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(Aus: Udo Leuschner, „Kurzschluß - wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde“, S. 105 - 110)

Gegenwind

Liebedienerei gegenüber Stromkonzernen gilt bei Politikern nicht mehr als chic

Noch zu Zeiten der rot-grünen Koalition hatte der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) vorgemacht, daß Wirtschaftsfreundlichkeit nicht unbedingt auf jene Anbiederung an marktbeherrschende Konzerne hinauslaufen muß, wie sie unter dem amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder üblich war. Rhiel profilierte sich als engagierter Verfechter der Marktwirtschaft und Reiniger des energiewirtschaftlichen Wettbewerbs-Tempels, der unter Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und dessen Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch zum Augiasstall verkommen war. Er hatte wesentlichen Anteil daran, daß der Bundesrat mit der Mehrheit der unionsregierten Länder dem anfangs windelweichen Entwurf des neuen Energiewirtschaftsgesetzes etwas mehr Härte verlieh.

Hessen verweigert alle beantragten Tariferhöhungen

In seinem eigenen Zuständigkeitbereich forderte Rhiel Ende 2005 sämtliche 50 Stromversorger des Landes Hessen auf, ihre für 2006 beantragten Tariferhöhungen zurückzuziehen oder tatsächlich stichhaltig zu begründen, was bisher nicht der Fall gewesen sei. „Die Energieverbraucher dürfen nicht länger die Melkkühe der kommunalen und privaten Anteilseigner der Stromunternehmen sein“, erklärte Rhiel. Er werde deshalb die beantragte Anhebung der Strompreise für 3,7 Millionen private und gewerbliche Kunden „komplett ablehnen“. Diese Entscheidung sei „Teil des Kampfes gegen überhöhte Energiepreise in Deutschland“. Und tatsächlich bewilligte das hessische Wirtschaftsministerium im Jahr 2006 keine einzige Tariferhöhung.

So entschieden wie Rhiel trat kein anderer Länderminister auf. Aber auch unter den Kollegen schwand nun die Bereitschaft, die Anträge auf Tariferhöhungen einfach durchzuwinken oder mit geringen Abstrichen abzusegnen, wie das in der Vergangenheit meistens der Fall gewesen war. Die Länderwirtschaftsminister beschlossen sogar die Einberufung einer Konferenz, um darüber zu beraten, wie sie in einer gemeinsamen Aktion gegen ungerechtfertigte Tarifforderungen vorgehen könnten. „Das jetzt hier relativ zeitgleiche Vorschlagen von Preiserhöhungen zeigt mir, daß da wahrscheinlich eine strategische Allianz gebildet wurde, um die Politik mit einem ganz konkreten Vorschlag zu konfrontieren“, erklärte der Magdeburger Wirtschaftsminister Haselhoff am 21. August als Sprecher der Wirtschaftsministerkonferenz.

Vorstoß zur Verlängerung der Tarifaufsicht

Auf Initiative der Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) beschloß die nordrhein-westfälische Landesregierung im Oktober 2006 einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Tarifaufsicht für Strompreise, der als Bundesratsinitiative ins Parlament eingebracht werden sollte. Thoben wollte damit verhindern, daß Haushalte und Kleingewerbe schutzlos den Preiserhöhungen der Versorger ausgesetzt waren, wenn zum 1. Juli 2007 die Bundestarifordnung Elektrizität außer Kraft treten würde, wie dies im Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vorgesehen worden war. Die Ziele, die sich die alte Bundesregierung mit dem Energiewirtschaftsgesetz vom Juli 2005 gesetzt habe, seien bisher nicht erreicht worden. Man müsse deshalb unverzüglich handeln, „um das Schlimmste für die Verbraucher zu verhindern“.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sprach sich für eine Verlängerung der Tarifaufsicht aus. „Die jüngsten Ankündigungen weiterer Energiepreiserhöhungen zeigen, dass hier Transparenz notwendig ist, Deutschland hat bereits mit die höchsten Strompreise in Europa“, sagte Carstensen am 23. August 2006 in Kiel. Dem Verbraucher in Deutschland fehle jegliches Verständnis dafür, dass die Konzerne Rekordgewinne meldeten, die sie in teure Zukäufe im Ausland investierten, während hierzulande immer kräftiger an der Preisschraube gedreht werde.

Riesige Unterschiede bei den Netzentgelten trotz vergleichbarer Bedingungen

Den Vorwurf der Preistreiberei belegte eine Untersuchung, die im August 2006 von der Bundesnetzagentur vorgelegt wurde. Eigentlich sollte sie schon fünf Monate früher veröffentlicht werden. Die Netzbetreiber hatten sie jedoch mit heftigem juristischen Sperrfeuer belegt und damit zumindest erreicht, daß keine Unternehmen namentlich genannt wurden. Aus gutem Grund: Die Untersuchung ergab, daß die von den deutschen Netzbetreibern veranschlagten Netzkosten auch innerhalb vergleichbarer Strukturklassen riesige Unterschiede aufwiesen. Die teuersten Stromnetzbetreiber machten bis zu fünfzigmal so hohe Kosten geltend wie die billigsten, und auch von den Mittelwerten entfernten sie sich um bis zu mehr als das Siebenfache. Entsprechend klafften die verlangten Netznutzungsentgelte auseinander.

Ein paar Tage später veröffentlichte die Bundesnetzagentur ihren ersten „Monitoringbericht“ über die Situation im Strom- und Gasbereich. Unter anderem ging daraus hervor, daß die Netzkosten bzw. Netznutzungsentgelte bei Strom fast 39 Prozent und bei Gas 22 Prozent des Endkundenpreises bedingen (zugrundegelegt wurde ein Haushaltskunde der Eurostat-Kategorie Dc mit einem Stromverbrauch von 3500 Kilowattstunden jährlich). Die restlichen Preisanteile beim Strom entfielen zu 24 Prozent auf Strombezugskosten inklusive Gewinn, zu ebenfalls 24 Prozent auf Steuern (Strom- und Mehrwertsteuer) und zu 13 Prozent auf Abgaben (Konzessionsabgaben, EEG- und KWK-Aufschläge). Beim Gas machten die Bezugskosten inklusive Gewinn 54 Prozent aus, die Steuern 22 Prozent und die Abgaben 2 Prozent.

Somit komme den Netzkosten eine „überragende Bedeutung“ zu, resümierte der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. Sie schlügen mehr zu Buche als die Strombezugskosten.

Bundeswirtschaftsminister plant schärferes Kartellrecht

Inzwischen wollte auch Bundeswirtschaftsminiser Glos (CSU) nicht länger abseits stehen, zumal er anfangs eine sehr blasse Figur machte und bereits als Fehlbesetzung galt. Als erstes entließ er den Staatssekretär Adamowitsch, der wie kein anderer den rot-grünen Schmusekurs gegenüber den Konzernen verkörpert hatte und ungeachtet seines SPD-Parteibuchs auch unter Glos im Amt geblieben war. Im September 2006 ließ er dann verlauten, daß in seinem Haus an einer Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gearbeitet werde, um die Marktmacht der vier Großstromerzeuger und den dadurch bedingten Anstieg der Strompreise zu beschneiden. Künftig werde es für die Kartellbehörden leichter sein, den vier Energiekonzernen, die über 90 Prozent der Kraftwerkskapazitäten verfügen, einen Mißbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung nachzuweisen. Beispielsweise werde schon eine große Differenz zwischen Erzeugungskosten und Großhandelspreisen den Verdacht auf Mißbrauch begründen.

Im November war der Gesetzentwurf fertiggestellt: Danach würde es marktbeherrschenden Energieversorgern untersagt, Preise zu verlangen, die ungünstiger als die anderer Versorger sind oder die Kosten in unangemessener Weise überschreiten. Zusätzlich wollte Glos eine Kraftwerksanschlußverordnung erlassen, die den Betreibern neuer Kraftwerke den Anschluß ans Netz und die Durchleitung ihres Stromes auch dann garantiert, wenn die vier Transportnetzbetreiber Netzengpässe geltend machen. Die Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht und die Anschlußverordnung sollten bis 2012 befristet sein – in der Erwartung, daß dann die Anreizreguliegung zu greifen beginnt, deren erste Phase von 2009 bis 20013 dauern sollte.

Rhiel für Zwangsverkauf von Kraftwerks-Kapazitäten

Während die Stromwirtschaft sich über die Glos-Pläne empörte, die eine „eklatante Verletzung der Wettbewerbsprinzipien“ sei und „das Rad der Liberalisierung zurückdrehen“ würden, legte der hessische Wirtschaftsminister Rhiel (CDU) noch einen Zahn zu: Die von Glos geplante Verschärfung der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht sei sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Noch besser sei aber sein im Oktober 2006 gemachter Vorschlag, dem Bundeskartellamt als ultima ratio die Möglichkeit einzuräumen, die Konzerne zum Verkauf eines Teils ihrer Kraftwerke an Dritte zu zwingen.

Es bestehe nämlich der begründete Verdacht, daß die vier großen Stromerzeuger E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW den Rückgang ihrer Gewinne im Bereich der regulierten Stromnetze durch Anhebungen der Großhandelspreise in der Stromerzeugung kompensierten wollten, begründete Rhiel seinen Vorschlag. Der Staat müsse deshalb das Oligopol der Konzerne notfalls zerschlagen und die vier Großstromerzeuger zwingen können, Kraftwerke zu verkaufen. „Wir sollten jetzt ein scharfes Schwert schmieden für den Fall, daß Wettbewerb von allein nicht entsteht und daß mildere Staatseingriffe nicht wirksam sind.“

Stromkunden können sich besser gegen überhöhte Rechnungen zur Wehr setzen

Auch vor Gerichten hatten die Energieversorger zunehmend schlechtere Karten. Im Juli 2006 untersagte das Landgericht Koblenz der RWE-Tochter Süwag, einem Kunden den Strom zu sperren bzw. mit der Sperrung zu drohen, der die Stromrechnung für unangemessen hielt und deshalb die volle Bezahlung des Betrags verweigerte. Zuerst müsse dem Kunden die Angemessenheit der Gebührenerhöhung dargelegt werden. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung drohte das Gericht der Süwag mit einem Ordnungsgeld von bis zu 250 000 Euro.

Das Bundeskartellamt forderte im September 2006 alle Energieversorger auf, in solchen Fällen die Androhung einer Liefersperre zu unterlassen. Anderenfalls werde dies ein Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Geldbußen bis zu einer Million Euro nach sich ziehen.

In der neuen Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV), die im November 2006 in Kraft trat, wurde auf Verlangen des Bundesrats die Berechtigung der Kunden zur Kürzung von unangemessen erscheinenden Stromrechnungen ausdrücklich klargestellt. Nach den bisher gültigen „Allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden“ (AVBEltV) war der Kunde nur dann zur Zahlungsverweigerung berechtigt, „soweit sich aus den Umständen ergibt, daß offensichtliche Fehler vorliegen“. Die Neuregelung stärkte dagegen die rechtliche Position des Kunden, wenn er die Stromrechnung als überhöht beanstandet und deshalb kürzt. Grundsätzlich darf der Strom erst gesperrt werden, wenn der Kunde mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100 Euro in Verzug ist. Außerdem bleiben solche Forderungen außer Betracht, die der Kunde form- und fristgerecht beanstandet hat, die wegen einer Vereinbarung zwischen Versorger und Kunde noch nicht fällig sind oder die aus einer streitigen und noch nicht rechtskräftig entschiedenen Preiserhöhung des Grundversorgers resultieren.

Die Forderung nach einer Verschärfung des Kartellrechts wurde teilweise auch damit begründet, daß die Verlängerung der Tarifaufsicht der falsche Weg sei, weil sie den Anreiz für Wettbewerb bei der Stromerzeugung mindere. Insofern ergänzten sich beide Forderungen nicht, sondern konkurrierten miteinander. Für die Stromversorger war aber beides von Übel. Es wurde für sie zunehmend ungemütlicher in der politischen Landschaft.

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