April 1994 |
940411 |
ENERGIE-CHRONIK |
Große Aufmerksamkeit bei Medien und Politikern fand der achte Jahrestag der Katastrophe, die sich am 26. April 1986 im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ereignet hat. In der Berichterstattung wurde auf die verheerenden Folgen verwiesen, die z.B. zu einer Verdreifachung der Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs in Weißrußland geführt hätten. Zugleich wurde übereinstimmend die Besorgnis geäußert, daß mit jedem Tag das Risiko einer neuen Katastrophe wächst, sowohl durch den Weiterbetrieb der damals unversehrt gebliebenen Blöcke als auch durch die mangelhafte Sicherung des 1986 zerstörten Reaktors. Die Befürchtungen gelten dabei nicht nur den grundsätzlichen Sicherheitsmängeln der RBMK-Reaktoren, sondern auch den teilweise chaotischen Verhältnisse in der Ukraine, die den ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage in Frage stellen (Welt, 9.4.; Handelsblatt, 22.4.; taz, 23.4.; FAZ, 26.4.).
Der "Sarkophag", wie die Umhüllung des 1986 geborstenen Reaktorblocks genannt wird, ist brüchig und droht einzustürzen. Dies ergab eine Untersuchung durch Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). Die noch in Betrieb befindlichen beiden Reaktoren weisen gravierende Mängel auf. Unmittelbar nach der Überprüfung durch die IAEO ereigneten sich erneut technische Pannen: In Block 3 löste ein Kurzschluß die automatische Schnellabschaltung aus. In Block 1 prallte nach dem Versagen eines Krans ein Behälter mit Brennstäben an eine Gebäudemauer (FR, 2.4.; SZ, 21.4.).
Die Süddeutsche Zeitung (25.4.) sieht in Tschernobyl die "permanente Drohung neuer Schrecknisse" und meint: "Nichts zu verändern, ist kurzfristig für die Ukraine der billigste,aber eben mit größer Wahrscheinlichkeit zu einem Desaster führende Weg, und genau den geht sie."
Für die Frankfurter Rundschau (26.4.) geht es "beileibe nicht nur um die beiden noch funktionierenden Tschernobyl-Reaktoren, in denen der Kraftwerkschef nicht einmal die Mittel hat, die brandgefährlichen PVC-Böden auswechseln zu lassen. Die bisherige Strategie des reichen Westens, die Atomstrukturen im Osten grundsätzlich nicht anzutasten und sogar für die eigene Atomwirtschaft zu öffnen, wird irgendwann ins Auge gehen."