP eingesetzt. Bei der folgenden Bundestagswahl kam dem Bundesschatzmeister Heinz-Herbert Karry die Idee, das Image der Partei mit einer Anzeigenkampagne aufzupolieren, die zum größten Teil von der Naumann-Stifung bezahlt wurde. In Umfragen hatte man nämlich herausgefunden, daß die FDP mit dem positiv besetzten Begiff "liberal" so gut wie nicht in Verbindung gebracht wurde. Um dieser Assoziation auf die Sprünge zu helfen - die in der Tat nicht so naheliegend war - , ließ zunächst die Stiftung Anzeigen schalten, in denen historische Persönlichkeiten wie Goethe, Jefferson oder Einstein mit passenden Zitaten und dem Zusatz "Ein Liberaler" vorgestellt wurden. Anschließend schaltete die Partei ihrer eigene Kampagne, in der sie sich mit "F.D.P. - Die Liberalen" vorstellte. Laut Goergen kam die Partei auf diese Weise zum Zusatz "Die Liberalen", der von den Medien als Synonym für FDP übernommen und später in der Parteisatzung verankert wurde.
Trotz aller Tricksereien war die FDP fast immer in großen Finanznöten. Vor allem bei ihrer Hinwendung zur SPD kam ihr mancher wichtige Spender abhanden. Laut Goergen sprang in dieser Situation eine Tochter der gewerkschaftseigenen "Bank für Gemeinwirtschaft" ein. Bis 1974 habe die FDP bei der Gewerkschaftsbank über zehn Millionen Mark Schulden angehäuft. Die SPD habe damit den kleinen Partner finanziell praktisch in der Hand gehabt. Mit der "Aktion Frieda", wie Bundesschatzmeister Heinz-Herbert Karry sie genannt habe, seien diese Schulden auf praktisch Null abgebaut und so die materiellen Voraussetzungen für den Bruch der Koalition geschaffen worden.
Ende 1983 sei die Partei aber schon wieder mit elf Millionen Mark verschuldet gewesen. Diesmal natürlich nicht bei den Gewerkschaften, sondern bei Geldgebern der anderen Seite. In dieser brenzligen Lage war eine riesige Parteispende von sechs Millionen Mark äußerst willkommen. Angeblich stammte sie von dem im Ausland lebenden Kaufhauskönig Helmut Horten. Dieser Name war allerdings nur vorgeschoben, um den wirklichen Geldgeber zu tarnen. Zustimmend zitiert Goergen einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung" vom 28. November 2002, wonach sich inzwischen herausgestellt hat, daß ein Rüstungskonzern der klammen Partei zehn Millionen Mark zukommen ließ, in der Parteikasse aber nur sechs Millionen ankamen, weil ein "hochmögendes Mitglied der Partei" vier Millionen als Provision abgezweigt hatte. Goergen glaubt zu wissen, wer dieses hochmögende Parteimitglied war, will den Namen aber nicht nennen, weil er es nicht beweisen könne.
Als Folge der Flick-Affäre seien die Vorschriften für die Parteienfinanzierung enger gefaßt worden. Die Schatzmeister der Parteien hätten darauf das "Zersägen" von Großspenden erfunden, um die Namen der Geldgeber nicht nennen zu müssen. - Goergen schildert hier also genau jene Methode, nach der auch Möllemann verfuhr, als er seinen Freund Goergen eine Million Euro in Luxemburg abheben ließ, um sie dann in zahlreiche kleine Beträge zu stückeln und als angebliche Spenden auf andere Konten zu überweisen.
Neben der Rüstungsindustrie scheinen auch die Kernkraftwerksbetreiber die FDP kräftig unterstützt zu haben. Als 1977 ein kleiner Parteitag der FDP ein Moratorium zur Kernenergie beschloß, soll der Bundesschatzmeister Karry umgehend die Annullierung dieses Beschlusses durch den nächsten Parteitag gefordert haben, weil er sonst die Partei nicht finanziell auf die Beine bringen könne. Verheugen habe damals in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Geschäftsführung der Friedrich-Naumann-Stifung mehrere Spendenquittungen über jeweils eine viertel Million Mark zu unterschreiben gehabt, berichtet Goergen weiter. Er habe diese Quittungen blanko unterschrieben und dem Beauftragten des Bundesschatzmeisters übergeben, also selber nicht gewußt, woher das Geld kommen würde. Aufgrund von Karrys Intervention sei dann bei Verheugen der Groschen gefallen: "Es kommt also von der Atomindustrie."
Eine dieser Blanko-Quittungen über eine Spende von 250.000 Mark für die Naumann-Stiftung, die auf den 18. Mai 1978 datiert und von Verheugen unterschrieben ist, veröffentlicht Goergen im Faksimile auf Seite 184 seines Buches. Er will sie einem anonymen Briefumschlag entnommen haben, den er viele Jahre später erhalten habe.
Auf Seite 170 tritt Goergen den ehemaligen Parteifreund ein weiteres Mal vors Schienbein, indem er eine vom 1. Juli 1981 datierte Quittung abdruckt, in der Verheugen den Empfang von 300.000 Mark "zur Weitergabe für Portugal" bestätigt. Das Dokument illustriert, wie die Schatzmeister der Bundestagsparteien damals Bargeld vom Auswärtigen Amt erhielten, um es über Vertrauensleute nach Portugal oder Spanien zu bringen. Die beiden Länder hatten soeben ihre jahrzehntelangen Diktaturen überwunden und befanden sich politisch im Umbruch. Um die ihnen nahestehenden "gemäßigten" Parteien zu stärken, bedienten sich die Bundestagsparteien ihrer jeweiligen Stiftungen. Die Mittel kamen aus Steuergeldern und wurden bar über die Grenze gebracht, um keine Spuren zu hinterlassen.
Im Vergleich mit Möllemanns Pamphlet "Klartext", hinter dem manche Auguren ebenfalls die Handschrift Goergens erkennen wollten, war "Skandal FDP" weniger polemisch, informationshaltiger und insgesamt lesenswerter. Der Name des Verfassers besaß aber offensichtlich nicht dieselbe Zugkraft: Während Möllemanns Machwerk vom Bertelsmann-Verlag in einer Startauflage von 80.000 Exemplaren auf den Markt geworfen wurde, erschienen Goergens Reflexionen und Bekenntnisse in einem Kleinverlag, der bis dahin gerade mal zwei Bücher herausgebracht hatte.