Udo Leuschner / Geschichte der FDP (39) |
15. Bundestag 2002 - 2005 |
Auf die Hybris der 18-Prozent-Kampagne folgte der Absturz: Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 errang die FDP lediglich 7,4 Prozent. Das war zwar 1,2 Prozent mehr als 1998, lag aber doch weit unter den hochgespannten Erwartungen. Vor allem versagte damit die FDP als Mehrheitsbeschafferin der Unionsparteien, denn die rot-grüne Koalition behielt im Bundestag eine schwache Mehrheit von 306 Sitzen gegenüber 295 von Union und FDP.
Das Wahlergebnis im einzelnen (mit den Vergleichszahlen von 1998) sah so aus:
SPD |
CDU |
CSU |
FDP |
Grüne |
PDS |
|||||||
Prozent | 38,5 | (40,9) | 29,5 | (28,4) | 9,0 | (6,7) | 7,4 | (6,2) | 8,6 | (6,7) | 4,3 | (5,1) |
Sitze | 251 | (298) | 190 | (198) | 58 | (47) | 47 | (43) | 55 | (47) | 2 | (36) |
Die rot-grüne Koalition mußte insgesamt Federn lassen, konnte Verluste der SPD aber durch Zugewinne der Grünen teilweise ausgleichen. Die Oppositionsparteien CDU, CSU und FDP legten zwar zu, doch reichte es im Gesamtergebnis nicht, um die parlamentarische Mehrheit zu erlangen. Die PDS blieb bei den Zweitstimmen unter der Fünf-Prozent-Hürde und konnte deshalb nur mit zwei direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag einziehen.
Wahlbeobachter führten das für die FDP enttäuschende Ergebnis auch auf die fehlende Koalitionsaussage zurück, die der Fiktion vom "Kanzlerkandidaten" Westerwelle geopfert worden war. Bei einer klaren Wahlaussage zugunsten des Union-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber wären möglicherweise mehr Anhänger von CDU und CSU bereit gewesen, ihre Zweitstimme der FDP zu geben.
Oder war es Möllemann, der ein besseres Wahlergebnis verhindert und dadurch die Regierungsbeteiligung verpatzt hatte? - Diese Sichtweise machte sich jedenfalls die FDP-Führung zueigen. Noch in der Wahlnacht forderte sie den stellvertretenden Parteivorsitzenden zum Rücktritt auf. Andernfalls, so drohte sie, werde ein Sonderparteitag seine Abwahl beschließen. "Das Vertrauensverhältnis zu Möllemann ist tief gestört" erklärte Präsidiumsmitglied Wolfgang Gerhardt.
Noch frisch in Erinnerung war das Faltblatt, das Möllemann fünf Tage vor der Bundestagswahl in Millionenauflage streuen ließ und das der Partei den Vorwurf eingetragen hatte, mit antisemitischen Untertönen auf Stimmenfang zu gehen. Unvergessen war auch noch die Affäre Karsli. Jetzt, wo der Stimmenfang ein so mageres Ergebnis erbracht hatte und niemand mit Blick auf parlamentarische Mehrheiten bei Laune gehalten werden mußte, schien die Stunde der Abrechnung mit dem ewigen Quertreiber gekommen.
Möllemann murrte zunächst über die "monokausale Erklärung" der Parteispitze für das schlechte Wahlergebnis und schien es sogar auf einen Sonderparteitag ankommen lassen zu wollen. Dann trat er aber doch am 23. September zurück, um der Partei, wie er durchaus machtbewußt wissen ließ, eine "Zerreißprobe und eine weitere Beschäftigung mit sich selbst" zu ersparen. Anscheinend wollte er, wie schon in der Vergangenheit, sich vorübergehend auf seine Hausmacht in Nordrhein-Westfalen zurückziehen, um zum geeigneten Zeitpunkt auf die bundespolitische Bühne zurückzukehren.
Seine Widersacher wollten aber genau das verhindern. Sie suchten deshalb nach einem handfesten Vorwurf, um Möllemann auch in Nordrhein-Westfalen demontieren zu können, wo die FDP bei den Bundestagswahlen um zwei Prozent zugelegt und mit 9,3 Prozent das beste Ergebnis aller Bundesländer erzielt hatte. Bundesschatzmeister Günter Rexrodt bekam den Auftrag, die finanziellen Quellen zu untersuchen, aus denen Möllemann geschöpft hatte. Vor allem ging es dabei um das umstrittene Flugblatt, das Möllemann ohne Absprache mit dem Bundesvorstand produziert und am 17. September in einer Auflage von über acht Millionen Stück verbreitet hatte.
Zunächst sollte ein Sonderparteitag der nordrhein-westfälischen FDP am 10. Oktober über das Schicksal Möllemanns entscheiden. Jedem war klar, daß ein Vertrauensvotum für den Landesfürsten ein schwerer Schlag für den Bundesvorstand und vor allem für Westerwelle gewesen wäre. Und es schien keineswegs sicher, welches der beiden Lager die Oberhand behalten würde. So war es wohl nicht nur aus der Sicht Möllemanns die beste Lösung, daß er einen "Schwächeanfall" erlitt und der Parteitag deshalb auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Wenige Tage später hatten die von Rexrodt beauftragten Wirtschaftsprüfer aber genug herausgefunden, um Möllemann einen strafrechtlich relevanten Verstoß gegen das Parteiengesetz vorwerfen zu können. Damit zeichnete sich auch in Nordrhein-Westfalen eine klare Mehrheit für den Sturz ab. "Wenn er selbst nicht den Notausgang findet, muß die Partei einen klaren Schlußstrich ziehen", sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Pinkwart, der im Einvernehmen mit dem Bundesvorstand als Nachfolger vorgesehen war. Möllemann kam einer förmlichen Aufforderung des Landesvorstands "zur Aufgabe aller politischen Ämter" zuvor, indem er am 20. Oktober schriftlich seinen Rücktritt als Vorsitzender der Landespartei und der Landtagsfraktion erklärte. Zugleich meldete er sich krank und begab sich zur Erholung in sein Ferienhaus auf Gran Canaria .
Erkenntnisstand war bis dahin, daß Möllemann zwei Tage vor der Bundestagswahl ein Sonderkonto eingerichtet hatte, auf dem bis zum 11. Oktober insgesamt 840.000 Euro an Spenden eingingen. Es handelte sich um 145 Einzelspenden zwischen 1000 und 8000 Euro. Mit dem Geld wurde die Rechnung der Post für die Postwurfsendung in Höhe von 838.000 Euro beglichen. Stutzig machte nicht nur die Übereinstimmung bei der Höhe der Beträge, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem das Konto errichtet und die Spenden eingezahlt worden waren. Am verdächtigsten war aber, daß die angegebenen Spender gar nicht existierten oder der FDP kein Geld überwiesen hatten. Offenbar hatte Möllemann die Spender frei erfunden, um die tatsächliche Herkunft der 840.000 Euro zu verschleiern.
Das war aber nach dem neuen Parteiengesetz eindeutig strafbar. Die seit 1. Juli 2002 geltende Fassung bedrohte in Paragraph 31 d mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe, wer "in der Absicht, die Herkunft oder die Verwendung der Mittel der Partei oder des Vermögens zu verschleiern ... als Empfänger eine Spende in Teilbeträge zerlegt und verbucht oder verbuchen lässt".
Weiterhin stellte sich heraus, daß die Rechnung der Post für die Verteilung des Faltblatts bereits am 12. September von einem anderen Konto beglichen worden war, das angeblich dem FDP-Landesverband gehörte. Die Buchung war aber rückgängig gemacht und die Post gebeten worden, ihre Forderung über das von Möllemann am 20. September neu eröffnete Spendenkonto einzuziehen. Der Grund dafür war offenbar der Wirbel, den mittlerweile die Verteilung des Faltblatts ausgelöst hatte. Denn das ursprüngliche Konto gehörte nicht dem FDP-Landesverband, sondern der Möllemann-Firma WebTec.
Ein Ultimatum des FDP-Bundesvorstands, die wirklichen Spender zu nennen, ließ der auf Gran Canaria weilende Möllemann verstreichen, indem er auf seine lädierte Gesundheit verwies. Nachdem die Partei rechtliche Schritte eingeleitet hatte, um ihn zur Auskunft zu zwingen, ließ er am 20. November über seine Anwälte mitteilen, er habe die Kosten für Druck und Vertrieb des Faltblatts in Höhe von insgesamt 980.000 Euro aus eigenen Mitteln bezahlt. Die Stückelung in zahlreiche Einzelbeträge sei deshalb erfolgt, weil er nicht als Spender einer so großen Summe in Erscheinung habe treten wollen. Die Belege für die 145 fingierten Spendeneinzahlungen zur Bezahlung der Postwurfsendung lagen dem Schriftsatz der Anwälte bei. Auf dieselbe Weise, so räumte Möllemann nun ein, habe er dem offiziellen FDP-Konto weitere 140.000 Euro zukommen lassen, um die Druckkosten des Faltblatts zu bezahlen.
Inzwischen stand aber bereits fest, daß noch weit mehr Gelder über schwarze Kassen geflossen waren, um die wirklichen Geldgeber zu verschleiern und das Finanzamt zu umgehen. So hatte Möllemann die Münsterländer FDP-Bundestagskandidaten Fred Staffelt und Manfred Drews mit Barspenden von 5000 und 3500 Euro unterstützt. Am 28. Oktober kündigte Rexrodt deshalb eine Untersuchung der gesamten Finanzen des nordrhein-westfälischen Landesverbandes an. Diese ergab unter anderem, daß der Landtagswahlkampf im Jahr 2000 mit bis zu 500.000 Euro aus schwarzen Kassen finanziert worden war. Die Landesgeschäftsstelle hatte sich dabei alle Mühe gegeben, die wirkliche Herkunft der Gelder zu verschleiern. Beispielsweise hatte sie Quittungen über 41 Barspenden ausgestellt und mit individuell gehaltenen Dankschreiben an die Spender versehen. Bis auf drei waren jedoch alle Spenden getürkt. Jedenfalls konnten die Prüfer keine zu den Namen gehörenden Personen ausfindig machen.
Am 27. November übergab Rexrodt seinen Prüfbericht dem Bundestagspräsidenten. Am folgenden Tag zog er vor der Presse eine vernichtende Bilanz des Düsseldorfer Finanzgebarens: Für das Jahr 1999 hätten 199.000 Mark an Spenden keiner Person zugeordnet werden können. Im Jahr 2000 seien es sogar 931.000 Mark gewesen. Die Fälschungen seien "mit großem handwerklichem Geschick und enormer Energie" vorgenommen worden und deshalb bei den üblichen Kontrollen der Rechenschaftsberichte nicht aufgefallen. Außerdem gebe es erhebliche Lücken in der Buchhaltung. So seien im Jahr 2000 mehr als 100.000 Mark ohne Belege ausgegeben worden. Rexrodt äußerte den Verdacht, daß dieses Geld für Möllemanns Wahlkampfzentrale "Werkstatt 8" und die Honorierung des damaligen Wahlkampfleiters Fritz Goergen verwendet worden sein könnte.
Inzwischen ermittelte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen Möllemann, den Landesgeschäftsführer Hans-Joachim Kuhl und drei weitere Vertraute des ehemaligen Landesfürsten wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz. Sie warf Möllemann vor, seit Mitte der neunziger Jahre in Luxemburg ein Konto unterhalten zu haben, auf dem Millionensummen am deutschen Fiskus vorbei geschleust wurden. Kurz vor der Bundestagswahl habe Kuhl von diesem Konto eine Million Euro abgehoben und unter fiktiven Spender-Namen auf andere Konten eingezahlt, um die Kosten des Faltblatts zu bezahlen.
Möllemann ließ dazu seine Anwälte erklären, daß ihm das Geld von einem Geschäftsfreund namens Rolf Wegener überwiesen worden sei. Es habe sich um eine Art Vorschuß für ein vereinbartes Geschäft gehandelt.
Wegener war zuvor schon in Presseberichten als mutmaßlicher Finanzier des Faltblatts genannt worden: Er mache sein Geld mit dunklen Geschäften in der Immobilien-, Energie-, Rüstungs- und Fußballbranche, residiere hauptsächlich in Monaco und sei mit Möllemann seit vielen Jahren verbandelt. Schon 1996 habe er Möllemanns Comeback in Düsseldorf unterstützt, indem er über seine Düsseldorfer Vermögens- und Verwaltungsgesellschaft "Delphi" der chronisch klammen Landes-FDP 300.000 Mark zukommen ließ. In Gebäuden der Firma "Delphi" residiere auch Möllemanns Firma WebTec, die ihr Geld angeblich mit "Export- und Wirtschaftsberatung" verdiene, in Wirklichkeit aber eher eine Luftnummer zur Tarnung von Möllemanns Geldquellen sei.
Nach Vorlage des Rexrodt-Berichts leitete auch die Staatsanwaltschaft Münster ein Verfahren ein: Zum einen sah sie den Verdacht der Untreue zum Nachteil der FDP gegeben, da der Bundespartei aufgrund der fehlerhaften Rechenschaftsberichte aus Düsseldorf erhebliche Strafzahlungsforderungen durch den Bundestagspräsidenten drohten. Zum anderen ergab sich für sie ein Betrugsverdacht, weil die Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung, welche die FDP aufgrund der angeblichen Spenden erhalten hatte, widerrechtlich kassiert worden waren. Das Ermittlungsverfahren richtete sich aber zunächst nicht gegen Möllemann, sondern gegen "Unbekannt".
Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nahm das FDP-Präsidium zum Anlaß, um Möllemann, der bereits alle Parteiämter verloren hatte, nun auch zum Austritt aus der FDP aufzufordern: Wenn er nicht bis 2. Dezember freiwillig die Partei verlasse, werde man dem Bundesvorstand die Einleitung eines Parteiausschlußverfahrens vorschlagen. Möllemann habe "die Grundachse der FDP verschieben" und aus ihr eine "rechtspopulistische Partei" machen wollen, erklärte der Parteivorsitzende Westerwelle am 25. November.
Möllemann meldete sich daraufhin zum ersten Mal seit acht Wochen wieder in der Öffentlichkeit: In einem Interview mit der Illustrierten "stern" deutete er an, daß sein Ausschluß aus der Partei zu einer Neugründung führen könnte, die für die FDP den parlamentarischen Tod bedeuten würde. Zugleich beklagte er in einem ARD-Fernsehinterview den geplanten Ausschluß aus der "liberalen Familie". Er wirkte dabei ungewöhnlich nachdenklich, friedfertig und so angegriffen, wie es seinem offiziellen Gesundheitszustand entsprach. Offenbar wollte er sich dem Publikum als Opfer der Parteiführung präsentieren, die eine Kampagne gegen ihn entfesselt habe, während er mit Herzproblemen darniederlag. Er sprach davon, daß er bei einem Ausschluß "kämpfen" werde, was erneut als Drohung mit der Neugründung einer Partei aufgefaßt werden durfte.