April 1993

930417

ENERGIE-CHRONIK


Explosion in Tomsk-7 gibt Ängsten vor russischen Nuklearanlagen neuen Auftrieb

In der Nähe der russischen Stadt Tomsk hat sich am 6.4. in einer Wiederaufarbeitungsanlage eine schwere Explosion ereignet, die erhebliche Mengen an Radioaktivität freisetzte und den Blick der Weltöffentlichkeit erneut auf die hohen Risiken der russischen Nuklearanlagen lenkte. Das russische Atomenergieministerium hat den Unfall auf der siebenstelligen internationalen Skala mit der Stufe drei bewertet. Seinen Angaben zufolge wurden rund 120 Quadratkilometer verseucht. Es bestehe jedoch keine Strahlengefahr für Menschen. Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte dagegen, daß bei dem Unfall weitaus mehr Radioaktivität freigesetzt worden sein müsse, als die Behörden zugäben (FR, 8. u. 16.4.; SZ, 8.4.).

Die Wiederaufarbeitungsanlage, in der sich das Unglück ereignete, gehört zum geheimen militärischen Nuklearkomplex Tomsk-7. Nach Angaben des russischen Atomenergieministers Michailow gibt es zehn solcher geschlossener Städte wie Tomsk-7, in denen insgesamt eine Million Menschen leben, arbeiten und forschen. Es werde derzeit versucht, diese militärischen Nuklearanlagen auf zivile Zwecke umzustellen. Aus Sicherheitsgründen müßten sie aber weiterhin geheim bleiben (SZ, 24.4.).

In den Überschriften der Presse wurde das Unglück als "Atom-Wolke über Rußland" (Bild, 8.4.) und als "Offenbar größter Atomunfall seit Tschernobyl" (SZ, 8.4.) registriert. Der Vorfall in Tomsk weckte Erinnerungen an die Katastrophe, die sich 1957 unter ähnlichen Umständen in der Plutonium-Anlage Tscheljabinsk-65 ereignete und damals vertuscht wurde. "Der Unfall mit radioaktivem Material in Tomsk verstärkt die Zweifel an der Sicherheit der russischen Nukleartechnik und an der Fähigkeit der russischen Behörden, die Situation wirksam zu kontrollieren", stellte Die Welt (10.4.) fest.

Das Magazin Focus (19.4.) verwies darauf, daß die französische Cogema 1990 mit der Wiederaufarbeitungsgesellschaft in Tomsk-7 einen Zehnjahres-Vertrag über die Anreicherung von jährlich bis zu 400 Tonnen Uran geschlossen habe und knüpfte daran die Frage: "Auch alle bundesdeutschen Stromkonzerne liefern ihre abgebrannten Brennstäbe nach Frankreich. Wurden also deutsche Brennstäbe in Tomsk aufbereitet?"