August 1992

920804

ENERGIE-CHRONIK


SPD-Minister erteilen Genehmigung zum Weiterbetrieb des KKW Obrigheim

Der baden-württembergische Umweltminister Harald Schäfer (SPD) hat Wirtschaftsminister Spöri (SPD) empfohlen, eine abschließende Genehmigung für den Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Obrigheim am Neckar zu erteilen. 1987 hatte sich überraschend herausgestellt, daß dem KKW eine Genehmigung für den Dauerbetrieb fehlte. Die Grünen hatten deshalb den Betrieb als illegal bezeichnet. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim bestätigte diese Rechtsauffassung in zwei Urteilen. Der Reaktor wurde auf Weisung der Landesregierung über ein Jahr lang stillgelegt, bis das Bundesverwaltungsgericht die beiden Mannheimer Urteile aufhob. Auch die SPD, die sich damals noch in der Opposition befand, hatte die Stillegung der Anlage verlangt. Schäfer begründete seine jetzige Empfehlung damit, daß er sich an die Rechtslage halten müsse. Auf der Grundlage des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 1991 wäre die Stillegung nur möglich, wenn eine erhebliche und akute Gefahr drohe. Dies sei "nach dem jetzigen Kenntnisstand nicht der Fall". Schäfer verwies darauf, daß die Genehmigung widerrufen werden könne, wenn etliche noch ausstehende Nachweise zur Sicherheitstechnik nicht bis Ende 1993 erbracht seien. Dieser "Sicherheits-Check" werde von dem bekanntermaßen "atomskeptischen" Öko-Institut in Darmstadt kritisch begleitet (FAZ, 15. 8.; FR, 15.8.)

Ein Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) bezeichnete die Empfehlung Schäfers als "vorläufigen Höhepunkt in einer Reihe energiepolitischer Fehlleistungen von SPD-Politikern". Die Fraktion der Grünen im baden-württembergischen Landtag erneuerte ihre Forderung, das KKW Obrigheim dauernd stillzulegen, da die Sicherheitstechnik des 24 Jahre alten Reaktors nicht dem internationalen Standard entspreche (dpa, 19.8.; Stuttgarter Zeitung, 13.8.).

"Das Kernkraftwerk Obrigheim ist sicher", betonte demgegenüber EVS-Vorstandsmitglied Karl Stäbler am 14.8. nach einem Gespräch mit Minister Schäfer. Auch die von Schäfer vorgesehenen zwei weiteren Nachweise zur Sicherheitstechnik seien erfüllbar.

Nach Ansicht der Stuttgarter Zeitung (13.8.) haben die beiden zuständigen Minister Schäfer und Spöri "schon aus formalen Gründen wenig Spielraum für ihre Entscheidungen, und sind überdies an die Koalitionsvereinbarung gebunden, die Kernkraftwerke grundsätzlich toleriert und den Sonderfall Obrigheim praktisch ignoriert. ... Deshalb kommt es jetzt nur noch darauf an, wie geschickt Schäfer und Spöri ihre Entscheidungen begründen."

Die Frankfurter Rundschau (15.8.) meint dagegen: "Bescheidene Zweifel an Weisheit und Unausweichlichkeit der Schäferschen Empfehlung mögen gestattet sein. Wäre es für den Atomenergiegegner auf dem Ministerstuhl wirklich so unangemessen gewesen, Klaus Töpfer zu einem neuerlichen Duell mit einem Landesminister herauszufordern?"

"So lehrreich kann Regieren sein", stellt Die Welt (19.8.) zu Schäfers Empfehlung fest. "Statt, wie im Wahlkampf versprochen, in Obrigheim ein Exempel für den Ausstieg aus der Atomwirtschaft zu statuieren, stehen Sozialdemokraten plötzlich für die formalrechtliche Absicherung des betagten 345-Megawatt-Reaktors am Oberlauf des Neckars."