Februar 1992 |
920208 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Umkreis von 15 Kilometern um Kernkraftwerke erkranken Kinder bis 15 Jahre nicht häufiger an Krebs als in anderen Regionen. Dies ergab eine Untersuchung, die der Leiter des Instituts für Medizinische Statistik und Dokumentation in Mainz, Jörg Michaelis, durchgeführt hat. Michaelis verglich 20 KKW-Standorte mit 20 Regionen, in denen sich keine Nuklearanlagen befinden. Ein "leicht erhöhtes relatives Risiko" fand er allerdings für Kinder bis fünf Jahre, die in einem Fünf-Kilometer-Radius um Kernkraftwerke aufwachsen. Michaelis hat die Studie mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums erarbeitet. Er führt in seinem Institut das Kinderkrebsregister und verfügt daher über die Daten aller Krebserkrankungen von Kindern in der Bundesrepublik. Die Untersuchung erstreckte sich über den Zeitraum von 1980 bis 1990. Michaelis hat seine Ergebnisse am 13.2. gemeinsam mit Bundesumweltminister Töpfer in Bonn vorgestellt. Die jetzt vorgelegte Statistik soll durch eine weiterführende Fall-Kontrollstudie ergänzt werden, die auch die Ursachen von Leukämie-Erkrankungen berücksichtigt. Im Herbst will Töpfer Wissenschaftler aus der ganzen Welt versammeln, die alle Erkenntnisse über die Häufung von Leukämie in bestimmten Regionen aufarbeiten sollen (Handelsblatt, 14.2.; FAZ, 14.2.; siehe auch 920105).
In Hamburg erkranken nicht mehr Kinder an Leukämie als in anderen Städten und Gemeinden der Bundesrepublik. Dies ergab eine Studie, deren Ergebnis Gesundheitssenator Ortwin Runde am 3.2. vorstellte (Hamburger Abendblatt, 4.2.; taz 4.2.).
Vor übereilten Schlußfolgerungen bei der Untersuchung der möglichen Ursachen von Leukämiehäufungen bei Kindern in den Gemeinden Sittensen und Elbmarsch hat der Leiter der niedersächsischen Expertenkommission, Prof. Erich Wichmann, gewarnt. "Wir denken womöglich, die Lösung ist da, und die tatsächliche Ursache wird dann nicht gefunden, nur weil wir eine bestimmte Lösung gern hätten", sagte Wichmann am 19.2. vor der Presse in Hamburg (dpa, 19.2.).
Die vom Land Niedersachsen berufene Expertenkommission
hat am 6.2. ein umfangreiches Programm zur Untersuchung der Leukämiefälle
in Elbmarsch beschlossen. Bei insgesamt 60 Kindern aus der Nähe des
KKW Krümmel bzw. der benachbarten GKSS sollen sogenannte dosimetrische
Untersuchungen vorgenommen werden, um Veränderungen der Chromosen
nachzuweisen. Auch eine "unbelastete Vergleichsregion" soll untersucht
werden. Mit abschließenden Ergebnissen wird innerhalb eines Jahres
gerechnet (FR, 7.2.).
Die von der Landesregierung Schleswig-Holstein berufene Experten-Kommission zur Untersuchung der Leukämiefälle in Elbmarsch trat am 18.2. in Kiel zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Das Land hat für die Untersuchungen 400.000 Mark bereitgestellt. Hinzu kommen jeweils 100.000 Mark aus Niedersachen und Bremen sowie 200.000 Mark der Hamburger Electricitätswerke (HEW), die das Kernkraftwerk Krümmel betreiben (dpa, 18.2.).
Das Medien-Echo auf die Leukämie-Erkrankungen
in Elbmarsch und den angeblichen Zusammenhang mit den dortigen Nuklearanlagen
blieb weiterhin lebhaft. "Sie kämpfen mutig gegen das Grauen" betitelte
die Frauenzeitschrift Cosmopolitan (3/92) eine Reportage über die
von Leukämie betroffenen Familien. Wie Die Zeit (14.2.) berichtete,
"kursiert inzwischen eine Liste mit Namen von ehemaligen GKSS-Mitarbeitern,
die an Leukämie und Krebs gestorben sind. Aber wieder fehlen Beweise
für den Zusammenhang zwischen Strahlung und Tod. Nur die Angst wächst."