Oktober 1993

931005

ENERGIE-CHRONIK


Potsdam will Strom und Wärme mit Erdgas statt mit heimischer Braunkohle erzeugen

Nach monatelangen politischen Auseinandersetzungen hat die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung am 20.10. die Errichtung eines erdgasbetriebenen Heizkraftwerks beschlossen. Landesregierung und Gewerkschaften, die ein Heizkraftwerk auf Braunkohlenbasis gefordert hatten, reagierten mit Enttäuschung und scharfer Kritik. Vor dem Potsdamer Rathaus demonstrierten während der Sitzung rund tausend Braunkohle-Kumpel aus der Lausitz, die den Verlust von 10 000 Arbeitsplätzen befürchten, falls andere Städte dem Potsdamer Beispiel folgen. Anschließend besetzten sie die Geschäftsstellen von SPD und CDU, deren Vertreter auf Landesebene zwar für ein Braunkohlekraftwerk plädierten, im Stadtparlament jedoch gemeinsam mit dem "Neuen Forum" für das Gaskraftwerk votierten. Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) verteidigte die Entscheidung für das Gaskraftwerk mit niedrigeren Kosten für Bau, Strom- und Wärmeerzeugung. Der mit Erdgas erzeugte Strom sei auch um vier Pfennige je Kilowattstunde billiger als Strom aus Braunkohle auf der Grundlage des Vorschlags, den die heimischen Energiewirtschaft der Stadt unterbreitet hatte (FAZ, 22.10.; siehe auch 930804).

Die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) und die Vereinigte Energiewerke AG (Veag) hatten der Stadt Potsdam vorgeschlagen, die Strom- und Wärmeerzeugung zu trennen. Dabei hätte ein städtisches Heizwerk die Wärmegrundlast mit Braunkohle und die Spitzenlast mit Gas gedeckt, während der Strom über den regionalen Stromversorger "Märkische Energieversorgung AG" aus den Braunkohlekraftwerken der Veag geliefert worden wäre. Nach Angaben von Laubag und Veag hätten bei dieser Lösung Strom und Wärme der Stadt langfristig genauso günstig und umweltschonend zur Verfügung gestanden wie bei Errichtung eines erdgasbetriebenen Gas- und Dampfkraftwerks (Der Tagesspiegel, 7.10.).

Nach Ansicht der Süddeutschen Zeitung (20.10.) geht es bei dem Potsdamer Streit um die Grundsatzfrage der künftigen Struktur des ostdeutschen Strom- und Energiemarktes. Die Gründung von Stadtwerken begünstige den Vormarsch von Gas und Öl zu Lasten der Braunkohle. Schon jetzt zeichne sich ab, daß der im ostdeutschen Stromstreit erzielte Kompromiß, wonach die Städte im Durchschnitt nicht mehr als 30 Prozent ihres Stroms produzieren und den Rest von den Regionalversorgern beziehen, "Makulatur" sei. Vor allem größere Städte beanspruchten einen höheren Anteil an Eigenerzeugung zu Lasten der Braunkohleverstromung.