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(Aus: Udo Leuschner, „Kurzschluß - wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde“, S. 239 - 249)

 

Die Starken sind am mächtigsten allein

Lobbying wird noch wichtiger – doch das neue Umfeld schwächt die Rolle der Verbände

In den neunziger Jahren beschleunigte sich der Rückzug der öffentlichen Hand aus der Stromversorgung, wofür teils die nunmehr sich epidemisch ausbreitende Doktrin des Neoliberalismus, zunehmend aber auch die nackte Finanznot von Kommunen und Ländern verantwortlich war. Damit verringerte sich auch der direkte Einfluß politischer Instanzen auf die Stromunternehmen. Die 1998 einsetzende Liberalisierung der Branche mit der erst rechnungsmäßigen und dann auch gesellschaftsrechtlichen Entflechtung des Netzbetriebs von den anderen Unternehmensbereichen tat ein weiteres, um parteipolitischen Durchgriffsmöglichkeiten den Boden zu entziehen.

Das heißt nun allerdings nicht, daß die Branche unpolitisch geworden wäre. Es war eher so, daß sich nun das alte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft umzukehren begann. Oder besser gesagt: Das bisherige Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft wurde im neoliberalen Sinne aufgehoben, indem sich der politische Gestaltungswille selbst kastrierte und nur noch dort mit harter Hand durchgriff, wo es neoliberale Grundsätze durchzusetzen galt.

Anstoß zum „Energiekonsens“ kam nicht von der Politik, sondern von der Energiewirtschaft

Das jahrelange politische Ringen um die Kernenergie, das schließlich 2004 zu einer kompletten Neufassung des Atomgesetzes im Sinne eines Ausstiegsgesetzes führte, widerspricht dem nicht. Es zeigt vielmehr anschaulich, wie die Politik ihren Primat verlor: Denn es war die Politik in Gestalt der bayerischen Landesregierung, die zunächst das alte atomare Konzept der „Wiederaufarbeitung“ durchzusetzen versuchte und dafür sogar bürgerkriegsähnliche Zustände in Kauf nahm. Dagegen war es die Wirtschaft in Gestalt des Veba-Chefs Rudolf v. Bennigsen-Foerder, die im Frühjahr 1989 auf den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf verzichtete und damit die bayerische Landesregierung desavouierte.

Und dabei blieb es es nicht: Bennigsen-Foerders Nachfolger Klaus Piltz gab Ende 1992 gemeinsam mit dem RWE-Vorstandsvorsitzenden Friedhelm Gieske den Anstoß für die Verhandlungen über einen „Energiekonsens“, indem er in einem Brief an den Bundeskanzler eine Klärung der künftigen Rolle der Kernenergie verlangte und auf einen Ausweg aus der energiepolitischen Konfrontation der vergangenen Jahre drängte. Es ging den beiden dabei nicht unbedingt um einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden, sondern in erster Linie um die langfristige Sicherung des Stromgeschäfts, das ebenso – in mancher Hinsicht sogar noch besser – auf fossile Energieträger gegründet werden konnte.

Selbst dort, wo Politiker demonstrativ die Muskeln spielen ließen, war es eher das Gehabe eines Body-Builders: So verpflichtete der Hamburger Senat 1992 die ihm damals noch zu 72 Prozent gehörenden „Hamburgischen Electricitäts-Werke“ (HEW), den Ausstieg aus der Kernenergie in die Unternehmenssatzung aufzunehmen. Der Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie sollte „so zügig, wie das rechtlich möglich und für die Gesellschaft wirtschaftlich vertretbar ist“ erfolgen. Da die HEW ihren Strombedarf zu achtzig Prozent aus Kernenergie deckten, hätte das einen einschneidenden Wechsel der Unternehmensstrategie bedeuten können. In der Praxis hatte die politische erzwungene Auflage für die HEW aber keinerlei Bedeutung. Sie war eigentlich nur ein deklamatorischer Akt im politischen Tagesgeschäft und wurde deshalb weder von den Urhebern noch dem betroffenen Unternehmen sonderlich ernst genommen.

Das neue Verhältnis zwischen Stromwirtschaft und Politik gab der Lobby-Arbeit starken Auftrieb. Früher war Lobbying weitgehend entbehrlich, weil die öffentliche Hand als Eigentümer dominierte. Diese war ihr eigener Lobbyist. Als Eigentümer und Kontrolleur saß sie auch am längeren Hebel, wenn Interessenkonflikte mit dem Management eines Stromunternehmens auftraten. Lobbying beschränkte sich deshalb für die allermeisten Unternehmen auf die Mitgliedschaft in den Verbänden VDEW, VKU, ARE oder VIK, die das allgemeine Brancheninteresse oder spezifische Interessenlagen der kommunalen, regionalen und industriellen Stromwirtschaft repräsentierten.

Nun aber wurde selbst von kommunalen und regionalen Stromversorgern, die noch nicht mehrheitlich privatisiert worden waren, die Behauptung im Wettbewerb und entsprechende Einflußnahme auf die immer schneller wechselnden und unübersichtlicher werdenden politischen Rahmenbedingungen erwartet. Diese Aufgabe konnte nur das Management vollbringen. Zugleich wurde es für die Verbände zunehmend schwieriger, das allgemeine oder spezifische Brancheninteresse ihrer Mitglieder zu formulieren und als kompetenter Verhandlungspartner der Politik aufzutreten. Das lag zum einen daran, daß die größten Unternehmen lieber ihre eigene Lobby-Arbeit betrieben, statt sich auf die Verbände zu verlassen, die ihrer Natur nach sowieso keine Maßarbeit für einzelne Unternehmen liefern konnten. Es lag aber auch daran, daß einzelne Branchenriesen sogar die Verbände in ihrem Sinne zu instrumentalisieren versuchten und so deren Position zusätzlich untergruben.

Divergierende Interessen bei den VDEW-Mitgliedern

Die „Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke“ (VDEW) litt in besonderem Maße unter diesem Problem. Als sie 1992 ihr hundertjähriges Bestehen feierte, war sie noch ein Spiegelbild der ständisch verfaßten Branche, in der Verbundunternehmen, Regionalversorger und Stadtwerke ihre jeweils eigenen Reviere hatten, die ihnen niemand streitig machte. Den Verbandspräsidenten stellten abwechselnd Kommunen, Regionalversorger und Verbundunternehmen. Im Zweifelsfall hatten schon damals die Verbundunternehmen das Sagen, doch störte das die kleineren Mitglieder nicht allzusehr, zumal sie ihrerseits von Dienstleistungen des Verbands profitieren konnten, die für die Großen eher überflüssig waren.

Nachhaltig gestört wurde das einträchtige Nebeneinander erst durch die Liberalisierung des Strommarkts. Der VDEW – durch die Umbenennung in „Verband der Energiewirtschaft“ war die Abkürzung 2001 männlich geworden – erklärte sich nun zum „schlanken“ Lobby-Verband. Eine ganze Reihe bisheriger Dienstleistungen des Verbands, von der Kompetenz in technischen Fragen bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit der formal eigenständigen „Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft“ (IZE), wurden ersatzlos eingestellt bzw. den bereits bestehenden Fachverbänden VGB, HEA, AGFW sowie dem neu gegründeten „Verband der Netzbetreiber“ (VDN) überlassen. Zur neuen Rolle als Lobby-Verband der Stromwirtschaft gehörte der Umzug von Frankfurt nach Berlin. Zugleich firmierte der VDEW nun als Dachverband der genannten Fachverbände, was aber lediglich eine Art Papierkrone war.

Als reiner Lobby-Verband konnte der VDEW relativ mühelos mit dem Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) zusammengelegt werden, wie dies die vier großen Stromkonzerne Ende 2005 in einem Papier erwogen. Allerdings riskierten sie dabei, daß kommunale und andere Stromversorger, die sich vom VDEW keinen Nutzen mehr versprachen, nun den Verband verließen. Denn auch hinsichtlich des Lobbying fühlten sich die meisten der Stadtwerke – die achtzig Prozent der rund 750 VDEW-Mitglieder ausmachten – beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) besser aufgehoben oder befürchteten sogar, den Interessen der vier tonangebenden Konzerne geopfert zu werden. Dasselbe galt für Mitglieder des BGW.

Prompt erklärten nach dem Bekanntwerden des Papiers die Stadtwerke von Ludwigshafen, Rosenheim, Soest, Unna und Aachen ihren Austritt aus dem Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW). Die Technischen Werke Ludwigshafen (TWL) kündigten außerdem ihren Austritt aus dem VDEW an. Die fünf Stadtwerke begründen ihren Austritt hauptsächlich mit der verbandspolitischen Ausrichtung von BGW und VDEW, die eher den Interessen der großen Konzerne als denen der lokalen Energieversorger verpflichtet sei. Mit derselben Begründung verließen bereits 2001 die Hamburger Wasserwerke (HWW) den BGW.

 

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Lobbyisten und Parlamentarier zugleich: Parteiübergreifend setzten sich die Bundestagsabgeordneten Günter Rexrodt (links) und Peter Danckert für die Genehmigung der Fusion von E.ON und Ruhrgas ein.

Fotos: Bundestag

Die besten Lobbyisten sitzen selber im Parlament oder in der Regierung

Die Großunternehmen der Branche hatten sich noch nie auf die Verbände verlassen, sondern betrieben seit jeher ihr eigenes Lobbying. Unterstützung erhielten sie dabei nicht nur durch Leute, die als Lobbyisten ganz offiziell auf der Gehaltsliste standen, sondern auch durch allerlei hilfswillige Volksvertreter und Amtsinhaber. Nach Recherchen der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ hatten im Jahr 2002 mindestens 50 Bundestagsabgeordnete Aufsichtsratsmandate bei Unternehmen und gleichzeitig einen Sitz in Ausschüssen, die über solche Gesetze mitbestimmen, die diese Unternehmen betreffen. Über solche Personalunionen ergab sich natürlich eine wirksamere Form der politischen Einflußnahme, als dies dem offiziell akkreditierten Lobbyisten durch sein Antichambrieren in Abgeordneten-Büros und Ministerien möglich war.

Beispielsweise gehörte der Bundestagsabgeordnete Günther Rexrodt (FDP), in dessen Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister die Liberalisierung des Strommarktes zustande kam, gleich acht Aufsichtsräten, Beiräten und sonstigen Gremien von Unternehmen an. Eines davon war das Berliner PR-Unternehmen WMP Eurocom AG, das sich auf Unternehmens- und Politikberatung spezialisiert hatte. Zusammen mit dem früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und dem ehemaligen „Bild“-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje war Rexrodt auch Eigentümer des Unternehmens, dessen Vorstand zudem der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert angehörte. Hauptkunden des Unternehmens waren nicht ganz zufällig die Stromkonzerne E.ON und Vattenfall. – Vor diesem Hintergrund nahm es nicht wunder, daß sich die beiden Bundestagsabgeordneten Rexrodt und Danckert parteiübergreifend für die Genehmigung der Fusion von E.ON und Ruhrgas einsetzten, nachdem das Bundeskartellamt sein Veto eingelegt hatten.

Stellvertretender energiepolitischer Sprecher der SPD unterstützt Vattenfall beim Einstieg in Deutschland


Vattenfall zu Diensten: Reinhard Schultz (SPD)

Foto: Bundestag

Als der schwedische Vattenfall-Konzern über die „Hamburgischen Electricitäts-Werke“ (HEW) in den deutschen Strommarkt einstieg, bediente er sich des stellvertretenden energiepolitischen Sprechers der SPD im Bundestag, Reinhard Schultz: Über das ihm gehörende Unternehmen „Schultz Projekt Consult“ bekam der Bundestagsabgeordnete vom damaligen HEW-Chef Manfred Timm den Auftrag, HEW/Vattenfall bei der Übernahme von Bewag, Veag und Laubag zu unterstützen. Unter anderem geschah dies dadurch, daß Schultz in der Auseinandersetzung zwischen HEW und Mirant um die E.ON-Anteile an der Berliner Bewag eine Stellungnahme gegenüber der „Financial Times Deutschland“ abgab, wonach Mirant bei einer Übernahme der Bewag-Mehrheit keine Aussicht gehabt hätte, im zweiten Schritt den geplanten Einstieg bei der ostdeutschen Veag zu vollziehen. Der Lohn blieb nicht aus: Später saß Schulz sowohl bei der Veag als auch bei der Laubag im Aufsichtsrat. Einen Konflikt zwischen seinen politischen Ämtern und der Lobby-Tätigkeit vermochte der Volksvertreter indessen nicht zu erkennen: Schließlich habe er nicht der Bundesregierung angehört und deshalb „keinen Einfluß gehabt“, meinte er auf entsprechende Vorhaltungen.

Auch sonst setzte sich Schultz ungeniert für die Energiekonzerne ein. Als „Mittelstandsbeauftragter“ der SPD warf er im Oktober 2006 dem Bundeswirtschaftsminister Glos (CSU) vor, dessen Pläne zur Verschärfung des Kartellrechts könnten „eine Idee von Günter Mittag sein, dem letzten Wirtschaftsminister der DDR“ sein. Als im Dezember 2006 die EU-Kommission den deutschen Zuteilungsplan für die zweite Periode des Handels mit Emissionsrechten radikal zusammenstrich, meldete sich Schultz mit der schrillsten aller Lobbyisten-Stimmen zu Wort, indem er die Rückgängigmachung der Abstriche verlangte. Andernfalls müsse „geprüft werden, ob das europäische C02-Handelssystem nicht gesprengt werden kann“. Der SPD-Volksvertreter saß noch immer im Aufsichtsrat des Braunkohleförderers Laubag, der inzwischen in Vattenfall Europe Mining AG umbenannt worden war.

Die erstaunliche Karriere des VEW-Lobbyisten Georg Wilhelm Adamowitsch

Die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) beschäftigten von 1993 bis 1995 einen Mann namens Georg Wilhelm Adamowitsch als „Beauftragten für Bundes- und Europaangelegenheiten“, was die Umschreibung für Lobby-Arbeit in Bonn und Brüssel war. Wie viele andere leitende Angestellte des von sozialdemokratischen Kommunen dominierten Stromversorgers besaß er das Parteibuch der SPD. Über diese parteipolitische Schiene wurde er anschließend Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf unter dem SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement.

Auch als rechte Hand von Wolfgang Clement verhielt sich Adamowitsch kaum anders wie ein Lobbyist der Stromwirtschaft: So signalisierte er einem britischen Investor, der bei Hürth ein besonders effizientes und deshalb steuerbefreites Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) bauen wollte, daß man das Kriterium des gesetzlich erforderlichen Wirkungsgrads von 57,5 Prozent so restriktiv auslegen werde, daß nicht mit einer Steuerbefreiung zu rechnen sei. Denn aus physikalischen Gründen war zu erwarten, daß am vorgesehenen Standort der Wirkungsgrad trotz optimaler Technik ganz minimal unter dieser Marke bleiben könnte. Der scholastisch anmutende Streit um Bruchteile eines Prozents nutzte dem Braunkohleverstromer RWE, der die GuD-Konkurrenz mit scheelen Augen sah und inzwischen Adamowitschs früheren Arbeitgeber VEW geschluckt hatte.

 

Adamowitsch blieb trotz seines SPD-Parteibuchs auch unter dem CSU-Minister Glos Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Hier spricht er Anfang 2006 auf der Veranstaltung „Business to Government“.

BMWi-Pressebild

Als Clement dann unter Gerhard Schröder das Bundeswirtschaftsministerium übernahm, wurde Adamowitsch sein Staatssekretär und bundesweit für energiewirtschaftliche Fragen zuständig. Er versah dieses Amt in einer Weise, das die Stromwirtschaft vielfach beglückte: Beispielsweise erreichte er die Verwässerung des Zuteilungsplans für Emissionszertifikate und reagierte äußerst allergisch auf Kritik der Monopolkommission, als diese der Bundesregierung die Begünstigung von Stromkonzernen zu Lasten des Wettbewerbs vorwarf. Als schließlich auf Weisung aus Brüssel auch in Deutschland der Netzbetrieb reguliert werden mußte, setzte sich Adamowitsch für eine möglichst zahnlose Regulierungsbehörde ein, indem er ihr beispielsweise nur eine „ex post“-Kontrolle der Netznutzungsentgelte zugestehen wollte.

In der folgenden Regierung der Großen Koalition behielt Adamowitsch zunächst seinen Posten im Wirtschaftsministerium, obwohl sein Chef nun der CSU-Minister Glos war. Man sah ihn anscheinend nicht als SPD-Mitglied. Im April 2006 verbreitete die Zeitung „Die Welt“ sogar das Gerücht, Adamowitsch sei der aussichtsreichste Anwärter für die Leitung der Bundesnetzagentur, wenn Matthias Kurth im Herbst zum Generalsekretär der UNO-Organisation International Telecommunications Union gewählt werden sollte. Nur ein paar Wochen später meldete dann aber „Die Zeit“, daß Glos den Staatssekretär nun doch entlassen werde – nicht etwa wegen seines SPD-Parteibuchs, sondern wegen seiner notorischen Unternehmensnähe, die selbst dem CSU-Politiker zu weit ging.

Der Energie-Manager Werner Müller wird Minister


Doppelter Salto vom Manager zum Politiker und zurück: Werner Müller.

RAG-Pressebild

Wie inzwischen die Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft zu verschwimmen begannen und wie unwichtig dabei oft Parteibücher waren, zeigt exemplarisch Werner Müller, den Schröder 1998 zu seinem ersten Wirtschaftsminister machte. Die beiden kannten sich bereits seit Anfang der neunziger Jahre, als Müller für die Veba die Verhandlungen über den Energiekonsens führte und gemeinsam mit Schröder die Niedersächsische Energie-Agentur gründete. Müller war eigentlich nur ein Lückenbüßer, nachdem Schröder ein anderer Kandidat für das Amt des Wirtschaftsministers abgesprungen war. Er besaß auch kein Parteibuch. Im Unterschied zu dem abgesprungenen Kandidaten verfügte er aber über unzweifelhafte Fachkenntnis, vor allem im Bereich der Energiewirtschaft: Müller begann seine Laufbahn 1973 bei RWE und war dort zuletzt Leiter des Referats „Marktanalysen“. 1979 wechselte er als Leiter der Energiepolitik zum Veba-Konzern, wo er 1990 als Generalbevollmächtigter den Gipfel seiner Karriere erreichte. Nach dem Tod des Veba-Chefs Rudolf von Bennigsen-Foerder, der als sein Gönner galt, mußte er sich ab 1992 mit einem Vorstandssitz bei der VKR Veba Kraftwerke Ruhr begnügen und schied 1997 gegen eine hohe Abfindung bei der Veba aus.

Man würde Müller wohl Unrecht tun, wenn man ihn aufgrund dieser Vita für einen in der Wolle gefärbten Vertreter der Stromwirtschaft hielte. Dafür war er ein zu selbständiger Kopf, der sich wohltuend von der Ignoranz anderer Ministerkollegen abhob. Aber es erhob sich doch die Frage, ob ein Mann, der seiner ganzen beruflichen Tätigkeit nach bisher ein Energiemanager war, den für einen Wirtschaftsminister notwendigen Wechsel der Perspektive vollziehen werde können.

Mitunter sah es durchaus so aus. Etwa, wenn Müller der Branche den Kopf wusch, weil sie die Diskriminierung neuer Stromanbieter allzu schamlos betrieb. Bei Netzentgelten und Netzzugang sei „unglaublich viel Beschiß im Spiel, schlicht Beschiß“, erklärte er im April 2001 in einem Rundfunkinterview. Und auf dem kurz danach stattfindenden VDEW-Kongreß hielt er der Branche vor, ihr Bild werde geprägt von „reihenweisen Beschwerden, unzufriedenen Kunden und Wettbewerbern, die man am langen Arm verhungern läßt“. – Andererseits dachte er aber nicht daran, die dafür verantwortliche Praxis der Verbändevereinbarungen in Frage zu stellen, obwohl es bereits aufgrund des damaligen Energiewirtschaftsgesetzes möglich gewesen wäre, durch entsprechende Verordnungen des Bundeswirtschaftsministeriums dem Beschiß ein Ende zu bereiten.

Untersagung der Fusion von E.ON und Ruhrgas durch Ministererlaubnis außer Kraft gesetzt

Ins Zwielicht geriet Müller vollends, als er im Sommer 2002 die Übernahme der Ruhrgas AG durch den E.ON-Konzern mit ministerieller Brachialgewalt ermöglichte, obwohl das Bundeskartellamt und die Monopolkommission die Sturmglocken läuteten. Da bekannt war, daß er als ehemaliger Veba-Manager auf der Pensionsliste von E.ON stand – daß er sogar bereits eine Pensionszahlung erhielt, war allerdings noch nicht bekannt – delegierte er die Erteilung der Ministererlaubnis an seinen Staatssekretär Alfred Tacke. Falls er gehofft hatte, sich auf diese Weise salvieren zu können, unterschätzte er aber die Kritikfähigkeit der Öffentlichkeit. Nicht Tacke, sondern Müller und sein Gönner Schröder galten weiterhin als die Verantwortlichen für die Genehmigung. E.ON hätte auch selbstmörderisch gehandelt, eine derartige Riesen-Fusion gegen die absehbare Ablehnung durch das Bundeskartellamt zu betreiben, wenn nicht bereits auf politischer Ebene Zusagen vorgelegen hätten, die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts durch eine Ministererlaubnis außer Kraft zu setzen. Die Proteste der Monopolkommission ignorierte die Bundesregierung ohnehin schon seit langem.

Aber so einfach, wie es sich die beteiligten Kreise aus Politik und Wirtschaft vorgestellt hatten, ging die Erteilung der Ministererlaubnis doch nicht über die Bühne: Tacke erledigte seinen Auftrag derart schlampig, daß das Oberlandesgericht Düsseldorf den Vollzug der Erlaubnis wegen „gravierender Verfahrensfehler“ stoppte. Tacke wollte daraufhin das Veto des Bundeskartellamtes ein zweites Mal durch Erteilung einer Ministererlaubnis unwirksam machen, wobei er die Auflagen für E.ON leicht verschärfte. Die Richter ließen sich indessen nicht beirren und hielten das Vollzugsverbot aufrecht. E.ON einigte sich deshalb mit den klagenden Konkurrenten außergerichtlich, so daß die Ministererlaubnis doch noch zu Anfang des Jahres 2003 rechtskräftig werden konnte.

Nachdem Wolfgang Clement (SPD) in der zweiten Regierung Schröders das Amt des Bundeswirtschaftsministers übernommen hatte, wurde Werner Müller Vorstandsvorsitzender des RAG-Konzerns, für den er in seiner Amtszeit die Steinkohle-Subventionen ausgehandelt hatte. Seine Berufung erfolgte auf Vorschlag von E.ON-Chef Ulrich Hartmann als Vorsitzendem des RAG-Aufsichtsrats. Anscheinend verdankte er das neue Amt aber auch der IG Bergbau Chemie Energie, die wegen der paritätischen Mitbestimmung bei dem Montanunternehmen eine starke Position besaß und sich von dem früheren Bundeswirtschaftsminister ein optimales Ergebnis bei den bevorstehenden Verhandlungen über die Verlängerung der Steinkohle-Beihilfen erhoffte.

 

Alfred Tacke, der anstelle von Müller die Fusion E.ON/Ruhrgas absegnete, folgte später seinem ehemaligen Dienstherrn zum RAG-Konzern und wurde Chef des Steinkohleverstromers Steag.

Steag-Pressebild

Filz-Debatte im Bundestag

Aus diesem Anlaß kam es am 10. April 2003 zu einer „Filz-Debatte“ im Bundestag, in der CDU/CSU und FDP der rot-grünen Koalition Postenschacher und Korruption vorwarfen. SPD und Grüne wiesen diese Vorwürfe als scheinheilig zurück und bezichtigten ihrerseits die Oppositionsparteien der Verflechtung von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Unter anderem kamen die bereits erwähnten Verfilzungen des FDP-Politikers Rexrodt zur Sprache. Die Opposition breitete dafür das Sündenregister Müllers aus, dem der CDU-Abgeordnete Hartmut Schauerte vorwarf, während seiner Amtszeit „erkennbar monopolnah und liberalisierungsfeindlich“ gehandelt zu haben:

„Die Berufung erfolgt nicht wegen der schönen Augen von Herrn Müller, sondern weil er für das Unternehmen Ruhrkohle AG aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Minister und der damit verbundenen besten Beziehungen zum Haus mit Blick auf die nächsten Subventionsentscheidungen nützlich sein soll. Das ist eine dienstliche Angelegenheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Monopolminister Müller ist nun nach einer vierjährigen Entleihung – eine Zeit, in der er die Energiemonopole gestärkt hat – hoch bezahlt in die Monopole zurückgekehrt. Genau diese Kurve ist er gefahren. Das hat nichts damit zu tun, dass wir eine Wechselbeziehung zwischen Politik und Wirtschaft wollen. So grob, so plump, so durchsichtig und so voller Beziehungsgeflecht, das der Steuerzahler zu bezahlen hat, haben wir das in diesem Lande noch nicht erlebt. Das ist ein Anschlag auf die Sauberkeit.“

Der Staatssekretär Tacke, der für Müller die Fusion von E.ON und Ruhrgas genehmigt hatte, behielt auch in der zweiten Regierung Schröders sein Amt. Anscheinend kam es dann aber zu Spannungen mit dem bereits erwähnten Georg Wilhelm Adamowitsch, der als Staatssekretär zwar formal dieselbe Stellung wie Tacke hatte, aber ein weit engeres Verhältnis zum neuen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement besaß. Tacke wurde deshalb Anfang 2005 von seinem früheren Dienstherrn nachgeholt und zum Vorstandsvorsitzenden des zum RAG-Konzern gehörenden Steinkohleverstromers Steag gemacht.

Nächstes Kapitel: „Nachgelagerte Bestechung “