April 1992 |
920402 |
ENERGIE-CHRONIK |
Von teilweise heftiger Kritik begleitet wird die Einführung neuer Stromtarife gemäß der neuen Bundestarifordnung. Bei einer Telefon-Aktion der Frankfurter Rundschau (31.3.) standen Experten der Stadtwerke fünf Stunden lang Rede und Antwort. Die Anrufer empfanden es vielfach als unmöglich bzw. unzumutbar, den neuen Schwachlast-Tarif durch Verlegung stromfressender Aktivitäten in die Zeit zwischen 22 und 6 Uhr tatsächlich zu nutzen. Am neuen Normaltarif wurde kritisiert, daß gerade bei kinderreichen Familien der Tagesablauf nun mal so organisiert sei, daß Waschmaschinen und andere Elektrogeräte mit teurem Tagstrom betrieben werden müßten. Einen weiteren Punkt des Interesses bildeten Fragen bezüglich des Leistungspreises (siehe auch 920312).
"An der Nase herumgeführt" fühlten sich Kunden der Frankfurter Stadtwerke, die sich einen neuen Zähler für den Schwachlast-Tarif einbauen ließen und nachträglich feststellen mußten, daß dieser die Umstellung auf die Sommerzeit nicht mitmachte und erst ab 23 Uhr statt ab 22 Uhr den billigeren Tarif berechnete. "Böse Überraschungen" gab es nach Angaben der Frankfurter Hotel- und Gaststättenvereinigung auch für viele Gastronomen, die den Einbau eines Zweitarifzählers für den Stromverbrauch zwischen 22 und 6 Uhr versäumt hatten und deshalb teilweise "existenzbedrohend" hohe Stromrechnungen erhalten hätten (FAZ, 3.4. u. 8.4., FR, 11.4.).
"Wer spart, zahlt mehr", behauptet das Öko Test Magazin (4/92) in einem Artikel zu den neuen Stromtarifen. Das Blatt listet 115 kommunale und regionale Stromversorger in einer Tabelle auf, die Aufschluß darüber geben soll, "was der Strom wirklich kostet". Demnach müssen "Sparer" noch immer mehr und "Vielverbraucher" weniger pro Kilowattstunde bezahlen als der Durchschnitts-Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 3 000 kWh. "Das Gros der Stromhändler kümmert sich also wenig um das Sparziel der neuen BTO. Nur wenige rechnen linear."
Ein zeitvariabler Stromtarif erbringt keine
wesentlichen Energieeinsparungen, bewirkt aber eine Verlagerung
des Stromverbrauchs weg von den Spitzenzeiten und damit eine gleichmäßigere
Auslastung der Kraftwerkskapazitäten. Dies ergab der 1989
gestartete Modellversuch "Zeitvariabler linerarer Stromtarif"
in rund 1 500 saarländischen Testhaushalten. Bei der Vorstellung
der Ergebnisse am 7.4. wurde betont, daß befürchtete
soziale Deformationen wie die Benachteiligung von kinderreichen
Familien und Rentnern nicht eingetreten seien. Vielmehr hätten
gerade in solchen Haushalten Verlagerungseffekte festgestellt
werden können (dpa, 7.4.; Saarbrücker Zeitung, 8.4.;
Handelsblatt, 10.4.).