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Auf Schmusekurs mit den KonzernenDie Hauptverantwortung für acht Jahre verfehlte Deregulierung trägt die rot-grüne BundesregierungEs war die Schuld einer Bundesregierung aus Union und FDP, daß 1998 das „natürliche Monopol“ des Netzbetriebs nicht wirksam neutralisiert wurde und so die „Liberalisierung“ des Energiemarktes auf die schiefe Bahn geriet. Die Verantwortung als Bundeskanzler trug damals Helmut Kohl (CDU). Das Wirtschaftsministerium oblag dem FDP-Politiker Günther Rexrodt. Dieser pflegte zwar ein besonders inniges Verhältnis zu Wirtschaftskreisen, hatte aber kaum eine Ahnung von den technisch-wirtschaftlichen Besonderheiten der Stromwirtschaft, die unter seiner Amtsführung „liberalisiert“ wurde. Immerhin war er aber studierter Betriebswirt und Diplomkaufmann. Insofern hätte er wissen können, daß ein „natürliches Monopol“ wie der Betrieb des Stromnetzes nicht durch freiwillige Vereinbarungen der Marktpartner neutralisiert werden kann, sondern von vornherein einer strikten Regulierung unterworfen werden muß. Allerdings wurde diese Bundesregierung bzw. die sie stützende parlamentarische Mehrheit im Bundestag schon fünf Monate nach Inkrafttreten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes abgewählt. Union und FDP haben somit zwar den Geburtsfehler des neuen Energierechts verschuldet. Man kann ihnen aber nicht vorwerfen, ihn beibehalten und noch verschlimmert zu haben. Dieser Vorwurf trifft vielmehr die beiden folgenden rot-grünen Bundesregierungen unter dem Kanzler Gerhard Schröder. Und hier trifft er vor allem die SPD, die immer wieder die vier großen Strom- und Gaskonzerne in besonderem Maße begünstigte und der Oligopolisierung des Energiemarktes Vorschub leistete. So sperrte sich Schröders Wirtschaftsminister Werner Müller bis ans Ende seiner Amtszeit gegen die Absicht der EU-Kommission, europaweit –und damit auch in Deutschland – die Einrichtung von Regulierungsbehörden vorzuschreiben. Stattdessen tat er der Stromwirtschaft den Gefallen, die Festschreibung der umstrittenen Verbändevereinbarungen als „gute fachliche Praxis“ in einer Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz voranzutreiben. Als er im Frühjahr 2002 tatsächlich einmal mit der Einsetzung einer Regulierungsbehörde drohte, war das so ernst nicht gemeint: Es ging Müller nur darum, die Verbände der Gaswirtschaft zur Räson zu bringen, die nicht einmal bereit waren, sich über eine neue Verbändevereinbarung zu verständigen. Inzwischen zeichnete sich aber immer deutlicher ab, daß es in Brüssel keine Ausnahmegenehmigung zur Beibehaltung der Verbändevereinbarungen in Deutschland geben würde. Schon im März 2001 hatte die Kommission eine lückenlose Regulierung verlangt. Im Juli 2003 war es amtlich: Die neue Strom-Richtlinie verpflichtete alle EU-Mitglieder zur Einführung von Regulierungsbehörden bis zum 1. Juli 2004 und zur rechtlichen Entflechtung des Netzbetriebs bis zum 1. Juli 2007. „Wettbewerbsbehörde“ anstelle von Regulierungbehörde sollte Verbändevereinbarungen nur ergänzen statt ersetzenVor diesem Hintergrund war es eher passiver Widerstand als aktive Wettbewerbspolitik, wenn die zweite Bundesregierung unter Gerhard Schröder im März 2003 – als die Grundzüge der Neuregelung längst bekannt waren – die Einrichtung einer nationalen „Wettbewerbsbehörde“ bis zum 1. Juli 2004 ankündigte. Dem neuen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) gelang es jedoch, dies als Zugeständnis an die Grünen erscheinen zu lassen, die schon wiederholt die Einrichtung einer Regulierungsbehörde verlangt hatten. Als „Gegenleistung“ für das vermeintliche Entgegenkommen ihres Koalitionspartners akzeptierten die Grünen eine von Clement betriebene „Härtelfallregelung“, die stromintensive Betriebe weitgehend von den Belastungen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz befreite. Wolfgang Clement und sein Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch wollten die von der EU vorgeschriebene Regulierungsbehörde nicht nur sprachlich zu einer „Wettbewerbsbehörde“ verharmlosen. Sie stellten sich die Wettbewerbsbehörde zunächst lediglich als eine Art Aufpasser vor, der die Verbändevereinbarungen nicht abschaffen, sondern genehmigen und überwachen sollte. Eine etwas schärfere Gangart schlugen sie erst ein, als die Gaswirtschaft im Mai 2003 keinerlei Bereitschaft zeigte, in den Verhandlungen über eine neue Verbändevereinbarung einen entfernungsunabhängigen Transporttarif zu akzeptieren. „Die Verbände haben eine wichtige Chance vertan, die nach den europäischen Vorgaben einzurichtende Regulierung möglichst schlank zu halten“, bedauerte Adamowitsch. Man werde nun nicht umhin können, den „Netzzugang umfassend zu regeln“. Aber noch immer verhielt sich die Bundesregierung gegenüber den neuen EU-Bestimmungen wie ein Hund, den man zum Jagen tragen muß: So trafen sich Schröder und Clement im August 2003 mit den Chefs der vier Stromkonzerne zu einem Spitzengespräch, bei dem sie durchblicken ließen, daß die Energiemarkt-Regulierung der bereits bestehenden Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation übertragen werde – und nicht etwa dem Bundeskartellamt, das für seine kritische Haltung gegenüber den Stromkonzernen bekannt war und sich bereits bestens in der Materie auskannte. Netzentgelte sollten nur nachträglich und nur vergleichend überprüft werden dürfenAuch im Rahmen der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation sollte die Regulierung sehr milde ausfallen. Nach Clements Gesetzentwurf wäre die Regulierungsbehörde lediglich zu einer nachträglichen Überprüfung der Netzentgelte ermächtigt worden. Außerdem hätte sie diese Überprüfung nur in den engen Grenzen des Vergleichsmarktkonzepts vornehmen dürfen, das mit der dritten Verbändeeinbarung eingeführt worden war. Sie hätte also nicht die tatsächlichen Kosten der Netzbetreiber überprüfen dürfen, sondern blindlings alle Netzentgelte akzeptieren müssen, die denen „eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen“. Großzügige Gewinnmarge durch „Nettosubstanzerhaltung“Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, was unter „effizient“ zu verstehen sei, räumte Clements Gesetzentwurf den Netzbetreibern außerdem die „Nettosubstanzerhaltung“ als Bestandteil der Netzentgelte ein. Im Unterschied zur Realkapitalerhaltung nimmt die Nettosubstanzerhaltung keine Rücksicht auf Differenzen zwischen abgeschriebenem Wiederbeschaffungswert und tatsächlichen Anschaffungskosten. Den Netzbetreibern wurden damit Extra-Gewinne garantiert. Clement ließ ferner die Verordnungen, die das Energiewirtschaftsgesetz konkretisieren sollten, weitgehend im Sinne der vier Konzerne formulieren. Zum Beispiel überließ er es in der Netzzugangsverordnung den Netzbetreibern, die Höhe von Mindestangeboten für Regelenergie festzulegen. Damit konnten die vier Großstromerzeuger die Mindestangebote so hoch ansetzen, daß praktisch nur ihre eigenen Kraftwerke als Anbieter in Betracht kamen. Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht um ein ganzes Jahr verschlepptZusätzlich verschleppte die Bundesregierung die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht um gut ein Jahr. Erst am 28. Juli 2004 verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf des neuen Energiewirtschaftsgesetzes, das eigentlich schon bis Beginn dieses Monats in Kraft treten sollte. Vermutlich verfolgten Schröder und Clement damit die Taktik, Bundestag und Bundesrat so unter Zeitdruck zu setzen, daß sie das branchenfreundliche Gesetz ohne große Änderungswünsche passieren lassen würden. Bei den Unionsparteien waren aber die Alarmrufe von Stromkunden und untergebutterten Wettbewerbern nicht ungehört verhallt. Bereits im Juli 2004 hatte die Monopolkommission in ihrem 15. Hauptgutachten eine niederschmetternde Bilanz von Schröders Energiepolitik gezogen und in Clements Gesetzentwurf „keine substantielle Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen für den Elektrizitätssektor zu erkennen“ vermocht. Auch die Verbraucherverbände – traditionell eher der SPD als der Union zugetan – übten mittlerweile erbitterte Kritik an der Verschleppung der Regulierungsbehörde durch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und warfen der Bundesregierung vor, die „Selbstbedienungsmentalität der Stromkonzerne“ zu dulden. Nur widerstrebend akzeptiert die Bundesregierung die wichtigsten Änderungswünsche des BundesratsVor diesem Hintergrund bestanden im September 2004 die unionsregierten Länder, die im Bundesrat die Mehrheit besaßen, auf umfangreichen Änderungen an Clements Gesetzentwurf. Vor allem verlangten sie eine Vorab-Genehmigung der Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde, die anschließende Einführung einer sogenannten Anreizregulierung und die Streichung der Nettosubstanzerhaltung. Ihr Wortführer, der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel, begründete die Notwendigkeit einer Vorab-Genehmigung mit den Worten: „Bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, muß reguliert werden. Wir dürfen den Netzbetreibern keine Spielräume für mißbräuchliche Verhaltensweisen lassen.“ Clement sträubte sich zunächst und verwies auf den Zeitdruck, den er selber verschuldet hatte. Ende Oktober 2004 erklärte sich die Bundesregierung dann aber doch bereit, die Forderung des Bundesrats nach einer „Anreizregulierung“ aufzugreifen und bis zu deren Inkrafttreten auch eine Vorab-Genehmigung der Netzentgelte zu akzeptieren. Clement will die Energiekonzerne noch mehr begünstigen und das Gesetz am Bundesrat vorbei beschließen lassenAndere Forderungen des Bundesrats wie die nach Streichung der Nettosubstanzerhaltung wurden abgelehnt. Stattdessen wollte Clement den Stromkonzernen weitere Zugeständnisse machen. Anfang November 2004 vereinbarte er mit den Chefs von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW, daß sie auch die Körperschaftssteuer über die Netzentgelte abwälzen dürften, wenn sie dafür Großverbrauchern wie der Aluminiumindustrie preislich entgegenkommen würde. Leidtragende wären wieder mal die anderen Netzkunden und Letztverbraucher gewesen. Rhiel schrieb daraufhin einen Brief an Clement, indem er klarstellte, daß er mit diesem „marktwirtschaftlichen Sündenfall“ im Bundesrat nicht durchkommen werde. Clement war aber noch immer nicht davon abzubringen, den Taschenträger für die Konzerne zu machen. Er verfiel nun sogar auf die Idee, die Ländervertretung mit juristischen Mitteln auszutricksen: Der Entwurf des neuen Energiewirtschaftsgesetzes sollte so umformuliert werden, daß er nicht mehr der Zustimmung des Bundesrats bedurfte und nur mit den Stimmen der rot-grünen Mehrheit im Bundestag hätte verabschiedet werden können. Bei dieser Gelegenheit sollte für stromintensive Betriebe mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100 Gigawattstunden eine Halbierung der Netzentgelte festgeschrieben und nach dem Muster der EEG-Härtefallregelung auf die anderen Letzverbraucher abgewälzt werden. So vereinbarten es Clement und die Chefs der vier Stromkonzerne bei einem Gespräch, das am 21. Januar 2005 stattfand und nur durch eine Indiskretion bekannt wurde. Die vier Konzernchefs begrüßten dabei seine Absicht, den Gesetzentwurf so umzuformulieren, daß er möglichst schnell und ohne Einspruchsmöglichkeit des Bundesrats zu geltendem Recht würde. Die Bundesregierung ließ es es dann doch nicht zu dieser Umgehung und Mißachtung der Ländervertretung kommen. – Wohl deshalb, weil der Griff in die juristische Trickkiste auch große Risiken barg und das neue Energiewirtschaftsgesetz von Anfang an auf höchst unsichere Füße gestellt hätte. Am 10. März 2005 einigten sich SPD und Grüne auf einen neuen Gesetzentwurf, der die bereits erwähnten Zugeständnisse an den Bundesrat enthielt, ohne der Stromwirtschaft zusätzliche Vorteile einzuräumen, wie es Clement gewünscht hatte. Sechs Tage später kam aus Brüssel die zweite Mahnung, weil die Richtlinie noch immer nicht umgesetzt war. „Nettosubstanzerhaltung“ wird zwar gestrichen, aber durch die Hintertür für „Altanlagen“ wieder eingeführtDer Bundestag billigte das so veränderte Gesetz am 15. April 2005 in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen der rot-grünen Regierungsmehrheit. Der Bundesrat versagte dagegen erneut seine Zustimmung und verwies es in den Vermittlungsausschuß, weil es noch immer keinen hinreichenden Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt gewährleiste. So kam es noch zu einer Reihe von Änderungen. Vor allem wurde die Vorab-Genehmigung auch auf die Netzentgelte für Gas ausgedehnt, der Zugang der Gasanbieter zu den Netzen erleichtert und die Mitwirkung der Länder bei der Ausgestaltung der „Anreizregulierung“ erweitert. Außerdem erreichten die Länder endlich die Streichung der Nettosubstanzerhaltung als Kalkulationsprinzip. Die später erlassene Stromnetzentgeltverordnung hat dann allerdings die Nettosubstanzerhaltung, obwohl sie im Energiewirtschaftsgesetz selber getilgt wurde, durch die Hintertür wieder eingeführt und die Realkapitalerhaltung auf nach dem 1.1.2006 errichtete Neuanlagen beschränkt. Das Energiewirtschaftsgesetz wurde in dieser Form Mitte Juni 2005 sowohl vom Bundestag als auch vom Bundesrat abschließend gebilligt und trat am 13. Juli in Kraft. Schröder und Clement wußten zu diesem Zeitpunkt bereits, daß sie nicht mehr lange im Amt sein würden. Sie hatten nicht nur im Bereich der Energiewirtschaft versagt. Die Bilanz der rot-grünen Bundesregierung war generell so schlecht, daß Schröder bereits im Mai 2005 vorgezogene Bundestagswahlen für den Herbst angekündigt hatte. Angeblich wollte er damit seine parlamentarische Mehrheit festigen. Das war in mehrfacher Hinsicht eine absurde Begründung: Zum einen konnte er die knappe Regierungsmehrheit, die er tatsächlich besaß, durch Neuwahlen nur verlieren. Zum anderen wurde die Unionsmehrheit im Bundesrat, die ihm tatsächlich – und glücklicherweise, muß man hinzufügen – die Gesetzgebung erschwerte, durch das Ergebnis von Bundestagswahlen überhaupt nicht beeinflußt. In Wirklichkeit trat der routinierte Selbstdarsteller Schröder die Flucht nach vorn an, um sich einen einigermaßen passablen Abgang zu sichern, bevor die turnusmäßigen Bundestagswahlen im Herbst 2006 ihm ein noch verheerenderes Ergebnis bescheren würden.
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