Mai 1993

930520

ENERGIE-CHRONIK


Kein Anhalt für höheres Leukämie-Risiko in der Umgebung von Kernkraftwerken

Schlagzeilen wie "Erhöhtes Krebs-Risiko für Kinder" löste am 5.5. die Kieler Landesregierung mit der Behauptung aus, daß bei Kindern in der Umgebung von Kernkraftwerken eine Erhöhung bestimmter Krebsarten festgestellt worden sei. Die Landesregierung berief sich auf eine Erklärung der schleswig-holsteinischen Sachverständigen-Kommission zur Aufklärung der Leukämie-Erkrankungen in der Elbmarsch, die ihrerseits auf einer "Neubewertung" der 1992 veröffentlichten Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters beruhe. Nach Feststellung des Leiters des Mainzer Kinderkrebsregisters, Jörg Michaelis, wurden jedoch aus dem Text der Sachverständigen-Kommission "Einzelergebnisse aus Subgruppenanalysen besonders stark hervorgehoben, die die Gesamtaussage der Studie verzerren". Wörtlich meinte Michaelis: "Meine Studie kann nicht als Beweis dafür zitiert werden, daß Kernkraftwerke gesundheitlich unbedenklich sind. Sie kann aber auch nicht als Beleg für das Gegenteil verwendet werden. Beides ist in der Vergangenheit von interessierter Seite versucht worden" (DPA, 5. u. 6.5.; siehe auch 930211 u. 930421).

Negativer Befund bei Vergleich von Chromosen norddeutscher Kinder

Der Spiegel berichtete in einem Artikel am 24.5., Untersuchungen von Medizinstatistikern hätten den Verdacht erhärtet, daß im Umfeld von Kernkraftkraften ein erhöhtes Krebsrisiko bestehe ("Havarie im Erbgut"}. Konkretere Ergebnisse seien in Kürze von einer aufwendigen Vergleichsstudie zu erwarten, die im Aufttrag der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein am Münchener Institut für Strahlenhygiene durchgeführt wurde.

Das Ergebnis dieser Studie, bei der die beschädigten Chromosomen von 30 Kindern aus dem reaktorfernen Raum Plön und die von 42 Altersgenossen aus der Elbmarsch gezählt und miteinander verglichen wurden, ist inzwischen vom niedersächsischen Sozialminister Walter Hiller vorgelegt worden und hat den anfänglichen Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen radioaktiver Strahlung von Kernkraftwerken und Leukämie bei Kindern nicht bestätigt. Die Forscher stellten sogar etwa 60 Prozent mehr Chromosomen-Schädigungen im Raum Plön als in der Elbmarsch fest. Parallel dazu laufen derzeit noch Chromosomenuntersuchungen bei je 25 Erwachsenen aus beiden Gebieten. Schleswig-Holstein läßt darüber hinaus eine mögliche radioaktive Belastung durch Bestimmung des Tritiumgehalts in Baumscheiben untersuchen (SZ, 26.5.; FR, 26.5.).

Die Süddeutsche Zeitung (27.5.) kommentierte. "Das Ergebnis setzt einen vorläufigen Schlußstrich unter eine unschöne Debatte. Es gibt gute Gründe, gegen Kernenergie zu sein. Die Art und Weise aber, wie im Fall Krümmel argumentiert wurde, schadet eher den Gegnern des Atomstroms als daß sie ihnen nutzen könnte. Unsaubere wissenschaftliche Untersuchungen wurden aufgetischt: Die Chromosomenzählerei bei kranken Kindern, die im Gegensatz zu der neuen Untersuchung nicht anonymisiert lief, sondern bei der bekannt war, um wessen Erbgut es sich handelte; die Baumringanalysen, die die Freisetzung des radioaktiven Gases Tritium in der Vergangenheit nachweisen sollten, und bei denen man Eichen aus den bayerischen Alpen mit Fichten aus Norddeutschland verglichen hat."

Bild der Wissenschaft (5/93) veröffentlichte zum Thema "Leukämie in der Elbmarsch" einen ausführlichen Disput zwischen zwei Physikern mit konträren Positionen: Inge Schmitz-Feuerhake, Leiterin der Arbeitsgruppe Medizinische Physik im Fachbereich Physik und Elektrotechnik der Universität Bremen, vertrat erneut ihre These von einem angeblich verschleierten Störfall, der sich um das Jahr 1986 im KKW Krümmel ereignet habe. Horst Jung, Direktor des Instituts für Biophysik und Strahlenbiologie im Fachbereich Medizin der Universität Hamburg, stellte dagegen fest, daß es für derartige Unterstellungen keinerlei Anhaltspunkte gebe.