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(Aus: Udo Leuschner, „Kurzschluß - wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde“, S. 151 - 162)



Leistungszähler im schweizerischen Laufenburg: Links registriert er die Stromflüsse über eine Verbindung zwischen der Schweiz und Italien, rechts die einer Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland.

Stromhandel belastet die Netze

In Italien fällt gleich zweimal landesweit der Strom aus / Auch der zunehmende Anteil von Windstrom birgt Probleme

Eine noch größere Gefährdung der Versorgungssicherheit ergab sich dadurch, daß diese Infrastruktur, die eher schlechter und labiler wurde, nun von den Stromflüssen in einer Weise strapaziert wurde, die es vorher nie gegeben hatte. Früher waren „Gas und Kupplung“, wie es der Experte Dieter Rumpel formulierte, vom selben Fahrer bedient worden. Das heißt, das jeweils zuständige Verbundunternehmen steuerte den Kraftwerkseinsatz entsprechend dem Stromverbrauch im Versorgungsgebiet. Es gab zwar durchaus auch einen Stromaustausch über die Grenzen der Versorgungsgebiete und Ländergrenzen hinweg, aber dieser beschränkte sich auf die Verbundunternehmen selber. Noch seltener war die „Durchleitung“, bei der die Stromlieferung über die Netze Dritter ging. Die Stromflüsse zwischen den Verbundunternehmen störten die Lastverteilung nicht, sondern waren in der Regel langfristig abgesprochen und in speziellen „Fahrplänen“ detailliert dargelegt, so daß sie mühelos in die Steuerung des Netzes eingebaut werden konnten.

Mit der Liberalisierung nahmen die Stromflüsse über die Grenzen der Verbundunternehmen hinweg rasant zu. Und das nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern im gesamten westeuropäischen Verbundsystem. Um „Gas und Kupplung“ sinnvoll aufeinander abstimmen zu können, hatten die Lastverteiler nun immer mehr Faktoren zu berücksichtigen, die ihren Regelbereich von außen beeinflussen und aus dem Gleichgewicht bringen konnten. – Gerade so, als ob nun mehrere Fahrer für den Ausgleich von Nachfrage und Angebot zuständig geworden wären, die sich auf Zuruf über Gasgeben und Kuppeln verständigen müssen.

Stromflüsse über die Grenzen verdoppelten sich seit 1990

Die enorme Zunahme der Stromflüsse über die Regelbereiche hinweg widerspiegelt sich in den Zahlen zum Export und Import von Strom über die deutschen Landesgrenzen hinweg: Im Jahr 2005 beliefen sich die Importe auf insgesamt 53,4 Milliarden Kilowattstunden (kWh) und die Exporte auf 61,9 Mrd. kWh. Gegenüber 1990 waren damit die Importe um 68 Prozent und die Exporte um 102 Prozent gestiegen. Entsprechend stärker wurde das deutsche Stromnetz belastet.

Wie die abgebildete Tabelle zeigt, hielten sich Exporte und Importe über die Jahre hinweg etwa die Waage. Es gab keine dramatischen Ungleichgewichte. Stark zugenommen haben jedoch sowohl die Ein- als auch die Ausfuhren von Strom, wobei sich zuletzt ein deutlicher Export-Überschuß ergab. Die Zahlen enthalten neben Lieferungen zwischen deutschen und ausländischen Geschäftspartnern auch Transitflüsse, d.h. Stromlieferungen zwischen ausländischen Geschäftspartnern, die lediglich das deutsche Transportnetz benutzen und es entsprechend belasten.

Der Stromhandel über Ländergrenzen hinweg wird von der EU gewünscht und gefördert, um europaweiten Wettbewerb zu ermöglichen. Er strapaziert aber die bestehenden Transportnetze in einer Weise, für die sie nicht ausgelegt sind. Er gefährdet die Versorgungssicherheit sogar doppelt, da er zugleich die verbrauchsferne Stromerzeugung begünstigt: Wenn dann die vom Stromhandel überlasteten Leitungen kollabieren, fehlt es am Ort des Verbrauchs an eigenen Kraftwerkskapazitäten, um die Versorgung wieder aufbauen zu können.


Die höchsten deutschen Stromimporte kommen seit jeher aus Frankreich, das seinen Strom zu 77 Prozent aus Kernenergie erzeugt und damit vor allem die EnBW beliefert. Daneben hat sich in den letzten Jahren Tschechien zum ausländischen Hauptlieferanten entwickelt. In umgekehrter Richtung sind die Stromflüsse minimal. Es lag hauptsächlich an den Lieferungen nach den Niederlanden, der Schweiz und Österreich, daß 2005 dennoch die deutschen Stromexporte um 16 Prozent höher waren als die -importe. In der Realität treten allerdings die Stromflüsse zwischen Deutschland und seinen neun Nachbarländern zeitlich, mengenmäßig und örtlich sehr unterschiedlich auf. Nur in der jährlichen Gesamtstatistik kompensieren sich Stromexporte und -importe zum größten Teil.


Importabhängigkeit wird Italien zum Verhängnis

So kam es am 26. Juni 2003 in Italien zum größten Stromausfall seit zwanzig Jahren: Mangels Kraftwerkskapazitäten bzw. nicht ausreichenden Importen mußte der staatliche Netzbetreiber GRTN flächendeckende Abschaltungen vornehmen. Der Stromausfall überraschte zigtausende von Unternehmen und mehr als sechs Millionen Haushalte. Die Feuerwehr mußte zahlreiche Personen aus steckengebliebenen Aufzügen befreien. In Tunneln fiel die Beleuchtung aus, Züge blieben stehen, Ampeln versagten und Computer stürzten ab.

Der Notstand war insoweit vorhersehbar, als Italien seit Jahren erheblich mehr Strom verbrauchte als es mit seinen Kraftwerken zu erzeugen vermochte. Ende 2001 belief sich die gesamte Stromproduktion auf 256,4 Terawattstunden, während der Verbrauch bei 304,8 Terawattstunden lag. Die Lücke von 48,4 Terawattstunden wurde durch Stromimporte geschlossen, die vor allem aus der Schweiz (23,6 TWh) und Frankreich (18,3 TWh) kamen.

Aktueller Auslöser des Stromausfalls war eine Lastspitze von ca. 53 000 MW, die nicht durch Importe aus Frankreich ausgeglichen werden konnte. Die offizielle Kraftwerkskapazität betrug zwar insgesamt etwa 77 000 MW. Davon verfügbar waren jedoch nur 49 000 MW.

Als Notmaßnahme setzte die Regierung vorübergehend Umweltschutzvorschriften außer Kraft. So erlaubte sie den Kraftwerksbetreibern, das Kühlwasser um zwei Grad über der zulässigen Höchsttemperatur in Gewässer einzuleiten und acht stillgelegte Kraftwerke, die neueren Umweltstandards nicht genügen, wieder ans Netz zu nehmen.

 

 

Diese Grafik zeigt, wie durch die schlagartige Freisetzung der italienischen Importlast am frühen Morgen des 28. September 2003 die Frequenz im UCTE-Netz auf 50,24 Hertz hochschnellte, um sich dann binnen einer Stunde wieder bei der Normalfrequenz von 50,0 Hertz einzupendeln.

 

Durch einen Defekt in der Schweiz erlöschen in Italien erneut die Lichter

Nur drei Monate später gingen am 28. September 2003 in Italien erneut die Lichter aus. Es handelte sich um einen noch größeren Netzkollaps, der 57 Millionen Menschen stundenlang die Stromversorgung nahm. Ursache war wieder die Importabhängigkeit des Landes. Während im Juni das Ausbleiben französischer Stromlieferungen die flächendeckenden Abschaltungen verursacht hatte, war es dieses Mal ein Defekt an einer Hochspannungsleitung in der Schweiz, der sich binnen einer halben Stunde so ausweitete, daß in ganz Italien (mit Ausnahme der Insel Sardinien) die Stromversorgung zusammenbrach.

Besonders bemerkenswert war in diesem Fall, daß der Zusammenbruch nicht durch einen ungewöhnlich hohen Stromverbrauch bewirkt wurde, sondern am frühen Morgen erfolgte, als der Stromverbrauch am geringsten war. Die italienischen Kraftwerke wären deshalb sogar in der Lage gewesen, den Ausfall des Importstroms aus der Schweiz auszugleichen, wenn man sie rechtzeitig hochgefahren hätte. Genau das war aber nicht passiert. Wegen der Schuldfrage entbrannte ein heftiger Streit zwischen Italien und Frankreich auf der einen und der Schweiz auf der anderen Seite.

Schweiz fühlt sich von Stromflüssen überfordert

Das schweizerische Bundesamt für Energie (BFE) warnte vor unkontrollierten Stromflüssen, die der liberalisierte europäische Strommarkt ausgelöst habe und die das Transportnetz der Schweiz überfordern würden: „Die grundlegenden Ursachen des Stromausfalls vom 28. September 2003 sind der ungelöste Konflikt zwischen den Handelsinteressen der beteiligten Länder und Gesellschaften sowie die technischen Voraussetzungen des heute transnationalen Stromsystems. Normen und gesetzliche Rahmenbedingungen hinken hinter den wirtschaftlichen Realitäten her.“

Die Regulierungsbehörden Italiens und Frankreichs wollten diese Kritik am Stromhandel aber nicht gelten lassen. Für sie ging es nur um ein technisches Problem, das damit anfing, daß die physikalischen Stromflüsse nicht mit der vorgesehenen Belastung des Netzes übereinstimmten. Daß man dieses Problem nicht rechtzeitig erkennt und behoben habe, sei die Schuld der schweizerischen Netzbetreiber, die es an ausreichender Informationen gegenüber ihren italienischen und französischen Kollegen hätten fehlen lassen.

„Der Stromausfall wurde von Ursachen in der Schweiz ausgelöst“, befand schließlich die Union für die Koordinierung des Transports elektrischer Energie (UCTE). „Auf die Anfangsphase beim Ablauf der Ereignisse hatten die italienischen Netzbetreiber keinen Einfluß.“

Demnach war der Ausgangspunkt des Stromausfalls in Italien eine normale Netzstörung, die mit den vorhandenen Mitteln zu beheben gewesen wäre, wenn der schweizerische Netzkoordinator nach dem Ausfall der ersten 380-kV-Leitung über den Lukmanier-Paß richtig reagiert hätte. Vor allem habe er ignoriert, daß die benachbarte Leitung über den San Bernadino die durch den Ausfall bewirkte Überlastung nur für etwa 15 Minuten aufnehmen durfte. Erst nach zehn Minuten habe er zum Telefon gegriffen, um den italienischen Netzbetreiber GRTN zur Reduzierung seiner Last um 300 MW aufzufordern. Diese Lastreduzierung, die GRTN nach weiteren zehn Minuten ausführte, sei auch bei weitem nicht ausreichend gewesen. Stattdessen hätte der schweizerische Netzkoordinator die Abschaltung der italienischen Pumpspeicherkraftwerke verlangen müssen, die zu dieser nächtlichen Zeit im Pumpbetrieb liefen und dadurch nahe der Grenze zur Schweiz eine Last von 3500 MW verursachten. Außerdem habe es mit dem französischen Netzbetreiber keinerlei Abstimmung gegeben, obwohl schon im September 2000 anläßlich eines ähnlichen Vorfalls vereinbart worden sei, daß sich alle drei Länder bei kritischen Zuständen ihrer grenzüberschreitenden Verbindungen per Fax verständigen.

„UCTE-System nicht für liberalisierten Markt gedacht“

Immerhin wurde auch im Abschlußbericht der europäischen Netzbetreiber eingeräumt, daß das UCTE-System von seinem ursprünglichen Zuschnitt her nicht für den liberalisierten Markt mit seinen hohen grenzüberschreitenden Stromflüssen angelegt sei. Die Deregulierung des Marktes habe dazu geführt, daß die Netzbetreiber die vorgeschriebenen Sicherheitsreserven, die im wesentlichen unverändert blieben, unter Nutzung der computerisierten Techniken zur Netzsteuerung immer stärker ausgeschöpft hätten.

Insoweit durfte sich die Schweiz in ihrem Vorwurf bestätigt fühlen, daß unkontrollierte Stromflüsse ihr Transportnetz überfordern würden.

Österreich warnt Nachbarn vor Überlastung seines Netzes

Auch das deutsche Netz könnte so, ungeachtet seines noch immer hohen Grades an Versorgungssicherheit, von Störungen betroffen werden, deren Ursache im Ausland liegen. Dieser Ansicht war jedenfalls die Netzgesellschaft des österreichischen Verbund-Konzerns, als sie im Mai 2006 vor einer Überlastung ihres inländischen Stromtransportnetzes warnte: Durch das Zusammentreffen einer außergewöhnlich hohen Windstromerzeugung in Norddeutschland mit dem Ausfall der Leitung Hradec – Etzenricht zwischen Tschechien und Deutschland sei eine „extreme Verschärfung“ der Netzsituation in Mitteleuropa und Österreich entstanden. Die eingeschränkte Übertragungskapazität zwischen Deutschland und Tschechien habe nämlich zu einer Erhöhung der Stromtransitflüsse durch Österreich geführt und die beiden Leitungsverbindungen mit Tschechien über Gebühr belastet. Wenn die Belastung dieser beiden Leitungen die vorgeschriebene Sicherheitsgrenze überschreite, könne der Ausfall eines Leitungssystems den Zusammenbruch beider Verbindungsleitungen bewirken. Als weitere Folge würden dadurch hohe Transportleistungen plötzlich von Österreich auf Leitungen in Deutschland, Tschechien, Slowakei und Ungarn verlagert, was die „große Gefahr von Folgeausfällen von Leitungen in den Nachbarstaaten und durch Störungsausweitungen auch in Österreich“ nach sich ziehe.

Erhöhter Regelbedarf durch Windstrom

Der Hilferuf aus Österreich zeigt, daß die Versorgungssicherheit auch durch die zunehmende Einspeisung von Strom aus Windkraftanlagen leidet. Das Problem ergibt sich aus der Unregelmäßigkeit der Einspeisung, die vom Wetter abhängt und sich deshalb nur in sehr engen Grenzen einplanen läßt.

Traditionell folgt die Stromerzeugung der Nachfrage, und zwar so akkurat, daß in jeder Sekunde das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch aufrechterhalten bleibt. Dazu dient eine ganze Palette von Kraftwerken, die zwar unterschiedlich schnell startbereit sind, deren Leistung sich aber genau einkalkulieren läßt.

Nicht so bei Windkraftanlagen: Sie speisen weitgehend unvorhersehbar und ganz unterschiedlich ins Netz ein, je nach der Stärke des Winds. Und wenn kein Wind weht, fallen sie ganz aus. Das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch wird also zusätzlich auch noch von der Erzeugerseite gestört.

Denselben Nachteil hat übrigens die Netzeinspeisung von Solarstrom, die ja vom Sonnenschein abhängt. Der solare Anteil an der Stromerzeugung liegt aber noch immer im Promille-Bereich. In der Praxis bereiten deshalb die Photovoltaik-Anlagen keine netztechnischen Probleme.

 

Die gesetzlich garantierten Vergütungen für Strom aus Windenergie haben Anzahl und Nennleistung der Windkraftanlagen seit 1990 geradezu explodieren lassen. – Entsprechend zugenommen haben aber auch die damit verbundenen Probleme für den Netzbetrieb.

 

Auf 92 Prozent der Nennleistung kein Verlaß

Die Stromerzeugung der Windkraftanlagen bewegt sich in einer anderen Größenordnung als die von Solarzellen. Sie hat in den letzten Jahren derart zugenommen, daß sie 2006 rund fünf Prozent des Stromverbrauchs deckte. Wäre diese Erzeugung vorhersehbar erfolgt, hätten die Windkraftanlagen fünf Prozent fossil befeuerte Kraftwerke ersetzen können. Aber auch mit Hilfe meteorologischer Voraussagen und statistischer Berechnungen läßt sich der tatsächliche Beitrag der Windkraftanlagen zur Stromerzeugung in einem gegebenen Moment nur in engen Grenzen prognostizieren. Ihre „Nennleistung“ besagt lediglich etwas über die Grenzen des technisch Möglichen bei starkem Wind. In der Praxis erzeugt eine Windkraftanlage bestenfalls ein Fünftel der Strommenge, die bei voller Ausnutzung ihrer Nennleistung im Jahresverlauf möglich wäre. Windkraftanlagen helfen deshalb zwar Brennstoff sparen, ersetzen aber nur zu einem kleinen Teil Kraftwerkskapazitäten.

Eine Netzstudie zur Windenergie, die im Februar 2005 von der Deutschen Energie-Agentur (dena) veröffentlicht wurde, veranschlagte den Kapazitätseffekt von Windkraftanlagen auf allenfalls acht bis neun Prozent. Dies bedeutet, daß bis zu 92 Prozent der Nennleistung von Windkraftanlagen nicht als gesicherte Leistung gelten können, sondern durch die Vorhaltung von jederzeit einsatzfähigen Kraftwerksreserven abgedeckt werden müssen. Wegen der Unstetigkeit der Windstromeinspeisung mit rasch wechselnder Leistungskurve kommen dafür nur Pumpspeicher- und eventuell schnell startende Gaskraftwerke in Frage. Theoretisch sind auch Speichertechnologien wie Batterien, Schwungräder („Flywheels“), Druckluftspeicher (Compressed Air Energy Storage), sogenannte Supercapacitors oder auch eine Kombination aus Wasserstoff und Brennstoffzelle technisch verfügbar.

Ferner gelangte die Studie zu der Feststellung, daß der politisch gewollte Ausbau der Windenergie die Stromkunden nicht nur mit der Einspeisungsvergütung aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), sondern auch mit zusätzlichen Kosten für Regelenergie und Reservehaltung sowie für den Netzausbau belastet. Die daraus entstehende Gesamtbelastung schätzte die Studie auf 1,3 bis 1,4 Euro pro Megawattstunde bis 2007, 3,2 bis 4,1 Euro bis 2010 und 3,3 bis 4,2 Euro bis 2015. Für einen dreiköpfigen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden würde sich demnach die Stromrechnung bis zum Jahr 2015 allein durch den Ausbau der Windenergie um 14,40 bis 18,40 Euro erhöhen.

Netzverstärkung und Neubau von Leitungen erforderlich

Um die zunehmende Windstrom-Einspeisung ohne Störungen zu den Verbrauchsschwerpunkten zu leiten, sind etliche Veränderungen am Stromtransportnetz und der Neubau von Leitungen erforderlich. Der Studie zufolge müssen bis 2020 rund 842 Kilometer des vorhandenen 380-kV-Netzes verstärkt und 1 901 Kilometer Leitungen neu gebaut werden. In erster Linie wird dies erforderlich, um die geplanten „Offshore“-Windenergieanlagen in der Nord- und Ostsee ins Netz einzubinden. Mit weiteren netztechnischen Maßnahmen wie dem Einbau von Querreglern, dem Neu- und Umbau von Schaltanlagen oder Vorrichtungen zur Blindleistungskompensation kommt so bis 2020 eine Investitionssumme von rund drei Milliarden Euro zusammen.

Relativ problemlos dürfte die Verstärkung bereits vorhandener Trassen sein. Mit erheblichen Konflikten ist jedoch beim Neubau von 380-kV-Leitungen zu rechnen. Es ist deshalb mit einer Verschärfung der netztechnischen Probleme zu rechnen, wenn die „Offshore“-Windparks in der Nord- und Ostsee schneller fertig sind als die geplanten neuen Trassen zur Bewältigung der Stromflüsse. Nach Ansicht der Fachleute muß deshalb „zwingend sichergestellt werden, kritische Netzsituationen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch zeitweise Begrenzung der Windenergieanlagen-Einspeisung zu verhindern“.

 

Im Regelgebiet von E.ON speisen besonders viele Windenergieanlagen ins Netz ein. Diese Grafik veranschaulicht die extremen Schwankungen ihres Beitrags zur Deckung der Höchstlast, der sich im Jahr 2003 zwischen 0,1 und 32 Prozent bewegte.


Anschlußkosten von Offshore-Windkraftanlagen werden auf Strompreise abgewälzt

Im Rahmen des „Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsvorhaben für Infrastrukturvorhaben“ wurde deshalb Ende 2006 das seit Juli 2005 geltende neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in mehreren Punkten geändert. Zum einen verpflichtete nun der neu eingefügte Absatz 2a in Paragraph 17 EnWG die Netzbetreiber zum Anschluß von Offshore-Windkraftanlagen. Die Planer der Offshore-Projekte sind dadurch zumindest bis zum Jahre 2011 dieser finanziellen Sorge enthoben. Zum anderen wurde den Netzbetreibern gestattet, die dadurch anfallenden Kosten untereinander auszugleichen und in die Netzentgelte einfließen zu lassen. Das heißt, daß die Kosten für den Netzanschluß der Offshore-Windkraftanlagen letzten Endes von den Stromverbrauchern bezahlt werden müssen.

Faktisch handelte es sich um eine „Lex E.ON“, denn von den bis dahin 15 genehmigten Offshore-Projekten entfielen 13 auf die Nordsee. Damit zählten sie zum Anschlußbereich der E.ON Energie, die naturgemäß ein großes Interesse daran hatte, nicht auf diesen Kosten sitzen zu bleiben.

Eine weitere Erhöhung der Netzkosten und damit der Strompreise bewirkte ferner ein neu eingefügter Zusatz in Paragraph 21a Absatz 4 EnWG, mit dem die Mehrkosten durch Verwendung von Erdkabeln anstelle von Freileitungen bei der geplanten „Anreizregulierung“ als nicht beeinflussbare Kostenanteile anerkannt werden. Diese Regelung bezieht sich zunächst auf 110-kV-Kabel im küstennahen Bereich. Außerdem gilt sie aber „auch für Erdkabel mit einer Nennspannung von 380 Kilovolt, deren Verlegung auf Grund anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften durch einen Planfeststellungsbeschluß zugelassen ist“. Die Unklarheit dieser Formulierung – diesbezügliche Einzelheiten sind erst in einer Rechtsverordnung zu regeln – könnte die Stromverbraucher ebenfalls noch teuer zu stehen kommen. Denn die Kosten der Verkabelung von Leitungen steigen mit der Spannung. Die Verkabelung einer 380-kV-Leitung ist etwa fünfmal so teuer wie der Bau einer entsprechenden einsystemigen Freileitung. Deshalb ist in Deutschland zwar die Niederspannung zu 81 Prozent und die Mittelspannung zu 65 Prozent verkabelt, die Hoch- und Höchstspannung aber nur zu vier Prozent.

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